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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Streit über die Karolinen.

sein, an spanische und andre Republikaner, die Neigung verrieten, von dem
Freundschaftsverhältnisse des Königs in Madrid zum Berliner Hose Nutzen zu
ziehen, daraufhin gegen Deutschland die Übermütigen zu spielen und so sich als
Patrioten die Volksgunst zu verschaffen, so zur Macht zu gelangen und sich
damit gegen den "Ulanenobcrst" zu wenden und die Monarchie in Spanien zu
untergraben, zuletzt aber eine Fusion mit der stammverwandten, auch lateinischen
französischen Nachbcirrcpublik herbeizuführen. Diesen wurde gesagt, daß Deutsch
land einer solchen Verschmelzung mit kühler Ruhe zusehen würde. Und das
wäre in der That erlaubt; denn zwei mit einander vereinigt würden in diesem
Falle nicht mehr bedeuten als zwei getrennt neben einander. Eine spanische
Republik verschmolzen mit einer französischen würde eher eine Schwächung als
eine Stärkung der letzteren sein, eine Einimpfung von Gebrechen, welche diese
nicht oder nur in schwachem Maße an sich hat, eine Verbindung von disparaten
Elementen, welche mit der Phrase von der Einheit der lateinischen Rasse nicht
hinwegznzanbern sind. Gewiß ist, daß viele Spanier republikanische Tendenzen
verfolgen, ebenso gewiß aber auch, daß sehr wenige sich mit Frankreich vereinigt
sehen möchten, da sie dann das schwächere Glied und somit dem stärkeren
untergeordnet sein würden. Wir kennen die Eifersucht der lateinischen Nationen
aufeinander, wir wissen, welchem Widerstande das Bestreben Napoleons
des Dritten begegnete, die " Schwesternativnen" unter eine Art französischer
Hegemonie zu bringen, und wir finden in der Geschichte dieses und des vorigen
Jahrhunderts, wie wenig Neigung gerade die Spanier haben, sich von Frankreich
bevormunden und benutzen zu lassen.

Summa und Moral dieser Betrachtung: das deutsche Interesse wird in
der Frage wegen der Karolinen weder der Freundschaft des Berliner Hofes mit
dem Madrider, noch der Befürchtung, daß Spanien bei einem Bestehen der
Deutschen auf ihrem Rechte und daraus hervorgehenden Verlusten Spaniens zur
Republik werden und sich mit Frankreich verschmelzen werde, zum Opfer ge¬
bracht werden. Wir würden einer Eventualität der letztern Art mit Ruhe zu¬
sehen können; denn sie würde erstens Frankreichs Kräfte nicht vermehren und
zweitens keinen langen Bestand haben.

Deutschland wird in der Sache fortfahren, Rücksicht zu üben und zu einer
Verständigung die Hand zu bieten, denn es ist in erster Linie eine friedliche
Macht. Aber es wird sich unbilligen Zumutungen nicht fügen. Spanien wird
mit sich reden lassen müssen. Es geht in der Politik nicht mit dem Don Quixote
und dem Eigensinn Don Colibrados. Hier haben Recht, Verstand und Billig¬
keit, nicht der Dünkel von Leuten das Wort, die große Herren gewesen sind
und das nicht vergessen können. Die gesamte öffentliche Meinung außerhalb
Spaniens steht hier auf unsrer Seite, selbst die französischen Blätter, soweit
sie nicht von Gefühlen beherrscht und von Phantasie verwirrt sind. Dasselbe
gilt von der englischen Presse, wie wir bei den scheelen Blicken, mit denen man


Der Streit über die Karolinen.

sein, an spanische und andre Republikaner, die Neigung verrieten, von dem
Freundschaftsverhältnisse des Königs in Madrid zum Berliner Hose Nutzen zu
ziehen, daraufhin gegen Deutschland die Übermütigen zu spielen und so sich als
Patrioten die Volksgunst zu verschaffen, so zur Macht zu gelangen und sich
damit gegen den „Ulanenobcrst" zu wenden und die Monarchie in Spanien zu
untergraben, zuletzt aber eine Fusion mit der stammverwandten, auch lateinischen
französischen Nachbcirrcpublik herbeizuführen. Diesen wurde gesagt, daß Deutsch
land einer solchen Verschmelzung mit kühler Ruhe zusehen würde. Und das
wäre in der That erlaubt; denn zwei mit einander vereinigt würden in diesem
Falle nicht mehr bedeuten als zwei getrennt neben einander. Eine spanische
Republik verschmolzen mit einer französischen würde eher eine Schwächung als
eine Stärkung der letzteren sein, eine Einimpfung von Gebrechen, welche diese
nicht oder nur in schwachem Maße an sich hat, eine Verbindung von disparaten
Elementen, welche mit der Phrase von der Einheit der lateinischen Rasse nicht
hinwegznzanbern sind. Gewiß ist, daß viele Spanier republikanische Tendenzen
verfolgen, ebenso gewiß aber auch, daß sehr wenige sich mit Frankreich vereinigt
sehen möchten, da sie dann das schwächere Glied und somit dem stärkeren
untergeordnet sein würden. Wir kennen die Eifersucht der lateinischen Nationen
aufeinander, wir wissen, welchem Widerstande das Bestreben Napoleons
des Dritten begegnete, die „ Schwesternativnen" unter eine Art französischer
Hegemonie zu bringen, und wir finden in der Geschichte dieses und des vorigen
Jahrhunderts, wie wenig Neigung gerade die Spanier haben, sich von Frankreich
bevormunden und benutzen zu lassen.

