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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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sich z. B. allenthalben die Berechnungen für die Herstellimas- und Transport¬
kosten des Getreides oder die landwirtschaftlichen Betriebskosten in ermüdender
Weise. Meyer kann das Gedeihen des amerikanischen Farmertums nicht genug
rühmen. "Vier Millionen meist wohlhabende, freie, gebildete Bauern! dergleichen
sah die Welt nie!" ruft er begeistert ans. Das ist ein oberflächliches Prahlen.
Trotz der von Meyer so viel gerühmten Excmptionsgesetze ist auch in den Ver¬
einigten Staaten die Verschuldung des Bauerntums stark fortgeschritten, des¬
gleichen die Zunahme der Pacht- und Metayerswirtschafteu. Von den angeb¬
lichen vier Millionen Bauernhöfen lassen neuere amerikanische Volkswirte und
Statistiker kaum die Hälfte übrig. Man begegnet eben überall bei Meyer einer
tendenziösen Voreingenommenheit. Er schildert die gegenwärtige und zukünftige
Macht amerikanischer landwirtschaftlicher Konkurrenz in so lebhaften Farben,
daß daneben für Europa nichts übrig bleibt als der von ihm wiederholt ver¬
kündigte "Verarmnngsprozeß" und die "Proletarisirnng des Grnndbesitzerstandes."

Das zweitgenannte Werk enthält eine Sammlung von Einzcldarstellnngen,
Beitrüge bekannter deutsch-amerikanischer Schriftsteller. Daher ist auch dem
Deutschtum in den Vereinigten Staaten eine besondre Aufmerksamkeit geschenkt.
Klein schreibt über die deutsch-amerikanische Schule, Brachvogel über die
deutsche Presse, Müller über das deutsch-amerikanische Theater, Rothe über
das deutsche Element in Amerika überhaupt. Man erhält also eine vielseitige
Beleuchtung der deutschen Kultur in den Vereinigten Staaten. Daß uns diese
Kultur Ehre macht, daß sie in bedeutendem Grade das Jankeetum beeinflußt hat
und noch fortwährend beeinflußt, bestätigen uns diese Aufsätze vou neuem.
Die Lebenseinseitigkeit der Vvllblutamerikcmer wird von der wärmeren, aus¬
giebigeren deutschen Natur fortwährend durchdrungen. Eine Fülle harmlosen
Frohsinns und gesunden Behagens ergießt sich vom Deutschtum in das ödere
amerikanische Volksleben. Unsre Verfasser weisen im einzelnen nach, welchen
Einfluß das deutsche Schulwesen, das deutsche Theater, die deutsche musikalische
Anlage, die deutsche Geselligkeit und Nnturfrcude bereits ausgeübt haben. Rothe
würdigt in folgenden Worten den Wert des Deutschtums für die amerikanische
Zivilisation: "Wenn auch Amerika niemals deutsch werden kann, so ist es doch
umso sicherer, germanisch zu werden, germanisch durch und durch im rein kultur¬
historischen Sinne dieses Wortes. So wie die Deutschen in ihrer übervölkerten
Heimat unter den Einflüssen im Laufe der Jahrhunderte entstandener enger
und verwickelter Verhältnisse geworden sind, können und sollen sie in einem
neuen Lande nicht bleiben. Vielmehr mögen sie in einem solchen, wo ihnen
ein unbegrenzter Spielraum offen ist, jene körperlichen und geistige-, Eigen¬
schaften ihrer Nation, durch welche sie aus jedem großen Kulturkampfe schließlich
doch als Sieger hervorgeht, zur vollen Geltung bringen. In Amerika haben
sie bereits bewiesen, daß sie es imstande sind, und die Angloamerikaner, in
welchen heute das germanische Element vorwiegt, sind ihnen dabei entgegen-


sich z. B. allenthalben die Berechnungen für die Herstellimas- und Transport¬
kosten des Getreides oder die landwirtschaftlichen Betriebskosten in ermüdender
Weise. Meyer kann das Gedeihen des amerikanischen Farmertums nicht genug
rühmen. „Vier Millionen meist wohlhabende, freie, gebildete Bauern! dergleichen
sah die Welt nie!" ruft er begeistert ans. Das ist ein oberflächliches Prahlen.
Trotz der von Meyer so viel gerühmten Excmptionsgesetze ist auch in den Ver¬
einigten Staaten die Verschuldung des Bauerntums stark fortgeschritten, des¬
gleichen die Zunahme der Pacht- und Metayerswirtschafteu. Von den angeb¬
lichen vier Millionen Bauernhöfen lassen neuere amerikanische Volkswirte und
Statistiker kaum die Hälfte übrig. Man begegnet eben überall bei Meyer einer
tendenziösen Voreingenommenheit. Er schildert die gegenwärtige und zukünftige
Macht amerikanischer landwirtschaftlicher Konkurrenz in so lebhaften Farben,
daß daneben für Europa nichts übrig bleibt als der von ihm wiederholt ver¬
kündigte „Verarmnngsprozeß" und die „Proletarisirnng des Grnndbesitzerstandes."

