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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

"och am lebhaftesten geblieben. Freilich ragt ja auch der Meister dieses Genres,
Friedrich Amerling, noch in unsre Tage herein, ja er führt zweiundachtzigjährig
"och immer Pinsel und Palette. Von ihm darf man auch noch am ehesten
sagen, daß er Schule gemacht habe: in der Porträtmalerei gewiß.

Amerling knüpft an keine heimischen Vorgänger an. Mit ihm beginnt
eigentlich erst die österreichische Porträtknnst. Vor ihm herrschte noch ganz jene
ängstliche, steife Manier, die uns auf den Bildnissen unsrer Ureltern so be¬
fremdet. Sonnenfels konnte noch in einer eignen Schrift "Von dem Verdienste
des Porträtmalers" die Frage auswerfen, ob Porträtiren überhaupt eine Kunst
zu nennen sei. Allerdings bejaht er diese Frage zuletzt, indem er Shaftesbnrys
Ansicht, der Porträtmaler habe mit einem Künstler nichts gemein, er sei nur
ein knechtischer Kopist der Natur zurückweist. In den ersten zwei Jahr¬
zehnten unsers Jahrhunderts ließ sich dann die vornehme Wiener Gesellschaft
vorzugsweise von Ausländern malen: Jsabey und Lawrence sind die Maler des
Wiener Kongresses, von ihnen haben wir die besten Bilder eines Metternich,
eines Gentz. An diesen nun bildete sich der junge Amerling, ja er ging selbst
"ach London, um unter den Augen Lawrences zu arbeiten. Und ihm verdankt
er auch gewiß sehr viel über die rein äußerliche Anregung hinaus. Aus Eng¬
land brachte Amerling überdies den sogenannten englischen Malcrfirniß mit,
der so durch ihn in die österreichische Porträttechnik eingeführt worden ist.

Nach Wien zurückgekehrt, gelangte Amerling rasch zu bedeutendem Ruf,
er durfte noch Kaiser Franz für den großen Saal des Laxenburger Schlosses
malen. Dann wurde er der Lieblingsmaler der österreichischen Aristokratie und
des österreichischen Hofes. Der Höhepunkt seines Schaffens fällt in die vier¬
ziger Jahre, da malte er den Fürsten Friedrich Schwarzenberg, den Grafen
Nugent, die Fürstin Khevenhüller geb. Lichnowsky, den Grafen Edmund Zichy
u. v. a. Aus früherer Zeit noch stammt wohl Thvrwaldsens Bildnis, jetzt in
der Licchtensteingalerie, das Oehlenschlägcr bis zu Thränen rührte und ihn zu
dem Ausruf hinriß: "Mein Freund, mein teurer, unsterblicher Freund!"

Was Plinins von einem Zeitgenossen des Phidias, Kresilcis, sagt: "Das
Wunderbare an seiner Kunst ist, daß sie edle Menschen noch edler macht." das
gilt auch von Amerling. Es ist nicht das Dämonische, das etwa in einem
Menschen liegt, was ihn reizt: nicht dieses sucht er heraus, aber seine Köpfe
haben doch auch nichts von der behaglichen, philiströsen Ruhe, die etwa Tinto-
retto oder Holbein den ihrigen verliehen. Amerling glaubt die geistige und
gemütliche Eigenart des Menschen am besten zu fassen, wenn dieser in mäßiger,
angenehmer Erregung ist, wie sie etwa ein lebhaftes Gespräch mit sich bringt.
"Ich rede zu viel," sagte Oehlenschlägcr, als er Amerling saß. "Nur zu! er¬
wiederte der Maler, in der Unruhe liegt das Temperament, der Charakter, den
brauche ich just." Freilich gelingen Amerling darum auch verschlossene, komplizirte
Naturen, die sich in der Konversation, wie lebhaft sie auch sein mag, niemals


Unpolitische Briefe aus Wien.

»och am lebhaftesten geblieben. Freilich ragt ja auch der Meister dieses Genres,
Friedrich Amerling, noch in unsre Tage herein, ja er führt zweiundachtzigjährig
»och immer Pinsel und Palette. Von ihm darf man auch noch am ehesten
sagen, daß er Schule gemacht habe: in der Porträtmalerei gewiß.

Amerling knüpft an keine heimischen Vorgänger an. Mit ihm beginnt
eigentlich erst die österreichische Porträtknnst. Vor ihm herrschte noch ganz jene
ängstliche, steife Manier, die uns auf den Bildnissen unsrer Ureltern so be¬
fremdet. Sonnenfels konnte noch in einer eignen Schrift „Von dem Verdienste
des Porträtmalers" die Frage auswerfen, ob Porträtiren überhaupt eine Kunst
zu nennen sei. Allerdings bejaht er diese Frage zuletzt, indem er Shaftesbnrys
Ansicht, der Porträtmaler habe mit einem Künstler nichts gemein, er sei nur
ein knechtischer Kopist der Natur zurückweist. In den ersten zwei Jahr¬
zehnten unsers Jahrhunderts ließ sich dann die vornehme Wiener Gesellschaft
vorzugsweise von Ausländern malen: Jsabey und Lawrence sind die Maler des
Wiener Kongresses, von ihnen haben wir die besten Bilder eines Metternich,
eines Gentz. An diesen nun bildete sich der junge Amerling, ja er ging selbst
»ach London, um unter den Augen Lawrences zu arbeiten. Und ihm verdankt
er auch gewiß sehr viel über die rein äußerliche Anregung hinaus. Aus Eng¬
land brachte Amerling überdies den sogenannten englischen Malcrfirniß mit,
der so durch ihn in die österreichische Porträttechnik eingeführt worden ist.

