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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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schäftigcn vermochte; zudem hatte die Nachfrage des Staates nach Kapital fast
gänzlich aufgehört, und es gab daher keine andre Möglichkeit als ein schnelles
und andauerndes Sinken des Zinsfußes, Es gilt heute als ausgemacht, daß
jener traurige Erfolg, jenes Zerrinnen so vieler Millionen in unsern Händen
hätte vermieden werden können, wenn man die Schleusen des großen Reichs¬
geldbehälters weniger rasch geöffnet hätte, wenn man auf sofortigen Zinsgenuß
verzichtet oder vorläufig Anlagen im Auslande gesucht hätte, von wo dann das
Geld nicht in verderblichem Strome, sondern in befruchtenden kleinen Rinnsalen
allmählich in das nationale Anlagevermögen hätte übergeleitet werden können.
Thatsache ist es, daß der Staat gerade zu der Zeit, als der fast dreißig Jahre
bestehende ungeheure Bedarf an Kapital für die Eisenbahnzwecke aufhörte, als
dieser Abzugskanal für den Kopitalmakt verstopft wurde, durch die Kriegsent-
schädiguug eine Fülle von Kapital einströmen ließ, für welche das Land keine
solide Verwendung hatte. Die sinkende Bewegung des Zinsfußes fand durch das
geschilderte Verfahren des Staates bei Verwendung der Kriegsentschädigung na¬
türlich einen mächtigen Antrieb.

Seitdem sind unsre Regierungen nicht wieder in die Lage gekommen, er¬
hebliche Ansprüche an den Kapitalmarkt zu stellen, o. h. Gelegenheit zu um¬
fangreichen Anlagen zu geben, wohl aber fahren sie fort, dnrch Heimzahlungen
neue Kapitalien auf den überfüllten Markt zu bringen und damit einen fort¬
währenden empfindlichen Druck auf den Zinsfuß zu üben.

Wein? mau uns also fragt: was kann der Staat thun, um einem weitern
Sinken des Zinsfußes entgegenzuwirken? so antworten wir, er kann erstens durch
Einstellen der Staatsschnldentilgnng die Kapitalisten der Notwendigkeit entheben,
für bereits angelegte Gelder neue Anlagen zu suchen, oder anders ausgedrückt:
er kann den Markt vor dem Zurückströmen von Kapitalien bewahren, deren er
sich bereits entledigt hatte, d. h. er kann das Angebot beschränken, und zweitens er
kann dem Markte umgekehrt vermehrte Gelegenheit zur Anlage bieten, d. h.
die Nachfrage vermehre". Beides steht im engsten Zusammenhang. Sprechen
wir zuerst von der Amortisation.

Die allmähliche Zurückzahlung von Schulden vermittelst eines jährlichen
Prozentsatzes entspricht eigentlich nur einer kleinbürgerlichen Privatwirtschaft.
Wenn ich als ein wohlhabender Mann meinem Nachbar ein Darlehen gebe,
um ihn aus einer Verlegenheit zu ziehen, und wenn ich, da ich wohl weiß, daß
er niemals imstande sein wird, die Schuld auf einem Brette zurückzuzahlen,
auf das Recht der Kündigung verzichte, mir aber die jährliche Abtragung von
einem Prozent des Kapitals ausbedinge, so entspricht dies den Verhältnissen
und dem Standpunkte beider Parteien. Meine Absicht ist, wenn auch nur all-
mählich, wieder zu meinem Gelde zu kommen, die Absicht des Schuldners ist,
sich nach und nach seiner Verbindlichkeit zu entledigen und wieder schuldenfrei
zu werden. Wenn ich ein teures Haus erbaut habe, welches sich nur mühselig


Grmzlwten HI. 1835. 7.,

schäftigcn vermochte; zudem hatte die Nachfrage des Staates nach Kapital fast
gänzlich aufgehört, und es gab daher keine andre Möglichkeit als ein schnelles
und andauerndes Sinken des Zinsfußes, Es gilt heute als ausgemacht, daß
jener traurige Erfolg, jenes Zerrinnen so vieler Millionen in unsern Händen
hätte vermieden werden können, wenn man die Schleusen des großen Reichs¬
geldbehälters weniger rasch geöffnet hätte, wenn man auf sofortigen Zinsgenuß
verzichtet oder vorläufig Anlagen im Auslande gesucht hätte, von wo dann das
Geld nicht in verderblichem Strome, sondern in befruchtenden kleinen Rinnsalen
allmählich in das nationale Anlagevermögen hätte übergeleitet werden können.
Thatsache ist es, daß der Staat gerade zu der Zeit, als der fast dreißig Jahre
bestehende ungeheure Bedarf an Kapital für die Eisenbahnzwecke aufhörte, als
dieser Abzugskanal für den Kopitalmakt verstopft wurde, durch die Kriegsent-
schädiguug eine Fülle von Kapital einströmen ließ, für welche das Land keine
solide Verwendung hatte. Die sinkende Bewegung des Zinsfußes fand durch das
geschilderte Verfahren des Staates bei Verwendung der Kriegsentschädigung na¬
türlich einen mächtigen Antrieb.

Seitdem sind unsre Regierungen nicht wieder in die Lage gekommen, er¬
hebliche Ansprüche an den Kapitalmarkt zu stellen, o. h. Gelegenheit zu um¬
fangreichen Anlagen zu geben, wohl aber fahren sie fort, dnrch Heimzahlungen
neue Kapitalien auf den überfüllten Markt zu bringen und damit einen fort¬
währenden empfindlichen Druck auf den Zinsfuß zu üben.

