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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Goethicma.

nicht zwei Tenore da sind. Die ganze Gesellschaft kann die zwei letzten Zeilen
jeder Strophe wiederholen, damit die drei Vorsänger verschnaufen. fDiese
Äußerung zeigt deutlich, daß man unter diesen: Liede nicht etwa "Symbolum"
sich denken kann, "vorauf sie garnicht passen wurde.I Freilich hätte ich wissen
sollen, was für Säuger ihr habt. ^Natürlich wurden die Lieder vom ganzen
Chor gesungen, nur bei besondern Festlichkeiten von musikalischen Säugern.^ . . .
Der Ton des Liedes ist nicht leicht getroffen >1ich: "zu treffen"?^, und die
Sänger werden dazu das Beste thun müssen, um einer gänzlichen Melodie
die Gegensätze des Offenbaren nud Stillvcrtrautcn I^die eben das Lied beherrschen^
anzueignen." Goethe erwiederte am 10., zwei Tage nach Augusts Beförderung
zum Gesellengrad: "Das Liedchen ist angekommen. Wir danken zum schönste,!
für das trefflich geratene. Wenn die Melodie nach dem Inhalt, wie du an¬
gezeigt hast, variirt wird, so muß es den schönsten Eindruck machen." Es war
also nicht, wenigstens uicht nach Zelters Melodie, gesungen worden. Wahr¬
scheinlich hatte es August in seiner ergreifenden Weise gesprochen. Der Vater
war nicht zugegen.

Ist nun das Lied "Verschwiegenheit" spätestens im Oktober 1816 gedichtet,
so kann es schon der Chronologie nach keine Andeutung auf Augusts Verlobung
enthalten, die erst am 1. Januar 1817 sich erklärte. Dieselbe Unmöglichkeit be¬
stünde auch bei der fälschlich angenommenen Datirung vom 1. Dezember. Aber
überhaupt kann die ganze Deutung v. LvepcrS vor einer besonnenen Auffassung
des Wortlautes des Gedichtes uicht bestehe". Wenn z. B. in der zweiten
Strophe der Ruhm des weltzerstörendeu Krieges der herzerfreuenden Dankbarkeit
wegen heimlichen Wohlthuns entgegengestellt und dieser weit nachgesetzt wird, so
sieht der neueste .Herausgeber darin eine Beziehung auf Augusts Thätigkeit im
letzten Kriege (doch Wohl in den beide" letzten). Aber davon, daß die aus dem
Kriege zurückgebliebenen Männer später die von diesem geschlagner Wunden
heilen, kaun hier nicht die Rede sein, und Goethe würde sich gehütet haben, auf
einen August schwer drückenden Vorwurf, den die meisten ihm machten, hinzu¬
deuten. Aber was die Hauptsache bleibt, das Gedicht ist so durchsichtig klar, daß
man eine solche seinen Nerv zerstörende Mißdeutung nicht begreifen würde,
ruhte sie nicht auf der thatsächlich falschen Annahme, es sei durch Augusts Auf¬
nahme in die Loge veranlaßt.

Was endlich das Gedicht "Trauerloge," in der Oktavausgabe letzter Hand
mit der nähern Bezeichnung: "Der Unvergeßlichen ^ Prinzessin Caroline j von
Weimar Eisenach > vermählten > Erbprinzessin ^ von Mecklenburg Schwerin ^ ge¬
widmet. ^ 1816" betrifft, so ergiebt sich leider aus dem Archiv über diese Trauer-
loge nichts näheres, da die Präsenzlisten vom 1. Oktober bis zum 3. De¬
zember dieses Jahres fehlen. Der Großherzog dankte in einem "November 1816"
datirten, an einem Freitage geschriebnen Briefe für das Andenken an seine "un¬
glückliche Tochter", die bereits am 20. Januar gestorben war. Der erste


Goethicma.

nicht zwei Tenore da sind. Die ganze Gesellschaft kann die zwei letzten Zeilen
jeder Strophe wiederholen, damit die drei Vorsänger verschnaufen. fDiese
Äußerung zeigt deutlich, daß man unter diesen: Liede nicht etwa „Symbolum"
sich denken kann, »vorauf sie garnicht passen wurde.I Freilich hätte ich wissen
sollen, was für Säuger ihr habt. ^Natürlich wurden die Lieder vom ganzen
Chor gesungen, nur bei besondern Festlichkeiten von musikalischen Säugern.^ . . .
Der Ton des Liedes ist nicht leicht getroffen >1ich: „zu treffen"?^, und die
Sänger werden dazu das Beste thun müssen, um einer gänzlichen Melodie
die Gegensätze des Offenbaren nud Stillvcrtrautcn I^die eben das Lied beherrschen^
anzueignen." Goethe erwiederte am 10., zwei Tage nach Augusts Beförderung
zum Gesellengrad: „Das Liedchen ist angekommen. Wir danken zum schönste,!
für das trefflich geratene. Wenn die Melodie nach dem Inhalt, wie du an¬
gezeigt hast, variirt wird, so muß es den schönsten Eindruck machen." Es war
also nicht, wenigstens uicht nach Zelters Melodie, gesungen worden. Wahr¬
scheinlich hatte es August in seiner ergreifenden Weise gesprochen. Der Vater
war nicht zugegen.

Ist nun das Lied „Verschwiegenheit" spätestens im Oktober 1816 gedichtet,
so kann es schon der Chronologie nach keine Andeutung auf Augusts Verlobung
enthalten, die erst am 1. Januar 1817 sich erklärte. Dieselbe Unmöglichkeit be¬
stünde auch bei der fälschlich angenommenen Datirung vom 1. Dezember. Aber
überhaupt kann die ganze Deutung v. LvepcrS vor einer besonnenen Auffassung
des Wortlautes des Gedichtes uicht bestehe». Wenn z. B. in der zweiten
Strophe der Ruhm des weltzerstörendeu Krieges der herzerfreuenden Dankbarkeit
wegen heimlichen Wohlthuns entgegengestellt und dieser weit nachgesetzt wird, so
sieht der neueste .Herausgeber darin eine Beziehung auf Augusts Thätigkeit im
letzten Kriege (doch Wohl in den beide» letzten). Aber davon, daß die aus dem
Kriege zurückgebliebenen Männer später die von diesem geschlagner Wunden
heilen, kaun hier nicht die Rede sein, und Goethe würde sich gehütet haben, auf
einen August schwer drückenden Vorwurf, den die meisten ihm machten, hinzu¬
deuten. Aber was die Hauptsache bleibt, das Gedicht ist so durchsichtig klar, daß
man eine solche seinen Nerv zerstörende Mißdeutung nicht begreifen würde,
ruhte sie nicht auf der thatsächlich falschen Annahme, es sei durch Augusts Auf¬
nahme in die Loge veranlaßt.

Was endlich das Gedicht „Trauerloge," in der Oktavausgabe letzter Hand
mit der nähern Bezeichnung: „Der Unvergeßlichen ^ Prinzessin Caroline j von
Weimar Eisenach > vermählten > Erbprinzessin ^ von Mecklenburg Schwerin ^ ge¬
widmet. ^ 1816" betrifft, so ergiebt sich leider aus dem Archiv über diese Trauer-
loge nichts näheres, da die Präsenzlisten vom 1. Oktober bis zum 3. De¬
zember dieses Jahres fehlen. Der Großherzog dankte in einem „November 1816"
datirten, an einem Freitage geschriebnen Briefe für das Andenken an seine „un¬
glückliche Tochter", die bereits am 20. Januar gestorben war. Der erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/576>, abgerufen am 25.11.2024.