Das zweitgenannte Werk enthält eine Sammlung von Einzcldarstellnngen,
Beitrüge bekannter deutsch-amerikanischer Schriftsteller. Daher ist auch dem
Deutschtum in den Vereinigten Staaten eine besondre Aufmerksamkeit geschenkt.
Klein schreibt über die deutsch-amerikanische Schule, Brachvogel über die
deutsche Presse, Müller über das deutsch-amerikanische Theater, Rothe über
das deutsche Element in Amerika überhaupt. Man erhält also eine vielseitige
Beleuchtung der deutschen Kultur in den Vereinigten Staaten. Daß uns diese
Kultur Ehre macht, daß sie in bedeutendem Grade das Jankeetum beeinflußt hat
und noch fortwährend beeinflußt, bestätigen uns diese Aufsätze vou neuem.
Die Lebenseinseitigkeit der Vvllblutamerikcmer wird von der wärmeren, aus¬
giebigeren deutschen Natur fortwährend durchdrungen. Eine Fülle harmlosen
Frohsinns und gesunden Behagens ergießt sich vom Deutschtum in das ödere
amerikanische Volksleben. Unsre Verfasser weisen im einzelnen nach, welchen
Einfluß das deutsche Schulwesen, das deutsche Theater, die deutsche musikalische
Anlage, die deutsche Geselligkeit und Nnturfrcude bereits ausgeübt haben. Rothe
würdigt in folgenden Worten den Wert des Deutschtums für die amerikanische
Zivilisation: „Wenn auch Amerika niemals deutsch werden kann, so ist es doch
umso sicherer, germanisch zu werden, germanisch durch und durch im rein kultur¬
historischen Sinne dieses Wortes. So wie die Deutschen in ihrer übervölkerten
Heimat unter den Einflüssen im Laufe der Jahrhunderte entstandener enger
und verwickelter Verhältnisse geworden sind, können und sollen sie in einem
neuen Lande nicht bleiben. Vielmehr mögen sie in einem solchen, wo ihnen
ein unbegrenzter Spielraum offen ist, jene körperlichen und geistige-, Eigen¬
schaften ihrer Nation, durch welche sie aus jedem großen Kulturkampfe schließlich
doch als Sieger hervorgeht, zur vollen Geltung bringen. In Amerika haben
sie bereits bewiesen, daß sie es imstande sind, und die Angloamerikaner, in
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[0587] sich z. B. allenthalben die Berechnungen für die Herstellimas- und Transport¬ kosten des Getreides oder die landwirtschaftlichen Betriebskosten in ermüdender Weise. Meyer kann das Gedeihen des amerikanischen Farmertums nicht genug rühmen. „Vier Millionen meist wohlhabende, freie, gebildete Bauern! dergleichen sah die Welt nie!" ruft er begeistert ans. Das ist ein oberflächliches Prahlen. Trotz der von Meyer so viel gerühmten Excmptionsgesetze ist auch in den Ver¬ einigten Staaten die Verschuldung des Bauerntums stark fortgeschritten, des¬ gleichen die Zunahme der Pacht- und Metayerswirtschafteu. Von den angeb¬ lichen vier Millionen Bauernhöfen lassen neuere amerikanische Volkswirte und Statistiker kaum die Hälfte übrig. Man begegnet eben überall bei Meyer einer tendenziösen Voreingenommenheit. Er schildert die gegenwärtige und zukünftige Macht amerikanischer landwirtschaftlicher Konkurrenz in so lebhaften Farben, daß daneben für Europa nichts übrig bleibt als der von ihm wiederholt ver¬ kündigte „Verarmnngsprozeß" und die „Proletarisirnng des Grnndbesitzerstandes." Das zweitgenannte Werk enthält eine Sammlung von Einzcldarstellnngen, Beitrüge bekannter deutsch-amerikanischer Schriftsteller. Daher ist auch dem Deutschtum in den Vereinigten Staaten eine besondre Aufmerksamkeit geschenkt. Klein schreibt über die deutsch-amerikanische Schule, Brachvogel über die deutsche Presse, Müller über das deutsch-amerikanische Theater, Rothe über das deutsche Element in Amerika überhaupt. Man erhält also eine vielseitige Beleuchtung der deutschen Kultur in den Vereinigten Staaten. Daß uns diese Kultur Ehre macht, daß sie in bedeutendem Grade das Jankeetum beeinflußt hat und noch fortwährend beeinflußt, bestätigen uns diese Aufsätze vou neuem. Die Lebenseinseitigkeit der Vvllblutamerikcmer wird von der wärmeren, aus¬ giebigeren deutschen Natur fortwährend durchdrungen. Eine Fülle harmlosen Frohsinns und gesunden Behagens ergießt sich vom Deutschtum in das ödere amerikanische Volksleben. Unsre Verfasser weisen im einzelnen nach, welchen Einfluß das deutsche Schulwesen, das deutsche Theater, die deutsche musikalische Anlage, die deutsche Geselligkeit und Nnturfrcude bereits ausgeübt haben. Rothe würdigt in folgenden Worten den Wert des Deutschtums für die amerikanische Zivilisation: „Wenn auch Amerika niemals deutsch werden kann, so ist es doch umso sicherer, germanisch zu werden, germanisch durch und durch im rein kultur¬ historischen Sinne dieses Wortes. So wie die Deutschen in ihrer übervölkerten Heimat unter den Einflüssen im Laufe der Jahrhunderte entstandener enger und verwickelter Verhältnisse geworden sind, können und sollen sie in einem neuen Lande nicht bleiben. Vielmehr mögen sie in einem solchen, wo ihnen ein unbegrenzter Spielraum offen ist, jene körperlichen und geistige-, Eigen¬ schaften ihrer Nation, durch welche sie aus jedem großen Kulturkampfe schließlich doch als Sieger hervorgeht, zur vollen Geltung bringen. In Amerika haben sie bereits bewiesen, daß sie es imstande sind, und die Angloamerikaner, in welchen heute das germanische Element vorwiegt, sind ihnen dabei entgegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/587>, abgerufen am 25.11.2024.