Wein? mau uns also fragt: was kann der Staat thun, um einem weitern
Sinken des Zinsfußes entgegenzuwirken? so antworten wir, er kann erstens durch
Einstellen der Staatsschnldentilgnng die Kapitalisten der Notwendigkeit entheben,
für bereits angelegte Gelder neue Anlagen zu suchen, oder anders ausgedrückt:
er kann den Markt vor dem Zurückströmen von Kapitalien bewahren, deren er
sich bereits entledigt hatte, d. h. er kann das Angebot beschränken, und zweitens er
kann dem Markte umgekehrt vermehrte Gelegenheit zur Anlage bieten, d. h.
die Nachfrage vermehre». Beides steht im engsten Zusammenhang. Sprechen
wir zuerst von der Amortisation.

Die allmähliche Zurückzahlung von Schulden vermittelst eines jährlichen
Prozentsatzes entspricht eigentlich nur einer kleinbürgerlichen Privatwirtschaft.
Wenn ich als ein wohlhabender Mann meinem Nachbar ein Darlehen gebe,
um ihn aus einer Verlegenheit zu ziehen, und wenn ich, da ich wohl weiß, daß
er niemals imstande sein wird, die Schuld auf einem Brette zurückzuzahlen,
auf das Recht der Kündigung verzichte, mir aber die jährliche Abtragung von
einem Prozent des Kapitals ausbedinge, so entspricht dies den Verhältnissen
und dem Standpunkte beider Parteien. Meine Absicht ist, wenn auch nur all-
mählich, wieder zu meinem Gelde zu kommen, die Absicht des Schuldners ist,
sich nach und nach seiner Verbindlichkeit zu entledigen und wieder schuldenfrei
zu werden. Wenn ich ein teures Haus erbaut habe, welches sich nur mühselig


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[0601] schäftigcn vermochte; zudem hatte die Nachfrage des Staates nach Kapital fast gänzlich aufgehört, und es gab daher keine andre Möglichkeit als ein schnelles und andauerndes Sinken des Zinsfußes, Es gilt heute als ausgemacht, daß jener traurige Erfolg, jenes Zerrinnen so vieler Millionen in unsern Händen hätte vermieden werden können, wenn man die Schleusen des großen Reichs¬ geldbehälters weniger rasch geöffnet hätte, wenn man auf sofortigen Zinsgenuß verzichtet oder vorläufig Anlagen im Auslande gesucht hätte, von wo dann das Geld nicht in verderblichem Strome, sondern in befruchtenden kleinen Rinnsalen allmählich in das nationale Anlagevermögen hätte übergeleitet werden können. Thatsache ist es, daß der Staat gerade zu der Zeit, als der fast dreißig Jahre bestehende ungeheure Bedarf an Kapital für die Eisenbahnzwecke aufhörte, als dieser Abzugskanal für den Kopitalmakt verstopft wurde, durch die Kriegsent- schädiguug eine Fülle von Kapital einströmen ließ, für welche das Land keine solide Verwendung hatte. Die sinkende Bewegung des Zinsfußes fand durch das geschilderte Verfahren des Staates bei Verwendung der Kriegsentschädigung na¬ türlich einen mächtigen Antrieb. Seitdem sind unsre Regierungen nicht wieder in die Lage gekommen, er¬ hebliche Ansprüche an den Kapitalmarkt zu stellen, o. h. Gelegenheit zu um¬ fangreichen Anlagen zu geben, wohl aber fahren sie fort, dnrch Heimzahlungen neue Kapitalien auf den überfüllten Markt zu bringen und damit einen fort¬ währenden empfindlichen Druck auf den Zinsfuß zu üben. Wein? mau uns also fragt: was kann der Staat thun, um einem weitern Sinken des Zinsfußes entgegenzuwirken? so antworten wir, er kann erstens durch Einstellen der Staatsschnldentilgnng die Kapitalisten der Notwendigkeit entheben, für bereits angelegte Gelder neue Anlagen zu suchen, oder anders ausgedrückt: er kann den Markt vor dem Zurückströmen von Kapitalien bewahren, deren er sich bereits entledigt hatte, d. h. er kann das Angebot beschränken, und zweitens er kann dem Markte umgekehrt vermehrte Gelegenheit zur Anlage bieten, d. h. die Nachfrage vermehre». Beides steht im engsten Zusammenhang. Sprechen wir zuerst von der Amortisation. Die allmähliche Zurückzahlung von Schulden vermittelst eines jährlichen Prozentsatzes entspricht eigentlich nur einer kleinbürgerlichen Privatwirtschaft. Wenn ich als ein wohlhabender Mann meinem Nachbar ein Darlehen gebe, um ihn aus einer Verlegenheit zu ziehen, und wenn ich, da ich wohl weiß, daß er niemals imstande sein wird, die Schuld auf einem Brette zurückzuzahlen, auf das Recht der Kündigung verzichte, mir aber die jährliche Abtragung von einem Prozent des Kapitals ausbedinge, so entspricht dies den Verhältnissen und dem Standpunkte beider Parteien. Meine Absicht ist, wenn auch nur all- mählich, wieder zu meinem Gelde zu kommen, die Absicht des Schuldners ist, sich nach und nach seiner Verbindlichkeit zu entledigen und wieder schuldenfrei zu werden. Wenn ich ein teures Haus erbaut habe, welches sich nur mühselig Grmzlwten HI. 1835. 7.,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/601>, abgerufen am 28.07.2024.