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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gstxreußische Skizzen.

junkerlichen Geistes und Wesens erzählt, die noch zu Menschengedenken vor¬
gekommen seien, und vielfach ist es uns bestätigt worden, daß die jetzige, viel¬
fach allerdings gröbliche, tendenziöse Zurückdrängung des Grundadels in der
Selbstverwaltung und im öffentlichen Leben nur der natürliche Rückschlag sei
gegen eine frühere, nicht minder tendenziöse und einseitige Bevorzugung adelicher
Namen. So muß sich alles ausgleichen, und es ist nicht mehr als in der
Ordnung, daß die heutigen "Grafen und Barone" sich doppelt bemühen und
doppelt ihre Tüchtigkeit und persönliche Integrität beweisen müssen, um frühere
Vernachlässigungen aufzuwiegen. Es ist schlimm, daß dergleichen niemals in dem
Rahmen persönlicher Wechselbeziehungen bleiben kann, sondern sich stets auf
öffentliche Angelegenheiten überträgt -- aber das ist nun einmal nicht zu ändern.

In diese Stimmungen und peinlichen Reminiscenzen hinein denke mau sich nun
vor einem oder zwei Menschenaltern den Emporkömmling, den wenig gebildeten,
aber leidlich praktischen Besitzer einer Geldsumme, die ihm den Ankauf eines Ritter¬
guts ermöglicht hat. Er bekommt das Gut billig, denn es ist alles vernachlässigt,
und die Geldgeschäfte des frühern Besitzers sind in einer derartigen Unordnung, daß
schon die Verpflichtung, dieselben abzuwickeln, einen weitern Druck auf den Kaufpreis
geübt hat. Was er von Dienstboten und Jnstleuten über die frühere Herrschaft
erzählen hört, klingt auch nicht alles erbaulich; es ist ohne Zweifel viel Klatsch,
viel verständnislos aufgegriffenes, an sich bedeutungsloses Zeug dabei -- aber
da zu unterscheiden ist seine Stärke nicht. Merken die Leute gar, daß er der¬
artige Dinge gern hört, so wird ihm auch manches geradezuaufgebunden. Die
benachbarten Gutsherren, die Stcindesgcnossen, vielleicht die Verwandten oder
Freunde des frühern Besitzers, gehen nicht mit ihm um; seinen Umgang muß er
sich unter Leuten suchen, die mehr oder weniger in einer ähnlichen Lage sind wie
er. Bebend vor Ingrimm muß seine Frau es sich gefallen lassen, als etwas
Geringeres angesehen zu werden, als die Frau des benachbarten adelichen Guts¬
herrn ; diese ist "gnädige Frau," der Mann "gnädiger Herr," die Tochter "gnädiges
Fräulein," der halberwachsene Sohn "der Herr Junker" -- sie ist "Madame," die
Tochter "Fräulein," und nur ihr Gemahl hat allenfalls bei Kutscher und Be¬
dienten den "gnädigen Herrn" für sich durchgesetzt; daß man aber die Briefe
an ihn mit dem Prädikat "Hochwohlgeboren" versieht, das kann auch er nicht
erreichen. Und doch sind sie weit bester situirt als der, bis an den Hals in
Schulden steckende adeliche Nachbar, und kommen ganz außer Verhältnis besser
vorwärts als er. Warum, in des Teufels Namen, sollen sie nicht ebenso
gut sein? -- Der kennte in der That die Menschen schlecht, der glaubte, der¬
gleichen nichtige Erwägungen könnten doch unmöglich die politischen Gesinnungen
eines Menschen, und gar einer ganzen Generation oder eines ganzen Standes,
beeinflussen. Gerade solche Dinge sind es, unter deren Einfluß die Beziehungen
ganzer heranwachsender Geschlechter zu einander vergiftet werden können. Eitel¬
keit, Titelsucht, Neid sind es ja nicht allein, die da ins Spiel kommen, sondern


