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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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dieser Einfluß fehlen, so träte der nächste städtische Kaufmann oder allenfalls
der nächste Advokat in die Lücke. Wer wählt nun?

Um diese Betrachtungen zum Abschlüsse zu bringen, bedenke man end¬
lich noch ein letztes. Wie lange oder vielmehr wie kurz ist es nicht her, daß
mit verschwindenden Ausnahmen die gebildete Welt den politischen Liberalismus
fiir etwas schlechthin Selbstverständliches, für etwas, an dessen prinzipieller
Nichtigkeit doch überhaupt kein Zweifel obwalten könne, fiir ein unausweichliches
Korrelat aller zeitgemäßen, auf Besserung und gesunde Entwicklung gerichteten
Bestrebungen hielt! Wie wenige waren es noch vor einem halben Menschen¬
alter, die nicht dem Verfasser des "Grünen Heinrich," dem Schweizer Gott¬
fried Keller, zustimmten, wenn derselbe sagte: Heutzutage fehle einem, wenn
auch sonst noch so tüchtigen und achtungswerten Manne etwas Wesentliches,
falls derselbe nicht liberal sei! Nun ist aber Ostpreußen zwar durch ein hin¬
länglich starkes Band mit Deutschland verbunden, um allen geistigen Strömungen
von da ausgesetzt zu sein, jedoch so entfernt und so in einer, der schnellen und
energischen Mitteilung aller geistigen Vorgänge wenig günstigen Weise situirt,
daß die Strömungen aus Deutschland stets etwas verspätet hier ankommen.
Von der gegenwärtigen nationalen, christlichen und staatlichen Bewegung in
Deutschland hat man in Ostpreußen noch nicht viel verspürt -- erst allerneucstens
beginnt es sich auch in dieser Hinsicht zu regen. Der alte, landläufige Libera¬
lismus verfügt aber hier noch über einen Sondervorteil: die tiefgewurzelte
liberale Abneigung gegen die "Junker," die adelichen Gutsbesitzer. Daß die
"Junker, "die "uckermärkischen Granden," die Strudelwitz und Prndelwitz, und
wie alle die Bezeichnungen lauten, eine verdammcnswerte Abart des mensch¬
lichen Geschlechts seien, lächerlich oder nichtswürdig oder beides zusammen, das
gehört ja so recht zu den Kcrnsützen des Liberalismus, und stets ging man
hierbei, auch als längst weder für Adliche noch für adliche Güter irgendein
Privilegium mehr existirte, von der Voraussetzung ans, diese verruchten Junker
(denen es natürlich nicht das geringste half, daß ihre Namen von der branden-
burgisch-preußischen Geschichte nicht zu trennen sind) seien überdies immer noch
privilegirt. Spricht doch selbst Gustav Freytag in seinen "Bildern" von dem
"konservativen Gutsherrn, welcher um die Privilegien seines Standes mit den
Mächten der Gegenwart hadert" -- dies, während die "Mächte der Gegen¬
wart," die Börse, das mobile Kapital und der Handel, sich allerdings in ihrer
Steuerfreiheit und ihrem besondern Handelsrecht ganz hübsche Privilegien zu¬
gelegt haben, man sich aber nach Privilegien, welche in: Besitze der "konservativen
Gutsherren" wären, vergebens umsieht. Aber wie lauge dauert es nicht, bis
die Gewöhnung an diese alten Anschauungen und Voraussetzungen und an die
Terminologie, welche sich an dieselben knüpft, überwunden ist! Und wie ver¬
zweiflungsvoll ringen nicht die obenerwähnten "Mächte der Gegenwart" darnach,
alle diese Dinge nicht in Vergessenheit kommen zu lassen!


dieser Einfluß fehlen, so träte der nächste städtische Kaufmann oder allenfalls
der nächste Advokat in die Lücke. Wer wählt nun?

Um diese Betrachtungen zum Abschlüsse zu bringen, bedenke man end¬
lich noch ein letztes. Wie lange oder vielmehr wie kurz ist es nicht her, daß
mit verschwindenden Ausnahmen die gebildete Welt den politischen Liberalismus
fiir etwas schlechthin Selbstverständliches, für etwas, an dessen prinzipieller
Nichtigkeit doch überhaupt kein Zweifel obwalten könne, fiir ein unausweichliches
Korrelat aller zeitgemäßen, auf Besserung und gesunde Entwicklung gerichteten
Bestrebungen hielt! Wie wenige waren es noch vor einem halben Menschen¬
alter, die nicht dem Verfasser des „Grünen Heinrich," dem Schweizer Gott¬
fried Keller, zustimmten, wenn derselbe sagte: Heutzutage fehle einem, wenn
auch sonst noch so tüchtigen und achtungswerten Manne etwas Wesentliches,
falls derselbe nicht liberal sei! Nun ist aber Ostpreußen zwar durch ein hin¬
länglich starkes Band mit Deutschland verbunden, um allen geistigen Strömungen
von da ausgesetzt zu sein, jedoch so entfernt und so in einer, der schnellen und
energischen Mitteilung aller geistigen Vorgänge wenig günstigen Weise situirt,
daß die Strömungen aus Deutschland stets etwas verspätet hier ankommen.
Von der gegenwärtigen nationalen, christlichen und staatlichen Bewegung in
Deutschland hat man in Ostpreußen noch nicht viel verspürt — erst allerneucstens
beginnt es sich auch in dieser Hinsicht zu regen. Der alte, landläufige Libera¬
lismus verfügt aber hier noch über einen Sondervorteil: die tiefgewurzelte
liberale Abneigung gegen die „Junker," die adelichen Gutsbesitzer. Daß die
„Junker, "die „uckermärkischen Granden," die Strudelwitz und Prndelwitz, und
wie alle die Bezeichnungen lauten, eine verdammcnswerte Abart des mensch¬
lichen Geschlechts seien, lächerlich oder nichtswürdig oder beides zusammen, das
gehört ja so recht zu den Kcrnsützen des Liberalismus, und stets ging man
hierbei, auch als längst weder für Adliche noch für adliche Güter irgendein
Privilegium mehr existirte, von der Voraussetzung ans, diese verruchten Junker
(denen es natürlich nicht das geringste half, daß ihre Namen von der branden-
burgisch-preußischen Geschichte nicht zu trennen sind) seien überdies immer noch
privilegirt. Spricht doch selbst Gustav Freytag in seinen „Bildern" von dem
„konservativen Gutsherrn, welcher um die Privilegien seines Standes mit den
Mächten der Gegenwart hadert" — dies, während die „Mächte der Gegen¬
wart," die Börse, das mobile Kapital und der Handel, sich allerdings in ihrer
Steuerfreiheit und ihrem besondern Handelsrecht ganz hübsche Privilegien zu¬
gelegt haben, man sich aber nach Privilegien, welche in: Besitze der „konservativen
Gutsherren" wären, vergebens umsieht. Aber wie lauge dauert es nicht, bis
die Gewöhnung an diese alten Anschauungen und Voraussetzungen und an die
Terminologie, welche sich an dieselben knüpft, überwunden ist! Und wie ver¬
zweiflungsvoll ringen nicht die obenerwähnten „Mächte der Gegenwart" darnach,
alle diese Dinge nicht in Vergessenheit kommen zu lassen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/63>, abgerufen am 01.09.2024.