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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Pnvatkapitals.

marschirt, denn es sei unmöglich, durch Zahlen zu beweisen, daß der Weg nach
dem Paradiese nicht durch das heilige Land sichre; aber es sei möglich, durch
Zahlen zu beweisen, daß der Weg zum nationalen Verderben durch die Staats¬
schuld führe; es wäre besser für England gewesen, von Preußen oder Österreich
besiegt, als mit einer Schuld von 120 Millionen Pfund belastet zu werden.
Adam Smith verbarg sich zwar nicht, baß die Nation trotz der Schuld reicher
geworden sei, aber er meinte doch, das Experiment sei gefährlich zu wieder¬
holen, das Maß sei voll und die geringste Häufung könnte verhängnisvoll
werden. George Grenville war der Meinung, England vermöge eine Schuld
von 120 Millionen nicht zu tragen, ohne eitlen Teil der Last auf die amerika-
nischen Kolonien abzuwälzen. Der Versuch mißlang, die Kolonien giltgeil ver¬
loren, und die Schuld stieg auf 240 Millionen. Nach den Koalitivustricgen
von 1793 bis 1815 hatte die Schuld 800 Millionen überstiegen; aber England
war immer reicher geworden und konnte die Zinsenlast mindestens ebenso gut
wie früher ertragen; Englands Wohlstand ist bis auf diese Tage immer ge¬
wachsen, ohne daß es seine Schuld wesentlich vermindert Hütte. Aber erst 1827
gab es den Grundsatz der Amortisation auf, als seine Staatsmänner endlich
einsahen, daß es thöricht sei, Schulden zu machen, um Schulden zu tilgen, und
als sie berechneten, daß diese Thorheit der Staatskasse einen Verlust vou
11 bis 14 Millionen Pfund eingetragen hatte. Man begreift jetzt, daß dieser
Schuld eben doch ein Aktivum gegenübersteht, welches der heutige Stand der
Kultur in England ist. daß selbst die ungeheuern Kricgsansgaben, von denen
die Schuld ja vorzugsweise herrührt, uicht als unproduktive bezeichnet werden
können, weil sie Englands Unabhängigkeit erhalten, seine Herrschaft auf allen
Meeren begründet und überhaupt die Grundlage" seines unerhörten Reichtums
gelegt haben.

In Frankreich war eS Cambvn, der 1791 das erlösende Wort sprach, daß
die Staatsschuld keine Kapitalschnld sei, sondern das Versprechen einer ewigen
Rente. Man ist zwar unter der Restauration zur Amortisation zurückgekehrt,
hat sie 1840 abgeschafft, 1858 erneuert, aber endlich doch 1859 im Prinzip
definitiv beseitigt. Man hat berechnet, daß in den achtzehn Jahren der Juli-
Monarchie 590 Millionen Franks ans den Rückkauf von Reute verwendet, aber
900 Millionen neu aufgenommen worden sind, und daß der Staat bei dem
Geschäfte 307 Millionen eingebüßt hat. Auch Österreich hat die Tilgung im
Prinzip 1859 (?) abgeschafft. In Preußen hat das Herrenhaus seit 1856 seine
Abneigung gegen das Prinzip der Amortisation zu wiederholten malen kund¬
gegeben, und im Abgeordnetenhause hat 1867 Tochter diese Frage zur Sprache
gebracht. Aber Preußen fährt bis auf den heutigen Tag fort, Schulden zu
tilgen.

Es ist wahr, die Finanz ist nicht ausschließlich eine Wissenschaft, sie ist
auch eine Kunst, d. h. ein Finanzminister muß im einzelnen Falle diejenigen


Der Notstand des Pnvatkapitals.

marschirt, denn es sei unmöglich, durch Zahlen zu beweisen, daß der Weg nach
dem Paradiese nicht durch das heilige Land sichre; aber es sei möglich, durch
Zahlen zu beweisen, daß der Weg zum nationalen Verderben durch die Staats¬
schuld führe; es wäre besser für England gewesen, von Preußen oder Österreich
besiegt, als mit einer Schuld von 120 Millionen Pfund belastet zu werden.
Adam Smith verbarg sich zwar nicht, baß die Nation trotz der Schuld reicher
geworden sei, aber er meinte doch, das Experiment sei gefährlich zu wieder¬
holen, das Maß sei voll und die geringste Häufung könnte verhängnisvoll
werden. George Grenville war der Meinung, England vermöge eine Schuld
von 120 Millionen nicht zu tragen, ohne eitlen Teil der Last auf die amerika-
nischen Kolonien abzuwälzen. Der Versuch mißlang, die Kolonien giltgeil ver¬
loren, und die Schuld stieg auf 240 Millionen. Nach den Koalitivustricgen
von 1793 bis 1815 hatte die Schuld 800 Millionen überstiegen; aber England
war immer reicher geworden und konnte die Zinsenlast mindestens ebenso gut
wie früher ertragen; Englands Wohlstand ist bis auf diese Tage immer ge¬
wachsen, ohne daß es seine Schuld wesentlich vermindert Hütte. Aber erst 1827
gab es den Grundsatz der Amortisation auf, als seine Staatsmänner endlich
einsahen, daß es thöricht sei, Schulden zu machen, um Schulden zu tilgen, und
als sie berechneten, daß diese Thorheit der Staatskasse einen Verlust vou
11 bis 14 Millionen Pfund eingetragen hatte. Man begreift jetzt, daß dieser
Schuld eben doch ein Aktivum gegenübersteht, welches der heutige Stand der
Kultur in England ist. daß selbst die ungeheuern Kricgsansgaben, von denen
die Schuld ja vorzugsweise herrührt, uicht als unproduktive bezeichnet werden
können, weil sie Englands Unabhängigkeit erhalten, seine Herrschaft auf allen
Meeren begründet und überhaupt die Grundlage» seines unerhörten Reichtums
gelegt haben.