Gstxreußische Skizzen.

junkerlichen Geistes und Wesens erzählt, die noch zu Menschengedenken vor¬
gekommen seien, und vielfach ist es uns bestätigt worden, daß die jetzige, viel¬
fach allerdings gröbliche, tendenziöse Zurückdrängung des Grundadels in der
Selbstverwaltung und im öffentlichen Leben nur der natürliche Rückschlag sei
gegen eine frühere, nicht minder tendenziöse und einseitige Bevorzugung adelicher
Namen. So muß sich alles ausgleichen, und es ist nicht mehr als in der
Ordnung, daß die heutigen „Grafen und Barone" sich doppelt bemühen und
doppelt ihre Tüchtigkeit und persönliche Integrität beweisen müssen, um frühere
Vernachlässigungen aufzuwiegen. Es ist schlimm, daß dergleichen niemals in dem
Rahmen persönlicher Wechselbeziehungen bleiben kann, sondern sich stets auf
öffentliche Angelegenheiten überträgt — aber das ist nun einmal nicht zu ändern.

In diese Stimmungen und peinlichen Reminiscenzen hinein denke mau sich nun
vor einem oder zwei Menschenaltern den Emporkömmling, den wenig gebildeten,
aber leidlich praktischen Besitzer einer Geldsumme, die ihm den Ankauf eines Ritter¬
guts ermöglicht hat. Er bekommt das Gut billig, denn es ist alles vernachlässigt,
und die Geldgeschäfte des frühern Besitzers sind in einer derartigen Unordnung, daß
schon die Verpflichtung, dieselben abzuwickeln, einen weitern Druck auf den Kaufpreis
geübt hat. Was er von Dienstboten und Jnstleuten über die frühere Herrschaft
erzählen hört, klingt auch nicht alles erbaulich; es ist ohne Zweifel viel Klatsch,
viel verständnislos aufgegriffenes, an sich bedeutungsloses Zeug dabei — aber
da zu unterscheiden ist seine Stärke nicht. Merken die Leute gar, daß er der¬
artige Dinge gern hört, so wird ihm auch manches geradezuaufgebunden. Die
benachbarten Gutsherren, die Stcindesgcnossen, vielleicht die Verwandten oder
Freunde des frühern Besitzers, gehen nicht mit ihm um; seinen Umgang muß er
sich unter Leuten suchen, die mehr oder weniger in einer ähnlichen Lage sind wie
er. Bebend vor Ingrimm muß seine Frau es sich gefallen lassen, als etwas
Geringeres angesehen zu werden, als die Frau des benachbarten adelichen Guts¬
herrn ; diese ist „gnädige Frau," der Mann „gnädiger Herr," die Tochter „gnädiges
Fräulein," der halberwachsene Sohn „der Herr Junker" — sie ist „Madame," die
Tochter „Fräulein," und nur ihr Gemahl hat allenfalls bei Kutscher und Be¬
dienten den „gnädigen Herrn" für sich durchgesetzt; daß man aber die Briefe
an ihn mit dem Prädikat „Hochwohlgeboren" versieht, das kann auch er nicht
erreichen. Und doch sind sie weit bester situirt als der, bis an den Hals in
Schulden steckende adeliche Nachbar, und kommen ganz außer Verhältnis besser
vorwärts als er. Warum, in des Teufels Namen, sollen sie nicht ebenso
gut sein? — Der kennte in der That die Menschen schlecht, der glaubte, der¬
gleichen nichtige Erwägungen könnten doch unmöglich die politischen Gesinnungen
eines Menschen, und gar einer ganzen Generation oder eines ganzen Standes,
beeinflussen. Gerade solche Dinge sind es, unter deren Einfluß die Beziehungen
ganzer heranwachsender Geschlechter zu einander vergiftet werden können. Eitel¬
keit, Titelsucht, Neid sind es ja nicht allein, die da ins Spiel kommen, sondern


