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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Streit über die Karolinen.

Wahnsinn vorschlagen. Es würde selbstverständlich ein Seekrieg sein, und daß
die deutsche Kriegsmarine der spanischen überlegen ist, liegt für jeden Kenner
der Verhältnisse auf der Hand. Der Krieg würde Geld und zwar viel Geld
kosten, und Spanien ist jetzt schon halb bankerott. Wenn die deutsche Politik
in der Sache bisher mit großer Rücksicht vorgegangen ist, so ist sie dabei einzig
und allein von ihren stets friedfertigen Grundsätzen und Absichten geleitet worden
und nicht von etwaigen Befürchtungen wegen des Ausganges eines Konfliktes
in Waffen. Ebenso wenig aber auch aus einem andern Grunde, von welchem
manche Blätter Kenntnis haben wollten und an welchen man auch in Madrider
Regierungskreisen gedacht zu haben scheint. Wenn man hier auf ein sehr weites
Entgegenkommen Deutschlands, auf Erfüllung hochgespannter Forderungen
Spaniens hoffte, weil mau meinte, Fürst Bismarck fürchte bei einer andern
Haltung einen Sieg der spanischen Republikaner über die königlichen Parteien
und eine Verschmelzung der dann wieder erstehenden Republik Spanien mit der
französischen Nachbarrepublik, so wird der hochoffiziöse Artikel der " Kölnischen
Zeitung", der eine solche Fusion als für uns gleichgiltig bezeichnete, die Herren
eines andern belehrt haben. Die Redewendungen, nach denen Deutschland gar
kein Interesse an dem politischen Schicksale Spaniens hat, nach denen es dem
deutschen Reiche ganz gleichgiltig sein kann, ob Spanien sich in ein Abhängigkeits¬
verhältnis zu Frankreich begiebt und nach denen vom Standpunkte des deutschen
Interesses sogar gegen eine vollständige Fusion der beiden Staaten nichts ein¬
zuwenden sein würde -- diese Sätze waren offenbar ebenso für höhere Re-
giuucu bestimmt wie vor einigen Monaten die parlamentarische Rede des Reichs¬
kanzlers, in der er erklärte, daß das Haus der preußischen Könige und deutschen
Kaiser in der auswärtigen Politik sich niemals durch verwandtschaftliche Rück¬
sichten bestimmen lasse, sondern hier nur dem Gebote des Landesinteresses folgen
könne. Diese Wahrheit wurde jetzt dahin erweitert, daß auch freundschaftliche
Beziehungen zwischen den Dynastien die deutsche Politik nicht beeinflussen und
dazu veranlassen dürften, Schritte zu thun, die nicht zugleich im Interesse des
preußischen und deutscheu Staates lägen, und wurde damals indirekt nach
London hingesprvchen, so ging die Erklärung jetzt nach Madrid. Sie lautete
jetzt, wenn man zwischen den Zeilen las, ungefähr folgendermaßen: Unser kaiser¬
liches Haus ist mit dem Könige Alfonso dem Zwölften befreundet und wünscht
selbstverständlich, daß er auf dem spanischen Throne verbleibe, und daß in
Spanien die monarchische Staatsverfassung sich erhalte, darf aber diesem Wunsche
und jenen freundschaftlichen Gefühlen das deutsche Interesse nicht unterordnen,
und wenn ihr glaubt, ihr dürfet darauf bauen, daß die deutsche Politik jener
Freundschaft wegen sich von euch irgendwie mehr bieten lassen werde, als die
Billigkeit verlangt, mehr als unser Interesse erlaubt, so gebt ihr euch einem
Irrtum hin, so habt ihr falsch gerechnet. Die Warnung galt Ministern, welche
so zu rechnen schienen; sie konnte aber auch an eine andre Adresse gerichtet


Der Streit über die Karolinen.

Wahnsinn vorschlagen. Es würde selbstverständlich ein Seekrieg sein, und daß
die deutsche Kriegsmarine der spanischen überlegen ist, liegt für jeden Kenner
der Verhältnisse auf der Hand. Der Krieg würde Geld und zwar viel Geld
kosten, und Spanien ist jetzt schon halb bankerott. Wenn die deutsche Politik
in der Sache bisher mit großer Rücksicht vorgegangen ist, so ist sie dabei einzig
und allein von ihren stets friedfertigen Grundsätzen und Absichten geleitet worden
und nicht von etwaigen Befürchtungen wegen des Ausganges eines Konfliktes
in Waffen. Ebenso wenig aber auch aus einem andern Grunde, von welchem
manche Blätter Kenntnis haben wollten und an welchen man auch in Madrider
Regierungskreisen gedacht zu haben scheint. Wenn man hier auf ein sehr weites
Entgegenkommen Deutschlands, auf Erfüllung hochgespannter Forderungen
Spaniens hoffte, weil mau meinte, Fürst Bismarck fürchte bei einer andern
Haltung einen Sieg der spanischen Republikaner über die königlichen Parteien
und eine Verschmelzung der dann wieder erstehenden Republik Spanien mit der
französischen Nachbarrepublik, so wird der hochoffiziöse Artikel der „ Kölnischen
Zeitung", der eine solche Fusion als für uns gleichgiltig bezeichnete, die Herren
eines andern belehrt haben. Die Redewendungen, nach denen Deutschland gar
kein Interesse an dem politischen Schicksale Spaniens hat, nach denen es dem
deutschen Reiche ganz gleichgiltig sein kann, ob Spanien sich in ein Abhängigkeits¬
verhältnis zu Frankreich begiebt und nach denen vom Standpunkte des deutschen
Interesses sogar gegen eine vollständige Fusion der beiden Staaten nichts ein¬
zuwenden sein würde — diese Sätze waren offenbar ebenso für höhere Re-
giuucu bestimmt wie vor einigen Monaten die parlamentarische Rede des Reichs¬
kanzlers, in der er erklärte, daß das Haus der preußischen Könige und deutschen
Kaiser in der auswärtigen Politik sich niemals durch verwandtschaftliche Rück¬
sichten bestimmen lasse, sondern hier nur dem Gebote des Landesinteresses folgen
könne. Diese Wahrheit wurde jetzt dahin erweitert, daß auch freundschaftliche
Beziehungen zwischen den Dynastien die deutsche Politik nicht beeinflussen und
dazu veranlassen dürften, Schritte zu thun, die nicht zugleich im Interesse des
preußischen und deutscheu Staates lägen, und wurde damals indirekt nach
London hingesprvchen, so ging die Erklärung jetzt nach Madrid. Sie lautete
jetzt, wenn man zwischen den Zeilen las, ungefähr folgendermaßen: Unser kaiser¬
liches Haus ist mit dem Könige Alfonso dem Zwölften befreundet und wünscht
selbstverständlich, daß er auf dem spanischen Throne verbleibe, und daß in
Spanien die monarchische Staatsverfassung sich erhalte, darf aber diesem Wunsche
und jenen freundschaftlichen Gefühlen das deutsche Interesse nicht unterordnen,
und wenn ihr glaubt, ihr dürfet darauf bauen, daß die deutsche Politik jener
Freundschaft wegen sich von euch irgendwie mehr bieten lassen werde, als die
Billigkeit verlangt, mehr als unser Interesse erlaubt, so gebt ihr euch einem
Irrtum hin, so habt ihr falsch gerechnet. Die Warnung galt Ministern, welche
so zu rechnen schienen; sie konnte aber auch an eine andre Adresse gerichtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/620>, abgerufen am 01.09.2024.