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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Li" Giiindproblein des llunstgowcrl'es.

Statt des Thones soll das verwandte Porzellan treten. Bei ihm tritt
die Herstellung durch Formen ein. Infolge dieser Art der Gestaltung macht ein
durchbrochnes Gerät keine besondern Schwierigkeiten; wohl aber wird das nach¬
ahmende Flechtwerk bei der gebrechlichen Natur des Stoffes durch diese Technik
eine Veränderung erleiden. Die einzelnen Fäden müssen mehr Körper haben,
um nicht zu leicht zu zerbrechen. Sie werden daher kräftiger und rundlicher
werden als die flachen Stränge des ursprünglichen Flechtwerkes. Freilich wird
hierdurch eine größere Schwere bewirkt; diese ist aber doch nicht so groß wie
bei der entsprechenden Metallmasse und daher dem Gebrauche nicht hinderlich.

Das Glas ist eine leicht flüssige Masse bei der Verarbeitung. Es könnte
daher technisch sehr wohl zu gleicher Form gebracht werden, allein die Haupt¬
tugend des Glases für den Anblick, seine Durchsichtigkeit, fiele für die ästhetische
Wirkung vollständig weg. Soll aber die Durchsichtigkeit zur Geltung kommen,
so bedarf es der Flächen; es wird also hier wieder die Wandung in ihr Recht
treten, jedoch aus einem ganz andern Grunde als bei dein Thon. Aber wie
bei diesem, bietet die Wendung die beste Gelegenheit für Einritznng und Aus¬
malung von Zeichnungen, welche an die ursprünglichen Formen erinnern können,
sich aber meist wohl lieber der gewonnenen Unabhängigkeit erfreuen und ihre
eignen Wege gehen werden.

Die Feinfühligkeit für die Natur des Stoffes und seiner daraus ent¬
springenden praktischen Verwendung, die Empfindung fiir das, was man ihm
nicht zumuten kann, die Fähigkeit, aus der Erkenntnis der Natur des Stoffes
heraus die Formen so umzugestalten, wie es dieser Natur entspricht, kann man
Stilgefühl nennen. Nur muß man sich dabei bewußt bleibe",, daß damit nur
eine Seite des Stilgefühls bezeichnet ist, nur die auf die Natur des Stoffes
bezügliche Seite. Verstöße gegen dieses Stilgefühl finden sich im praktischen
Kunstgewerbe tagtäglich, ja man kann sagen, daß der Geschmack des großen
Publikums sich gerade dann am meisten angeregt fühlt, wenn einem Stoffe
etwas zugemutet wird, wogegen sich seine Natur am meisten stränbt. Es ist,
als ob allein dieser Widerspruch imstande wäre, den stumpfen Geschmack auf¬
zurütteln, damit er überhaupt zu einer Thätigkeit gelangt. Es ist dies der
Standpunkt, auf welchem nicht das Kunstwerk, sondern das Kunststück gefällt;
dieses ist aber umso größer und darum umso geschätzter, jemehr es dem ge¬
wöhnlichen Verlaufe widerspricht.

Haben wir oben gesehen, daß bei der Vereinigung eines Stoffes mit einer
seiner Natur ursprünglich fremden Form zu einer neuen Einheit, welche den
Eindruck der Notwendigkeit gerade solcher Existenz hervorbringt, die Form der
nachgiebigere Teil ist, so folgt daraus uoch nicht, daß sie für das richtige
Verhältnis der beiden ursprünglich einander fremden Elemente nicht auch eine
große Bedeutung habe. Diese wird durch den eigentümlichen Zweck bestimmt,
der sich nicht damit begnügt, die Form überhaupt in einem ihr fremden Stoffe


Li» Giiindproblein des llunstgowcrl'es.

Statt des Thones soll das verwandte Porzellan treten. Bei ihm tritt
die Herstellung durch Formen ein. Infolge dieser Art der Gestaltung macht ein
durchbrochnes Gerät keine besondern Schwierigkeiten; wohl aber wird das nach¬
ahmende Flechtwerk bei der gebrechlichen Natur des Stoffes durch diese Technik
eine Veränderung erleiden. Die einzelnen Fäden müssen mehr Körper haben,
um nicht zu leicht zu zerbrechen. Sie werden daher kräftiger und rundlicher
werden als die flachen Stränge des ursprünglichen Flechtwerkes. Freilich wird
hierdurch eine größere Schwere bewirkt; diese ist aber doch nicht so groß wie
bei der entsprechenden Metallmasse und daher dem Gebrauche nicht hinderlich.

Das Glas ist eine leicht flüssige Masse bei der Verarbeitung. Es könnte
daher technisch sehr wohl zu gleicher Form gebracht werden, allein die Haupt¬
tugend des Glases für den Anblick, seine Durchsichtigkeit, fiele für die ästhetische
Wirkung vollständig weg. Soll aber die Durchsichtigkeit zur Geltung kommen,
so bedarf es der Flächen; es wird also hier wieder die Wandung in ihr Recht
treten, jedoch aus einem ganz andern Grunde als bei dein Thon. Aber wie
bei diesem, bietet die Wendung die beste Gelegenheit für Einritznng und Aus¬
malung von Zeichnungen, welche an die ursprünglichen Formen erinnern können,
sich aber meist wohl lieber der gewonnenen Unabhängigkeit erfreuen und ihre
eignen Wege gehen werden.

Die Feinfühligkeit für die Natur des Stoffes und seiner daraus ent¬
springenden praktischen Verwendung, die Empfindung fiir das, was man ihm
nicht zumuten kann, die Fähigkeit, aus der Erkenntnis der Natur des Stoffes
heraus die Formen so umzugestalten, wie es dieser Natur entspricht, kann man
Stilgefühl nennen. Nur muß man sich dabei bewußt bleibe»,, daß damit nur
eine Seite des Stilgefühls bezeichnet ist, nur die auf die Natur des Stoffes
bezügliche Seite. Verstöße gegen dieses Stilgefühl finden sich im praktischen
Kunstgewerbe tagtäglich, ja man kann sagen, daß der Geschmack des großen
Publikums sich gerade dann am meisten angeregt fühlt, wenn einem Stoffe
etwas zugemutet wird, wogegen sich seine Natur am meisten stränbt. Es ist,
als ob allein dieser Widerspruch imstande wäre, den stumpfen Geschmack auf¬
zurütteln, damit er überhaupt zu einer Thätigkeit gelangt. Es ist dies der
Standpunkt, auf welchem nicht das Kunstwerk, sondern das Kunststück gefällt;
dieses ist aber umso größer und darum umso geschätzter, jemehr es dem ge¬
wöhnlichen Verlaufe widerspricht.

Haben wir oben gesehen, daß bei der Vereinigung eines Stoffes mit einer
seiner Natur ursprünglich fremden Form zu einer neuen Einheit, welche den
Eindruck der Notwendigkeit gerade solcher Existenz hervorbringt, die Form der
nachgiebigere Teil ist, so folgt daraus uoch nicht, daß sie für das richtige
Verhältnis der beiden ursprünglich einander fremden Elemente nicht auch eine
große Bedeutung habe. Diese wird durch den eigentümlichen Zweck bestimmt,
der sich nicht damit begnügt, die Form überhaupt in einem ihr fremden Stoffe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/78>, abgerufen am 28.07.2024.