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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

in einem Saale, so würde man kaum glauben, daß sie ein und demselben Pinsel
entstammen. Kaum daß ihn der eigentümliche Fleischton verrät, den die Hände
fast aller seiner Figuren zeigen. Wenn er hier in der Darstellung derben,
üppigen Naturgenusses, der Freuden des Mahles und der Jagd förmlich zu
schwelgen scheint, so weiß er dort einen religiösen Vorwurf mit der reinsten und
frömmsten Empfindung zu gestalten; während er uns hier durch seine seine
Charakteristik als Porträtmaler zur Bewunderung hinreißt, fesselt er uns dort
wieder durch die grandiose Behandlung eines philosophischen Themas, So schuf
er während der letzten Jahre die im Stil der alten Niederländer gehaltene
"Wildprethändlerin," die prächtige Kohlenskizze "Ruhe nach der Jagd," dann
aber auch mehr im Geiste deutscher Rcunissanee eine Reihe von Altarbildern,
die in dem Beschauer die andächtigste Stimmung hervorzurufen geeignet sind;
er malte für den Prvnwtionssaal der theologischen Fakultät vier Bilder, Väter
der Kirche darstellend, die in der Behandlung des Inkarnats an Rubens'
Manier erinnern, in der Charakteristik aber keinerlei fremden Einfluß verrate"?.
Wunderbar prägte sich da auf dem Antlitz Cassiodors hehre Ruhe ans, während
recht im Gegensatz dazu Bencdieius voll leidenschaftlicher Bewegung schien: be¬
geistert sieht er von seinem Buche auf, als ob er einer Stimme von oben lauschen
wollte. In Papst Leo ergriff uns die Hoheit des Greisenalters gepaart mit
der erhabensten priesterlichen Würde, in Boetius der fromme Schwärmersinn,
dein das Irdische ein längst Überwundenes ist. Aber der gewaltigste Teil seiner
Arbeitskraft gehörte in den letzten Jahren dem großen Deckengemälde, das für
das neue naturhistorische Museum bestimmt ist: dem "Kreislauf des Lebens."
Das Bild -- es war im letzten Frühjahre im Künstlerhanse ausgestellt --
dürfte wohl das größte auf Leinwand gemalte Ölbild sein. Die Form ist
quadratisch. In der Mitte unten beginnt die Handlung: hier sitzt Kronos mit
der Sanduhr sinnend am Weltenmeer. Nach rechts hin aufwärts entwickelt sich
das menschliche Treiben. Ein Mann ersticht da ein großes Seeungeheuer und
stellt so den Kampf des Menschen mit den feindlichen Mitbewohnern der Erde
dar. Weiter hinauf blickend sehen wir, wie Mann und Weib sich zum Bunde
finden, dann den Trieb nach Erwerb personifizirt, indem ein Mann hastig nach
aufgeschüttetem Golde greift. Ganz oben schließen zwei kämpfende Reiter die
Darstellung ab. Auf der andern Seite ist der Niedergang von Natur- und
Menschenleben geschildert. Der Blitz schlägt in eine mächtige Eiche und spaltet
sie, der Mann mit dem Golde windet sich auf dem Boden; von da an stürzt
nun alles, Männer und Weiber, in wirrem Durcheinander in die Tiefe, wieder
zu Kronos hinab. Dieses Spiel, das Aufwärtsstreben und Abwärtsstürzen, muß
man sich endlos wiederholt denken, die kreisförmige Anordnung der Gruppen
drängt den Beschauer dazu. In der Mitte, zwischen den einzelnen Gruppen,
breitet sich das Meer aus; auf einer Insel ruht die Sphinx, ihre Löwentatze
auf ein Buch mit sieben Siegeln legend.


Unpolitische Briefe aus Wien.

in einem Saale, so würde man kaum glauben, daß sie ein und demselben Pinsel
entstammen. Kaum daß ihn der eigentümliche Fleischton verrät, den die Hände
fast aller seiner Figuren zeigen. Wenn er hier in der Darstellung derben,
üppigen Naturgenusses, der Freuden des Mahles und der Jagd förmlich zu
schwelgen scheint, so weiß er dort einen religiösen Vorwurf mit der reinsten und
frömmsten Empfindung zu gestalten; während er uns hier durch seine seine
Charakteristik als Porträtmaler zur Bewunderung hinreißt, fesselt er uns dort
wieder durch die grandiose Behandlung eines philosophischen Themas, So schuf
er während der letzten Jahre die im Stil der alten Niederländer gehaltene
„Wildprethändlerin," die prächtige Kohlenskizze „Ruhe nach der Jagd," dann
aber auch mehr im Geiste deutscher Rcunissanee eine Reihe von Altarbildern,
die in dem Beschauer die andächtigste Stimmung hervorzurufen geeignet sind;
er malte für den Prvnwtionssaal der theologischen Fakultät vier Bilder, Väter
der Kirche darstellend, die in der Behandlung des Inkarnats an Rubens'
Manier erinnern, in der Charakteristik aber keinerlei fremden Einfluß verrate»?.
Wunderbar prägte sich da auf dem Antlitz Cassiodors hehre Ruhe ans, während
recht im Gegensatz dazu Bencdieius voll leidenschaftlicher Bewegung schien: be¬
geistert sieht er von seinem Buche auf, als ob er einer Stimme von oben lauschen
wollte. In Papst Leo ergriff uns die Hoheit des Greisenalters gepaart mit
der erhabensten priesterlichen Würde, in Boetius der fromme Schwärmersinn,
dein das Irdische ein längst Überwundenes ist. Aber der gewaltigste Teil seiner
Arbeitskraft gehörte in den letzten Jahren dem großen Deckengemälde, das für
das neue naturhistorische Museum bestimmt ist: dem „Kreislauf des Lebens."
Das Bild — es war im letzten Frühjahre im Künstlerhanse ausgestellt —
dürfte wohl das größte auf Leinwand gemalte Ölbild sein. Die Form ist
quadratisch. In der Mitte unten beginnt die Handlung: hier sitzt Kronos mit
der Sanduhr sinnend am Weltenmeer. Nach rechts hin aufwärts entwickelt sich
das menschliche Treiben. Ein Mann ersticht da ein großes Seeungeheuer und
stellt so den Kampf des Menschen mit den feindlichen Mitbewohnern der Erde
dar. Weiter hinauf blickend sehen wir, wie Mann und Weib sich zum Bunde
finden, dann den Trieb nach Erwerb personifizirt, indem ein Mann hastig nach
aufgeschüttetem Golde greift. Ganz oben schließen zwei kämpfende Reiter die
Darstellung ab. Auf der andern Seite ist der Niedergang von Natur- und
Menschenleben geschildert. Der Blitz schlägt in eine mächtige Eiche und spaltet
sie, der Mann mit dem Golde windet sich auf dem Boden; von da an stürzt
nun alles, Männer und Weiber, in wirrem Durcheinander in die Tiefe, wieder
zu Kronos hinab. Dieses Spiel, das Aufwärtsstreben und Abwärtsstürzen, muß
man sich endlos wiederholt denken, die kreisförmige Anordnung der Gruppen
drängt den Beschauer dazu. In der Mitte, zwischen den einzelnen Gruppen,
breitet sich das Meer aus; auf einer Insel ruht die Sphinx, ihre Löwentatze
auf ein Buch mit sieben Siegeln legend.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/614>, abgerufen am 01.09.2024.