Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Prostitutionsfrage.

Beide Richtungen sind darüber einig, daß die Frage der Prostitution bei
der sozialen Lage unsers Volkes und bei der Schädlichkeit der Sache für Sitte
und Wohlergehen aller Volksschichten immer brennender wird, daß also etwas
geschehen müsse, um das Überhandnehmen der zutage getretenen Übelstände zu
beseitigen. Beide verlangen Abhilfe durch die Gesetzgebung nach zwei ganz
extremen Seiten hin, und es fragt sich nun: wie kaun bei dieser Sachlage
Abhilfe ermöglicht werden.

Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage ist die, daß man sich
zunächst klar darüber werde, ob die Beseitigung der Prostitution überhaupt
möglich sei oder nicht. Von dieser Beantwortung hängt es ab, welcher Weg
einzuschlagen ist.

Die Geschichte lehrt, daß es keine Zeit gegeben hat, wo zivilisirte Staaten
ohne das sogenannte notwendige Übel der Prostitution gewesen sind, und jeder,
der Einblicke gewonnen hat, wie Frauen dazu gelangen, sich der Prostitution
in die Arme zu werfen, wer insbesondre amtlich damit zu thun gehabt und sich
ein unbefangnes Urteil gebildet hat, wird überzeugt sein, daß eine Beseitigung
dieses Übels nicht denkbar ist. Es ist hier nicht der Ort, des Nähern darauf
einzugehen, daß und warum sich die Prostitution nicht uns der Welt schaffen läßt;
wir meinen auch, daß diese Annahme lediglich eine gefällige Selbsttäuschung
derjenigen sei, welche auf gänzliche Beseitigung derselben hinarbeiten wollen. Für
die nachfolgende Erörterung genügt die Fixirung dieses unsers Stand¬
punktes.

Zugegeben also, die Beseitigung sei nicht denkbar, so bleibt die Notwendigkeit
bestehen, das Übel nach Möglichkeit einzuschränken. Der Gesetzgebung aber fällt
die Aufgabe zu, die Mittel und Wege zu finden, um den Schaden, welcher der
Allgemeinheit durch die Prostitution droht, ans das denkbar geringste Maß zurück¬
zuführen. Der Gesetzgebung aber, wie sie zur Zeit vorliegt, kann der Vorwurf
nicht erspart bleiben, daß sie eher zur Vermehrung als zur Verminderung dieser
Schäden beigetragen hat, und daß sie eine Inkonsequenz in das Strafgesetzbuch
hineingetragen hat, die, vom rechtlichen wie vom sozialen Standpunkte betrachtet,
höchst bedenklich ist. Hier thut eine Änderung not.

Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich bestimmt im § 361 unter 6:
"MitHaft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht
einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur
Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Answndcs
erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen
Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt." Die Gesetzgebung
erkennt also an, daß eine Kontrole der Prostituirten notwendig sei, und legt
dieselbe in die Hand der Polizei; gewissen Weibspersonen ist die Ausübung der
gewerbsmäßigen Unzucht gestattet, unter der Bedingung, daß sie den darauf
bezüglichen polizeilichen Bestimmungen nachkommen.


Zur Prostitutionsfrage.

Beide Richtungen sind darüber einig, daß die Frage der Prostitution bei
der sozialen Lage unsers Volkes und bei der Schädlichkeit der Sache für Sitte
und Wohlergehen aller Volksschichten immer brennender wird, daß also etwas
geschehen müsse, um das Überhandnehmen der zutage getretenen Übelstände zu
beseitigen. Beide verlangen Abhilfe durch die Gesetzgebung nach zwei ganz
extremen Seiten hin, und es fragt sich nun: wie kaun bei dieser Sachlage
Abhilfe ermöglicht werden.

Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage ist die, daß man sich
zunächst klar darüber werde, ob die Beseitigung der Prostitution überhaupt
möglich sei oder nicht. Von dieser Beantwortung hängt es ab, welcher Weg
einzuschlagen ist.