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[0059] Gstxreußische Skizzen. junkerlichen Geistes und Wesens erzählt, die noch zu Menschengedenken vor¬ gekommen seien, und vielfach ist es uns bestätigt worden, daß die jetzige, viel¬ fach allerdings gröbliche, tendenziöse Zurückdrängung des Grundadels in der Selbstverwaltung und im öffentlichen Leben nur der natürliche Rückschlag sei gegen eine frühere, nicht minder tendenziöse und einseitige Bevorzugung adelicher Namen. So muß sich alles ausgleichen, und es ist nicht mehr als in der Ordnung, daß die heutigen „Grafen und Barone" sich doppelt bemühen und doppelt ihre Tüchtigkeit und persönliche Integrität beweisen müssen, um frühere Vernachlässigungen aufzuwiegen. Es ist schlimm, daß dergleichen niemals in dem Rahmen persönlicher Wechselbeziehungen bleiben kann, sondern sich stets auf öffentliche Angelegenheiten überträgt — aber das ist nun einmal nicht zu ändern. In diese Stimmungen und peinlichen Reminiscenzen hinein denke mau sich nun vor einem oder zwei Menschenaltern den Emporkömmling, den wenig gebildeten, aber leidlich praktischen Besitzer einer Geldsumme, die ihm den Ankauf eines Ritter¬ guts ermöglicht hat. Er bekommt das Gut billig, denn es ist alles vernachlässigt, und die Geldgeschäfte des frühern Besitzers sind in einer derartigen Unordnung, daß schon die Verpflichtung, dieselben abzuwickeln, einen weitern Druck auf den Kaufpreis geübt hat. Was er von Dienstboten und Jnstleuten über die frühere Herrschaft erzählen hört, klingt auch nicht alles erbaulich; es ist ohne Zweifel viel Klatsch, viel verständnislos aufgegriffenes, an sich bedeutungsloses Zeug dabei — aber da zu unterscheiden ist seine Stärke nicht. Merken die Leute gar, daß er der¬ artige Dinge gern hört, so wird ihm auch manches geradezuaufgebunden. Die benachbarten Gutsherren, die Stcindesgcnossen, vielleicht die Verwandten oder Freunde des frühern Besitzers, gehen nicht mit ihm um; seinen Umgang muß er sich unter Leuten suchen, die mehr oder weniger in einer ähnlichen Lage sind wie er. Bebend vor Ingrimm muß seine Frau es sich gefallen lassen, als etwas Geringeres angesehen zu werden, als die Frau des benachbarten adelichen Guts¬ herrn ; diese ist „gnädige Frau," der Mann „gnädiger Herr," die Tochter „gnädiges Fräulein," der halberwachsene Sohn „der Herr Junker" — sie ist „Madame," die Tochter „Fräulein," und nur ihr Gemahl hat allenfalls bei Kutscher und Be¬ dienten den „gnädigen Herrn" für sich durchgesetzt; daß man aber die Briefe an ihn mit dem Prädikat „Hochwohlgeboren" versieht, das kann auch er nicht erreichen. Und doch sind sie weit bester situirt als der, bis an den Hals in Schulden steckende adeliche Nachbar, und kommen ganz außer Verhältnis besser vorwärts als er. Warum, in des Teufels Namen, sollen sie nicht ebenso gut sein? — Der kennte in der That die Menschen schlecht, der glaubte, der¬ gleichen nichtige Erwägungen könnten doch unmöglich die politischen Gesinnungen eines Menschen, und gar einer ganzen Generation oder eines ganzen Standes, beeinflussen. Gerade solche Dinge sind es, unter deren Einfluß die Beziehungen ganzer heranwachsender Geschlechter zu einander vergiftet werden können. Eitel¬ keit, Titelsucht, Neid sind es ja nicht allein, die da ins Spiel kommen, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/59>, abgerufen am 01.09.2024.