In Frankreich war eS Cambvn, der 1791 das erlösende Wort sprach, daß
die Staatsschuld keine Kapitalschnld sei, sondern das Versprechen einer ewigen
Rente. Man ist zwar unter der Restauration zur Amortisation zurückgekehrt,
hat sie 1840 abgeschafft, 1858 erneuert, aber endlich doch 1859 im Prinzip
definitiv beseitigt. Man hat berechnet, daß in den achtzehn Jahren der Juli-
Monarchie 590 Millionen Franks ans den Rückkauf von Reute verwendet, aber
900 Millionen neu aufgenommen worden sind, und daß der Staat bei dem
Geschäfte 307 Millionen eingebüßt hat. Auch Österreich hat die Tilgung im
Prinzip 1859 (?) abgeschafft. In Preußen hat das Herrenhaus seit 1856 seine
Abneigung gegen das Prinzip der Amortisation zu wiederholten malen kund¬
gegeben, und im Abgeordnetenhause hat 1867 Tochter diese Frage zur Sprache
gebracht. Aber Preußen fährt bis auf den heutigen Tag fort, Schulden zu
tilgen.

Es ist wahr, die Finanz ist nicht ausschließlich eine Wissenschaft, sie ist
auch eine Kunst, d. h. ein Finanzminister muß im einzelnen Falle diejenigen


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[0605] Der Notstand des Pnvatkapitals. marschirt, denn es sei unmöglich, durch Zahlen zu beweisen, daß der Weg nach dem Paradiese nicht durch das heilige Land sichre; aber es sei möglich, durch Zahlen zu beweisen, daß der Weg zum nationalen Verderben durch die Staats¬ schuld führe; es wäre besser für England gewesen, von Preußen oder Österreich besiegt, als mit einer Schuld von 120 Millionen Pfund belastet zu werden. Adam Smith verbarg sich zwar nicht, baß die Nation trotz der Schuld reicher geworden sei, aber er meinte doch, das Experiment sei gefährlich zu wieder¬ holen, das Maß sei voll und die geringste Häufung könnte verhängnisvoll werden. George Grenville war der Meinung, England vermöge eine Schuld von 120 Millionen nicht zu tragen, ohne eitlen Teil der Last auf die amerika- nischen Kolonien abzuwälzen. Der Versuch mißlang, die Kolonien giltgeil ver¬ loren, und die Schuld stieg auf 240 Millionen. Nach den Koalitivustricgen von 1793 bis 1815 hatte die Schuld 800 Millionen überstiegen; aber England war immer reicher geworden und konnte die Zinsenlast mindestens ebenso gut wie früher ertragen; Englands Wohlstand ist bis auf diese Tage immer ge¬ wachsen, ohne daß es seine Schuld wesentlich vermindert Hütte. Aber erst 1827 gab es den Grundsatz der Amortisation auf, als seine Staatsmänner endlich einsahen, daß es thöricht sei, Schulden zu machen, um Schulden zu tilgen, und als sie berechneten, daß diese Thorheit der Staatskasse einen Verlust vou 11 bis 14 Millionen Pfund eingetragen hatte. Man begreift jetzt, daß dieser Schuld eben doch ein Aktivum gegenübersteht, welches der heutige Stand der Kultur in England ist. daß selbst die ungeheuern Kricgsansgaben, von denen die Schuld ja vorzugsweise herrührt, uicht als unproduktive bezeichnet werden können, weil sie Englands Unabhängigkeit erhalten, seine Herrschaft auf allen Meeren begründet und überhaupt die Grundlage» seines unerhörten Reichtums gelegt haben. In Frankreich war eS Cambvn, der 1791 das erlösende Wort sprach, daß die Staatsschuld keine Kapitalschnld sei, sondern das Versprechen einer ewigen Rente. Man ist zwar unter der Restauration zur Amortisation zurückgekehrt, hat sie 1840 abgeschafft, 1858 erneuert, aber endlich doch 1859 im Prinzip definitiv beseitigt. Man hat berechnet, daß in den achtzehn Jahren der Juli- Monarchie 590 Millionen Franks ans den Rückkauf von Reute verwendet, aber 900 Millionen neu aufgenommen worden sind, und daß der Staat bei dem Geschäfte 307 Millionen eingebüßt hat. Auch Österreich hat die Tilgung im Prinzip 1859 (?) abgeschafft. In Preußen hat das Herrenhaus seit 1856 seine Abneigung gegen das Prinzip der Amortisation zu wiederholten malen kund¬ gegeben, und im Abgeordnetenhause hat 1867 Tochter diese Frage zur Sprache gebracht. Aber Preußen fährt bis auf den heutigen Tag fort, Schulden zu tilgen. Es ist wahr, die Finanz ist nicht ausschließlich eine Wissenschaft, sie ist auch eine Kunst, d. h. ein Finanzminister muß im einzelnen Falle diejenigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/605>, abgerufen am 28.07.2024.