Die Geschichte lehrt, daß es keine Zeit gegeben hat, wo zivilisirte Staaten
ohne das sogenannte notwendige Übel der Prostitution gewesen sind, und jeder,
der Einblicke gewonnen hat, wie Frauen dazu gelangen, sich der Prostitution
in die Arme zu werfen, wer insbesondre amtlich damit zu thun gehabt und sich
ein unbefangnes Urteil gebildet hat, wird überzeugt sein, daß eine Beseitigung
dieses Übels nicht denkbar ist. Es ist hier nicht der Ort, des Nähern darauf
einzugehen, daß und warum sich die Prostitution nicht uns der Welt schaffen läßt;
wir meinen auch, daß diese Annahme lediglich eine gefällige Selbsttäuschung
derjenigen sei, welche auf gänzliche Beseitigung derselben hinarbeiten wollen. Für
die nachfolgende Erörterung genügt die Fixirung dieses unsers Stand¬
punktes.

Zugegeben also, die Beseitigung sei nicht denkbar, so bleibt die Notwendigkeit
bestehen, das Übel nach Möglichkeit einzuschränken. Der Gesetzgebung aber fällt
die Aufgabe zu, die Mittel und Wege zu finden, um den Schaden, welcher der
Allgemeinheit durch die Prostitution droht, ans das denkbar geringste Maß zurück¬
zuführen. Der Gesetzgebung aber, wie sie zur Zeit vorliegt, kann der Vorwurf
nicht erspart bleiben, daß sie eher zur Vermehrung als zur Verminderung dieser
Schäden beigetragen hat, und daß sie eine Inkonsequenz in das Strafgesetzbuch
hineingetragen hat, die, vom rechtlichen wie vom sozialen Standpunkte betrachtet,
höchst bedenklich ist. Hier thut eine Änderung not.

Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich bestimmt im § 361 unter 6:
„MitHaft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht
einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur
Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Answndcs
erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen
Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt." Die Gesetzgebung
erkennt also an, daß eine Kontrole der Prostituirten notwendig sei, und legt
dieselbe in die Hand der Polizei; gewissen Weibspersonen ist die Ausübung der
gewerbsmäßigen Unzucht gestattet, unter der Bedingung, daß sie den darauf
bezüglichen polizeilichen Bestimmungen nachkommen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196167"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Prostitutionsfrage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_203"> Beide Richtungen sind darüber einig, daß die Frage der Prostitution bei<lb/>
der sozialen Lage unsers Volkes und bei der Schädlichkeit der Sache für Sitte<lb/>
und Wohlergehen aller Volksschichten immer brennender wird, daß also etwas<lb/>
geschehen müsse, um das Überhandnehmen der zutage getretenen Übelstände zu<lb/>
beseitigen. Beide verlangen Abhilfe durch die Gesetzgebung nach zwei ganz<lb/>
extremen Seiten hin, und es fragt sich nun: wie kaun bei dieser Sachlage<lb/>
Abhilfe ermöglicht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204"> Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage ist die, daß man sich<lb/>
zunächst klar darüber werde, ob die Beseitigung der Prostitution überhaupt<lb/>
möglich sei oder nicht. Von dieser Beantwortung hängt es ab, welcher Weg<lb/>
einzuschlagen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_205"> Die Geschichte lehrt, daß es keine Zeit gegeben hat, wo zivilisirte Staaten<lb/>
ohne das sogenannte notwendige Übel der Prostitution gewesen sind, und jeder,<lb/>
der Einblicke gewonnen hat, wie Frauen dazu gelangen, sich der Prostitution<lb/>
in die Arme zu werfen, wer insbesondre amtlich damit zu thun gehabt und sich<lb/>
ein unbefangnes Urteil gebildet hat, wird überzeugt sein, daß eine Beseitigung<lb/>
dieses Übels nicht denkbar ist. Es ist hier nicht der Ort, des Nähern darauf<lb/>
einzugehen, daß und warum sich die Prostitution nicht uns der Welt schaffen läßt;<lb/>
wir meinen auch, daß diese Annahme lediglich eine gefällige Selbsttäuschung<lb/>
derjenigen sei, welche auf gänzliche Beseitigung derselben hinarbeiten wollen. Für<lb/>
die nachfolgende Erörterung genügt die Fixirung dieses unsers Stand¬<lb/>
punktes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_206"> Zugegeben also, die Beseitigung sei nicht denkbar, so bleibt die Notwendigkeit<lb/>
bestehen, das Übel nach Möglichkeit einzuschränken. Der Gesetzgebung aber fällt<lb/>
die Aufgabe zu, die Mittel und Wege zu finden, um den Schaden, welcher der<lb/>
Allgemeinheit durch die Prostitution droht, ans das denkbar geringste Maß zurück¬<lb/>
zuführen. Der Gesetzgebung aber, wie sie zur Zeit vorliegt, kann der Vorwurf<lb/>
nicht erspart bleiben, daß sie eher zur Vermehrung als zur Verminderung dieser<lb/>
Schäden beigetragen hat, und daß sie eine Inkonsequenz in das Strafgesetzbuch<lb/>
hineingetragen hat, die, vom rechtlichen wie vom sozialen Standpunkte betrachtet,<lb/>
höchst bedenklich ist.  Hier thut eine Änderung not.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_207"> Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich bestimmt im § 361 unter 6:<lb/>
&#x201E;MitHaft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht<lb/>
einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur<lb/>
Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Answndcs<lb/>
erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen<lb/>
Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt." Die Gesetzgebung<lb/>
erkennt also an, daß eine Kontrole der Prostituirten notwendig sei, und legt<lb/>
dieselbe in die Hand der Polizei; gewissen Weibspersonen ist die Ausübung der<lb/>
gewerbsmäßigen Unzucht gestattet, unter der Bedingung, daß sie den darauf<lb/>
bezüglichen polizeilichen Bestimmungen nachkommen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] Zur Prostitutionsfrage. Beide Richtungen sind darüber einig, daß die Frage der Prostitution bei der sozialen Lage unsers Volkes und bei der Schädlichkeit der Sache für Sitte und Wohlergehen aller Volksschichten immer brennender wird, daß also etwas geschehen müsse, um das Überhandnehmen der zutage getretenen Übelstände zu beseitigen. Beide verlangen Abhilfe durch die Gesetzgebung nach zwei ganz extremen Seiten hin, und es fragt sich nun: wie kaun bei dieser Sachlage Abhilfe ermöglicht werden. Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage ist die, daß man sich zunächst klar darüber werde, ob die Beseitigung der Prostitution überhaupt möglich sei oder nicht. Von dieser Beantwortung hängt es ab, welcher Weg einzuschlagen ist. Die Geschichte lehrt, daß es keine Zeit gegeben hat, wo zivilisirte Staaten ohne das sogenannte notwendige Übel der Prostitution gewesen sind, und jeder, der Einblicke gewonnen hat, wie Frauen dazu gelangen, sich der Prostitution in die Arme zu werfen, wer insbesondre amtlich damit zu thun gehabt und sich ein unbefangnes Urteil gebildet hat, wird überzeugt sein, daß eine Beseitigung dieses Übels nicht denkbar ist. Es ist hier nicht der Ort, des Nähern darauf einzugehen, daß und warum sich die Prostitution nicht uns der Welt schaffen läßt; wir meinen auch, daß diese Annahme lediglich eine gefällige Selbsttäuschung derjenigen sei, welche auf gänzliche Beseitigung derselben hinarbeiten wollen. Für die nachfolgende Erörterung genügt die Fixirung dieses unsers Stand¬ punktes. Zugegeben also, die Beseitigung sei nicht denkbar, so bleibt die Notwendigkeit bestehen, das Übel nach Möglichkeit einzuschränken. Der Gesetzgebung aber fällt die Aufgabe zu, die Mittel und Wege zu finden, um den Schaden, welcher der Allgemeinheit durch die Prostitution droht, ans das denkbar geringste Maß zurück¬ zuführen. Der Gesetzgebung aber, wie sie zur Zeit vorliegt, kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie eher zur Vermehrung als zur Verminderung dieser Schäden beigetragen hat, und daß sie eine Inkonsequenz in das Strafgesetzbuch hineingetragen hat, die, vom rechtlichen wie vom sozialen Standpunkte betrachtet, höchst bedenklich ist. Hier thut eine Änderung not. Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich bestimmt im § 361 unter 6: „MitHaft wird bestraft: eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Answndcs erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt." Die Gesetzgebung erkennt also an, daß eine Kontrole der Prostituirten notwendig sei, und legt dieselbe in die Hand der Polizei; gewissen Weibspersonen ist die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht gestattet, unter der Bedingung, daß sie den darauf bezüglichen polizeilichen Bestimmungen nachkommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/67>, abgerufen am 25.11.2024.