Nach Wien zurückgekehrt, gelangte Amerling rasch zu bedeutendem Ruf,
er durfte noch Kaiser Franz für den großen Saal des Laxenburger Schlosses
malen. Dann wurde er der Lieblingsmaler der österreichischen Aristokratie und
des österreichischen Hofes. Der Höhepunkt seines Schaffens fällt in die vier¬
ziger Jahre, da malte er den Fürsten Friedrich Schwarzenberg, den Grafen
Nugent, die Fürstin Khevenhüller geb. Lichnowsky, den Grafen Edmund Zichy
u. v. a. Aus früherer Zeit noch stammt wohl Thvrwaldsens Bildnis, jetzt in
der Licchtensteingalerie, das Oehlenschlägcr bis zu Thränen rührte und ihn zu
dem Ausruf hinriß: „Mein Freund, mein teurer, unsterblicher Freund!"

Was Plinins von einem Zeitgenossen des Phidias, Kresilcis, sagt: „Das
Wunderbare an seiner Kunst ist, daß sie edle Menschen noch edler macht." das
gilt auch von Amerling. Es ist nicht das Dämonische, das etwa in einem
Menschen liegt, was ihn reizt: nicht dieses sucht er heraus, aber seine Köpfe
haben doch auch nichts von der behaglichen, philiströsen Ruhe, die etwa Tinto-
retto oder Holbein den ihrigen verliehen. Amerling glaubt die geistige und
gemütliche Eigenart des Menschen am besten zu fassen, wenn dieser in mäßiger,
angenehmer Erregung ist, wie sie etwa ein lebhaftes Gespräch mit sich bringt.
„Ich rede zu viel," sagte Oehlenschlägcr, als er Amerling saß. „Nur zu! er¬
wiederte der Maler, in der Unruhe liegt das Temperament, der Charakter, den
brauche ich just." Freilich gelingen Amerling darum auch verschlossene, komplizirte
Naturen, die sich in der Konversation, wie lebhaft sie auch sein mag, niemals


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[0579] Unpolitische Briefe aus Wien. »och am lebhaftesten geblieben. Freilich ragt ja auch der Meister dieses Genres, Friedrich Amerling, noch in unsre Tage herein, ja er führt zweiundachtzigjährig »och immer Pinsel und Palette. Von ihm darf man auch noch am ehesten sagen, daß er Schule gemacht habe: in der Porträtmalerei gewiß. Amerling knüpft an keine heimischen Vorgänger an. Mit ihm beginnt eigentlich erst die österreichische Porträtknnst. Vor ihm herrschte noch ganz jene ängstliche, steife Manier, die uns auf den Bildnissen unsrer Ureltern so be¬ fremdet. Sonnenfels konnte noch in einer eignen Schrift „Von dem Verdienste des Porträtmalers" die Frage auswerfen, ob Porträtiren überhaupt eine Kunst zu nennen sei. Allerdings bejaht er diese Frage zuletzt, indem er Shaftesbnrys Ansicht, der Porträtmaler habe mit einem Künstler nichts gemein, er sei nur ein knechtischer Kopist der Natur zurückweist. In den ersten zwei Jahr¬ zehnten unsers Jahrhunderts ließ sich dann die vornehme Wiener Gesellschaft vorzugsweise von Ausländern malen: Jsabey und Lawrence sind die Maler des Wiener Kongresses, von ihnen haben wir die besten Bilder eines Metternich, eines Gentz. An diesen nun bildete sich der junge Amerling, ja er ging selbst »ach London, um unter den Augen Lawrences zu arbeiten. Und ihm verdankt er auch gewiß sehr viel über die rein äußerliche Anregung hinaus. Aus Eng¬ land brachte Amerling überdies den sogenannten englischen Malcrfirniß mit, der so durch ihn in die österreichische Porträttechnik eingeführt worden ist. Nach Wien zurückgekehrt, gelangte Amerling rasch zu bedeutendem Ruf, er durfte noch Kaiser Franz für den großen Saal des Laxenburger Schlosses malen. Dann wurde er der Lieblingsmaler der österreichischen Aristokratie und des österreichischen Hofes. Der Höhepunkt seines Schaffens fällt in die vier¬ ziger Jahre, da malte er den Fürsten Friedrich Schwarzenberg, den Grafen Nugent, die Fürstin Khevenhüller geb. Lichnowsky, den Grafen Edmund Zichy u. v. a. Aus früherer Zeit noch stammt wohl Thvrwaldsens Bildnis, jetzt in der Licchtensteingalerie, das Oehlenschlägcr bis zu Thränen rührte und ihn zu dem Ausruf hinriß: „Mein Freund, mein teurer, unsterblicher Freund!" Was Plinins von einem Zeitgenossen des Phidias, Kresilcis, sagt: „Das Wunderbare an seiner Kunst ist, daß sie edle Menschen noch edler macht." das gilt auch von Amerling. Es ist nicht das Dämonische, das etwa in einem Menschen liegt, was ihn reizt: nicht dieses sucht er heraus, aber seine Köpfe haben doch auch nichts von der behaglichen, philiströsen Ruhe, die etwa Tinto- retto oder Holbein den ihrigen verliehen. Amerling glaubt die geistige und gemütliche Eigenart des Menschen am besten zu fassen, wenn dieser in mäßiger, angenehmer Erregung ist, wie sie etwa ein lebhaftes Gespräch mit sich bringt. „Ich rede zu viel," sagte Oehlenschlägcr, als er Amerling saß. „Nur zu! er¬ wiederte der Maler, in der Unruhe liegt das Temperament, der Charakter, den brauche ich just." Freilich gelingen Amerling darum auch verschlossene, komplizirte Naturen, die sich in der Konversation, wie lebhaft sie auch sein mag, niemals

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/579>, abgerufen am 28.07.2024.