Summa und Moral dieser Betrachtung: das deutsche Interesse wird in
der Frage wegen der Karolinen weder der Freundschaft des Berliner Hofes mit
dem Madrider, noch der Befürchtung, daß Spanien bei einem Bestehen der
Deutschen auf ihrem Rechte und daraus hervorgehenden Verlusten Spaniens zur
Republik werden und sich mit Frankreich verschmelzen werde, zum Opfer ge¬
bracht werden. Wir würden einer Eventualität der letztern Art mit Ruhe zu¬
sehen können; denn sie würde erstens Frankreichs Kräfte nicht vermehren und
zweitens keinen langen Bestand haben.

Deutschland wird in der Sache fortfahren, Rücksicht zu üben und zu einer
Verständigung die Hand zu bieten, denn es ist in erster Linie eine friedliche
Macht. Aber es wird sich unbilligen Zumutungen nicht fügen. Spanien wird
mit sich reden lassen müssen. Es geht in der Politik nicht mit dem Don Quixote
und dem Eigensinn Don Colibrados. Hier haben Recht, Verstand und Billig¬
keit, nicht der Dünkel von Leuten das Wort, die große Herren gewesen sind
und das nicht vergessen können. Die gesamte öffentliche Meinung außerhalb
Spaniens steht hier auf unsrer Seite, selbst die französischen Blätter, soweit
sie nicht von Gefühlen beherrscht und von Phantasie verwirrt sind. Dasselbe
gilt von der englischen Presse, wie wir bei den scheelen Blicken, mit denen man


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[0621] Der Streit über die Karolinen. sein, an spanische und andre Republikaner, die Neigung verrieten, von dem Freundschaftsverhältnisse des Königs in Madrid zum Berliner Hose Nutzen zu ziehen, daraufhin gegen Deutschland die Übermütigen zu spielen und so sich als Patrioten die Volksgunst zu verschaffen, so zur Macht zu gelangen und sich damit gegen den „Ulanenobcrst" zu wenden und die Monarchie in Spanien zu untergraben, zuletzt aber eine Fusion mit der stammverwandten, auch lateinischen französischen Nachbcirrcpublik herbeizuführen. Diesen wurde gesagt, daß Deutsch land einer solchen Verschmelzung mit kühler Ruhe zusehen würde. Und das wäre in der That erlaubt; denn zwei mit einander vereinigt würden in diesem Falle nicht mehr bedeuten als zwei getrennt neben einander. Eine spanische Republik verschmolzen mit einer französischen würde eher eine Schwächung als eine Stärkung der letzteren sein, eine Einimpfung von Gebrechen, welche diese nicht oder nur in schwachem Maße an sich hat, eine Verbindung von disparaten Elementen, welche mit der Phrase von der Einheit der lateinischen Rasse nicht hinwegznzanbern sind. Gewiß ist, daß viele Spanier republikanische Tendenzen verfolgen, ebenso gewiß aber auch, daß sehr wenige sich mit Frankreich vereinigt sehen möchten, da sie dann das schwächere Glied und somit dem stärkeren untergeordnet sein würden. Wir kennen die Eifersucht der lateinischen Nationen aufeinander, wir wissen, welchem Widerstande das Bestreben Napoleons des Dritten begegnete, die „ Schwesternativnen" unter eine Art französischer Hegemonie zu bringen, und wir finden in der Geschichte dieses und des vorigen Jahrhunderts, wie wenig Neigung gerade die Spanier haben, sich von Frankreich bevormunden und benutzen zu lassen. Summa und Moral dieser Betrachtung: das deutsche Interesse wird in der Frage wegen der Karolinen weder der Freundschaft des Berliner Hofes mit dem Madrider, noch der Befürchtung, daß Spanien bei einem Bestehen der Deutschen auf ihrem Rechte und daraus hervorgehenden Verlusten Spaniens zur Republik werden und sich mit Frankreich verschmelzen werde, zum Opfer ge¬ bracht werden. Wir würden einer Eventualität der letztern Art mit Ruhe zu¬ sehen können; denn sie würde erstens Frankreichs Kräfte nicht vermehren und zweitens keinen langen Bestand haben. Deutschland wird in der Sache fortfahren, Rücksicht zu üben und zu einer Verständigung die Hand zu bieten, denn es ist in erster Linie eine friedliche Macht. Aber es wird sich unbilligen Zumutungen nicht fügen. Spanien wird mit sich reden lassen müssen. Es geht in der Politik nicht mit dem Don Quixote und dem Eigensinn Don Colibrados. Hier haben Recht, Verstand und Billig¬ keit, nicht der Dünkel von Leuten das Wort, die große Herren gewesen sind und das nicht vergessen können. Die gesamte öffentliche Meinung außerhalb Spaniens steht hier auf unsrer Seite, selbst die französischen Blätter, soweit sie nicht von Gefühlen beherrscht und von Phantasie verwirrt sind. Dasselbe gilt von der englischen Presse, wie wir bei den scheelen Blicken, mit denen man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/621>, abgerufen am 23.11.2024.