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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Frauen- und Kinderporträts müssen heute alle rühmend genannt werden, wenn
man über Wiener Porträtmalerei spricht.

Auf dem Gebiete der Aquarellmalerei ist wenig Nachwuchs. In der
Familie Alt scheint allerdings das väterliche Gut unversehrt auf die Söhne
überzugehen, deun Franz Alt ist ganz auf dem Wege, die Meisterschaft Rudolfs
zu erwerben. Sonst sind nur noch Fendi, Schindler und Hlavaeek zu nennen:
die Motive ihrer Bilder sind teils landschaftliche, teils genrehafte, in der Technik
wirken die guten Traditionen der frühern Generation kräftig nach.

Eine originelle, ziemlich isolirt stehende Erscheinung unter unsern modernen
Malern ist Julius von Payer, dessen "Bai des Todes," im vergangnen
Winter im Künstlerhause allsgestellt, viel vou sich reden gemacht hat. Paher
war Führer der letzten österreichischen Nordpolexpcditivn, als Maler hat er
viel von den Franzosen gelernt. In der "Bai des Todes" will man speziell
den Einfluß von Gerieaults "Floß der Medusa" bemerken. Der Vorwurf ist
der Untergang der Franklin-Expedition. Wir sehen einen Kahn, der in den
Eismassen des Nvrdmecres festgebannt liegt, angefüllt mit Toten: sie sind alle
erfroren. Nur einer lebt noch, hat die Flinte ergriffen, um sich und die Leich¬
name seiner Gefährten gegen nahende Eisbären zu verteidigen. Das Schauer¬
liche der Szene wird durch die helle Nacht, den grauen Himmel, die wehenden
Eisnadeln noch erhöht. Die Ausführung ist gut, scharf, ganz realistisch, und
doch ohne melodramatische Übertreibung. Paher hat sich mit diesem Bilde -- und
es soll bald ein zweites von ähnlichem Genre folgen -- in die erste Reihe
unsrer Maler gestellt.

Aber wenn man von moderner Wiener Malerei spricht, denkt man zunächst
an keinen von den Namen, die wir bis jetzt nannten. Die Künstler, in denen
Deutschland, Europa, ja die ganze gebildete Welt die heutige Wiener Kunst
gleichsam verkörpert sieht, die man für ihre berufensten Vertreter hält, nach
deren Schöpfungen man sie fast einzig beurteilt, sind Makart und Canon.^)

In diesen beiden, namentlich aber in Makart, scheint uns das Individuelle
das Allgemeine bedeutender zu überwiegen als bei irgendeinem modernen Künstler,
die persönliche Eigenart alles Typische und Konventionelle auszulöschen. Ob
Makart in diesem oder jenem Genre sich bethätigte: er war für uns immer
Makart; daß auch er nur an schon Borhandnes anknüpfen, mir Traditionelles
weiterbilden konnte, sehen wir heute noch nicht. Dasselbe gilt, wenn auch nicht
ganz in gleichem Maße, von Canon. Ohne daß wir sie mit den großen Meistern
der Vergangenheit vergleichen möchten -- wir ziehen ihnen vielleicht sogar
Künstler der Gegenwart vor --, scheint es uns doch, als wenn sie etwas ganz
Apartes, ganz Originelles in der Kunstgeschichte überhaupt zu bedeuten hätten.



^) Auch Canon ist inzwischen uns den Reihen der Lebenden geschieden in Wien
am 12. September).
Unpolitische Briefe aus Wien.

Frauen- und Kinderporträts müssen heute alle rühmend genannt werden, wenn
man über Wiener Porträtmalerei spricht.

Auf dem Gebiete der Aquarellmalerei ist wenig Nachwuchs. In der
Familie Alt scheint allerdings das väterliche Gut unversehrt auf die Söhne
überzugehen, deun Franz Alt ist ganz auf dem Wege, die Meisterschaft Rudolfs
zu erwerben. Sonst sind nur noch Fendi, Schindler und Hlavaeek zu nennen:
die Motive ihrer Bilder sind teils landschaftliche, teils genrehafte, in der Technik
wirken die guten Traditionen der frühern Generation kräftig nach.

Eine originelle, ziemlich isolirt stehende Erscheinung unter unsern modernen
Malern ist Julius von Payer, dessen „Bai des Todes," im vergangnen
Winter im Künstlerhause allsgestellt, viel vou sich reden gemacht hat. Paher
war Führer der letzten österreichischen Nordpolexpcditivn, als Maler hat er
viel von den Franzosen gelernt. In der „Bai des Todes" will man speziell
den Einfluß von Gerieaults „Floß der Medusa" bemerken. Der Vorwurf ist
der Untergang der Franklin-Expedition. Wir sehen einen Kahn, der in den
Eismassen des Nvrdmecres festgebannt liegt, angefüllt mit Toten: sie sind alle
erfroren. Nur einer lebt noch, hat die Flinte ergriffen, um sich und die Leich¬
name seiner Gefährten gegen nahende Eisbären zu verteidigen. Das Schauer¬
liche der Szene wird durch die helle Nacht, den grauen Himmel, die wehenden
Eisnadeln noch erhöht. Die Ausführung ist gut, scharf, ganz realistisch, und
doch ohne melodramatische Übertreibung. Paher hat sich mit diesem Bilde — und
es soll bald ein zweites von ähnlichem Genre folgen — in die erste Reihe
unsrer Maler gestellt.

Aber wenn man von moderner Wiener Malerei spricht, denkt man zunächst
an keinen von den Namen, die wir bis jetzt nannten. Die Künstler, in denen
Deutschland, Europa, ja die ganze gebildete Welt die heutige Wiener Kunst
gleichsam verkörpert sieht, die man für ihre berufensten Vertreter hält, nach
deren Schöpfungen man sie fast einzig beurteilt, sind Makart und Canon.^)

In diesen beiden, namentlich aber in Makart, scheint uns das Individuelle
das Allgemeine bedeutender zu überwiegen als bei irgendeinem modernen Künstler,
die persönliche Eigenart alles Typische und Konventionelle auszulöschen. Ob
Makart in diesem oder jenem Genre sich bethätigte: er war für uns immer
Makart; daß auch er nur an schon Borhandnes anknüpfen, mir Traditionelles
weiterbilden konnte, sehen wir heute noch nicht. Dasselbe gilt, wenn auch nicht
ganz in gleichem Maße, von Canon. Ohne daß wir sie mit den großen Meistern
der Vergangenheit vergleichen möchten — wir ziehen ihnen vielleicht sogar
Künstler der Gegenwart vor —, scheint es uns doch, als wenn sie etwas ganz
Apartes, ganz Originelles in der Kunstgeschichte überhaupt zu bedeuten hätten.



^) Auch Canon ist inzwischen uns den Reihen der Lebenden geschieden in Wien
am 12. September).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/610>, abgerufen am 22.11.2024.