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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Fach pflegen und darin unterrichten, ist in den letzten Jahren auch nichts in die
Öffentlichkeit gelangt, das als historisches Bild in großem Stil bezeichnet werden
könnte. Griepenkcrl. den wir weiter unten noch als Porträtisten zu nenne"
haben werden, hat eben jetzt in. Künstlerhause ein großes Gemälde ausgestellt,
das zwar nicht eigentlich einen historischen, aber einen dem Historischen nahe
verwandten mythologischen Vorwurf behandelt: die "Aufnahme des Prometheus
in den Olymp." Hier wird der aufmerksame Beobachter so manches finden,
was der ältern Schule angehört: die Zeichnung ist korrekt, die Ausfassung
nicht leidenschaftlich, sondern heiter und gemäßigt, die Farben sind nicht allzu
lebhaft, die Details mit großem Fleiß ausgeführt. Aber wenn man das
Bild auch gewiß mit großem Interesse betrachten wird, einen bedeutenden
oder gar einen erschütternden und erhebenden Eindruck, wie ihn zu erregen
der Stoff wohl angethan ist, wird man nicht davontragen. Vor allem
deswegen, weil der Prometheus Griepenkerls nicht der titanische Mensch ist,
als welcher er in der Brust eines jeden lebt, der die Tragödie des
Äschylos oder auch nur Goethes Dichtung gelesen hat, man erkennt ihn auf
den ersten Blick nicht einmal. Freilich war der Künstler auf die Überlieferung
von dem gefesselten Prometheus angewiesen, der, an den Felsen geschmiedet und
von den schrecklichste" Qualen gepeinigt, dem Götterboten die stolzen Worte
zuruft: "Und doch nicht kann Er mich töten." Die Tragödie von dem "be¬
freiten Prometheus" ist uus verloren und von den vielen Vermutungen, die
aufgestellt worden sind, wie denn eine Versöhnung zwischen Prometheus und
dem Welttyrauuen zu denken sei, hat keine besondre Wahrscheinlichkeit für sich.
Was aber den gelehrten Interpreten oft unlöslich erscheint, kann der Künstler
mit einem Pinselstrich enträtseln. Griepenkcrl hat das nicht gethan. Aber nicht
nur die Gestalt des Prometheus ist zu wenig charakteristisch, die ganze Götter¬
versammlung scheint von der ungeheuern Bedeutung des Moments sehr wenig
durchdrungen, manche, wie Aphrodite und Ares, sind völlig gleichgiltig, andre
zeigen eine rein äußerliche Teilnahme oder auch nur gewöhnliche Neugier. Das
vielgebrauchte Schlagwort von der "akademischen Nüchternheit" drängt sich beim
Anblick dieser olympischen Versammlung dem Beschauer doch wieder auf die
Lippen. Wie anders steht diese Versammlung vor unsrer Seele, wenn wir der
herrlichen Verse gedenken:

Gleichsam den Übergang von der ältern zur neuern historischen Schule
bilden Eisenmengcr, L. Müller und Carl von Blaas. Die beiden erstem sind


Unpolitische Briefe aus Wien.

Fach pflegen und darin unterrichten, ist in den letzten Jahren auch nichts in die
Öffentlichkeit gelangt, das als historisches Bild in großem Stil bezeichnet werden
könnte. Griepenkcrl. den wir weiter unten noch als Porträtisten zu nenne»
haben werden, hat eben jetzt in. Künstlerhause ein großes Gemälde ausgestellt,
das zwar nicht eigentlich einen historischen, aber einen dem Historischen nahe
verwandten mythologischen Vorwurf behandelt: die „Aufnahme des Prometheus
in den Olymp." Hier wird der aufmerksame Beobachter so manches finden,
was der ältern Schule angehört: die Zeichnung ist korrekt, die Ausfassung
nicht leidenschaftlich, sondern heiter und gemäßigt, die Farben sind nicht allzu
lebhaft, die Details mit großem Fleiß ausgeführt. Aber wenn man das
Bild auch gewiß mit großem Interesse betrachten wird, einen bedeutenden
oder gar einen erschütternden und erhebenden Eindruck, wie ihn zu erregen
der Stoff wohl angethan ist, wird man nicht davontragen. Vor allem
deswegen, weil der Prometheus Griepenkerls nicht der titanische Mensch ist,
als welcher er in der Brust eines jeden lebt, der die Tragödie des
Äschylos oder auch nur Goethes Dichtung gelesen hat, man erkennt ihn auf
den ersten Blick nicht einmal. Freilich war der Künstler auf die Überlieferung
von dem gefesselten Prometheus angewiesen, der, an den Felsen geschmiedet und
von den schrecklichste» Qualen gepeinigt, dem Götterboten die stolzen Worte
zuruft: „Und doch nicht kann Er mich töten." Die Tragödie von dem „be¬
freiten Prometheus" ist uus verloren und von den vielen Vermutungen, die
aufgestellt worden sind, wie denn eine Versöhnung zwischen Prometheus und
dem Welttyrauuen zu denken sei, hat keine besondre Wahrscheinlichkeit für sich.
Was aber den gelehrten Interpreten oft unlöslich erscheint, kann der Künstler
mit einem Pinselstrich enträtseln. Griepenkcrl hat das nicht gethan. Aber nicht
nur die Gestalt des Prometheus ist zu wenig charakteristisch, die ganze Götter¬
versammlung scheint von der ungeheuern Bedeutung des Moments sehr wenig
durchdrungen, manche, wie Aphrodite und Ares, sind völlig gleichgiltig, andre
zeigen eine rein äußerliche Teilnahme oder auch nur gewöhnliche Neugier. Das
vielgebrauchte Schlagwort von der „akademischen Nüchternheit" drängt sich beim
Anblick dieser olympischen Versammlung dem Beschauer doch wieder auf die
Lippen. Wie anders steht diese Versammlung vor unsrer Seele, wenn wir der
herrlichen Verse gedenken:

Gleichsam den Übergang von der ältern zur neuern historischen Schule
bilden Eisenmengcr, L. Müller und Carl von Blaas. Die beiden erstem sind


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[0583] Unpolitische Briefe aus Wien. Fach pflegen und darin unterrichten, ist in den letzten Jahren auch nichts in die Öffentlichkeit gelangt, das als historisches Bild in großem Stil bezeichnet werden könnte. Griepenkcrl. den wir weiter unten noch als Porträtisten zu nenne» haben werden, hat eben jetzt in. Künstlerhause ein großes Gemälde ausgestellt, das zwar nicht eigentlich einen historischen, aber einen dem Historischen nahe verwandten mythologischen Vorwurf behandelt: die „Aufnahme des Prometheus in den Olymp." Hier wird der aufmerksame Beobachter so manches finden, was der ältern Schule angehört: die Zeichnung ist korrekt, die Ausfassung nicht leidenschaftlich, sondern heiter und gemäßigt, die Farben sind nicht allzu lebhaft, die Details mit großem Fleiß ausgeführt. Aber wenn man das Bild auch gewiß mit großem Interesse betrachten wird, einen bedeutenden oder gar einen erschütternden und erhebenden Eindruck, wie ihn zu erregen der Stoff wohl angethan ist, wird man nicht davontragen. Vor allem deswegen, weil der Prometheus Griepenkerls nicht der titanische Mensch ist, als welcher er in der Brust eines jeden lebt, der die Tragödie des Äschylos oder auch nur Goethes Dichtung gelesen hat, man erkennt ihn auf den ersten Blick nicht einmal. Freilich war der Künstler auf die Überlieferung von dem gefesselten Prometheus angewiesen, der, an den Felsen geschmiedet und von den schrecklichste» Qualen gepeinigt, dem Götterboten die stolzen Worte zuruft: „Und doch nicht kann Er mich töten." Die Tragödie von dem „be¬ freiten Prometheus" ist uus verloren und von den vielen Vermutungen, die aufgestellt worden sind, wie denn eine Versöhnung zwischen Prometheus und dem Welttyrauuen zu denken sei, hat keine besondre Wahrscheinlichkeit für sich. Was aber den gelehrten Interpreten oft unlöslich erscheint, kann der Künstler mit einem Pinselstrich enträtseln. Griepenkcrl hat das nicht gethan. Aber nicht nur die Gestalt des Prometheus ist zu wenig charakteristisch, die ganze Götter¬ versammlung scheint von der ungeheuern Bedeutung des Moments sehr wenig durchdrungen, manche, wie Aphrodite und Ares, sind völlig gleichgiltig, andre zeigen eine rein äußerliche Teilnahme oder auch nur gewöhnliche Neugier. Das vielgebrauchte Schlagwort von der „akademischen Nüchternheit" drängt sich beim Anblick dieser olympischen Versammlung dem Beschauer doch wieder auf die Lippen. Wie anders steht diese Versammlung vor unsrer Seele, wenn wir der herrlichen Verse gedenken: Gleichsam den Übergang von der ältern zur neuern historischen Schule bilden Eisenmengcr, L. Müller und Carl von Blaas. Die beiden erstem sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/583>, abgerufen am 25.11.2024.