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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Goothianci.

dichterische Person den Dank an die Brüder, der zugleich ein Preis ist, aus¬
sprechen, wobei der Schluß: "Wenn überall, allüberall im Stillen wir uns
vermehren" auf die fortdauernde Aufnahme neuer Brüder zielt. "Der Schall,
den wir so gerne hören," ist eben das Lob. Wir stellen dieser einfachen
Deutung die des neuesten Herausgebers zur Seite, wonach der Schluß besage"
soll, daß "das Lied nicht schnell verklinge, vielmehr eine bleibende Wirkung
äußere, indem es weiter klinge, auf neue Brüder sich übertrage." Dieser dichte¬
rische Ausdruck des Dankes in der sehr realen Logensitzung dürfte Goethes
Sohn doch gar zu auffallend gewesen sein und er deshalb seinen Vater be¬
stimmt haben, ihn von dem Auftrage des öffentlichen Vortrages desselben zu
befreien. Höchst unwahrscheinlich dürfte es sein, wollte man die Worte des
Protokvllcintrages auf diesen poetischen Dank beziehen. Eine leichtere Lösung
des unleugbaren Rätsels würde ich willkommen heißen."

Wenden wir uns zu dem Liede "Verschwiegenheit, das erst in die dritte
Ausgabe des Weimarischen Gesangbuches (nach v. Lveper 1851) aus Goethes
Werken aufgenommen worden ist. Der neueste Herausgeber macht die unbe¬
kannte Mitteilung: "In Zelters Nachlaß hat es das Datum des 1. De¬
zember 1816." Aber das freilich willkommene Datum geht ans die Zeit der
Komposition. Durch einen unglücklichen Zufall hat v. Loeper die darauf be¬
züglichen Stellen im Goethe-Zelterschen Briefwechsel übersehen. Schon am
10. November 1816 schreibt Zelter: "Das Bundes- oder Lvgenlicd für den
Kammerrat ^August war in diesem Frühjahr Kammerrat geworden! ist wohl
fertig, schon längst, aber es ist doch noch in der Gare. Bis ich mir ein solches
Stück gehörig angemessen habe, dazu brauche ich meine Zeit, und was vielen
gefallen will, soll mir auch gefallen. Nehmt daher nicht übel, wenn ich ein
oslches Lied in einer Viertelstunde auf Noten bringe, die ich nach einem Viertel¬
jahre wieder ausstreiche." Die Worte sind die Erwiederung auf eine Mahnung,
die. wie so vieles andre, bei der Redaktion des Briefwechsels nicht hätte aus-
fallen dürfen. Das Lied wird zu den "kleinen Gedichten" gehören, um deren
Rücksendung Goethe am 25. Oktober bittet. Zelter hatte einen Teil derselben
bei seiner Abreise von Weimar anfangs Oktober aus Versehen mitgenommen.
Es muß das "Bundes- oder Logenlicd" demnach spätestens im Oktober gedichtet
sein. Zelter hatte August und dem Vater versprochen, eine Komposition bald
einzusenden, damit es im Dezember, in welchem die Beförderung zum Gesellen
stattfinden sollte (Goethe selbst war auch nach einem Jahre Gesell geworden),
in der Loge vorgetragen werden könne. Das Liedchen sandte Zelter erst am
2. Dezember, was dazu stimmt, daß es ihm am vorhergehenden Tage nach
Wunsch gelungen war. "Ich sende das Gedicht auch wieder mit zurück meldet
Zelter, weil ich es mit Andeutungen über den Vortrag der Melodie in den
verschiednen Strophen versehen habe. Es ist dreistimmig, sür zwei Tenore und
Baß; die Mittelstimme kann auch von einem Bassisten gesungen werden, im Fall


Goothianci.

dichterische Person den Dank an die Brüder, der zugleich ein Preis ist, aus¬
sprechen, wobei der Schluß: „Wenn überall, allüberall im Stillen wir uns
vermehren" auf die fortdauernde Aufnahme neuer Brüder zielt. „Der Schall,
den wir so gerne hören," ist eben das Lob. Wir stellen dieser einfachen
Deutung die des neuesten Herausgebers zur Seite, wonach der Schluß besage»
soll, daß „das Lied nicht schnell verklinge, vielmehr eine bleibende Wirkung
äußere, indem es weiter klinge, auf neue Brüder sich übertrage." Dieser dichte¬
rische Ausdruck des Dankes in der sehr realen Logensitzung dürfte Goethes
Sohn doch gar zu auffallend gewesen sein und er deshalb seinen Vater be¬
stimmt haben, ihn von dem Auftrage des öffentlichen Vortrages desselben zu
befreien. Höchst unwahrscheinlich dürfte es sein, wollte man die Worte des
Protokvllcintrages auf diesen poetischen Dank beziehen. Eine leichtere Lösung
des unleugbaren Rätsels würde ich willkommen heißen."

Wenden wir uns zu dem Liede „Verschwiegenheit, das erst in die dritte
Ausgabe des Weimarischen Gesangbuches (nach v. Lveper 1851) aus Goethes
Werken aufgenommen worden ist. Der neueste Herausgeber macht die unbe¬
kannte Mitteilung: „In Zelters Nachlaß hat es das Datum des 1. De¬
zember 1816." Aber das freilich willkommene Datum geht ans die Zeit der
Komposition. Durch einen unglücklichen Zufall hat v. Loeper die darauf be¬
züglichen Stellen im Goethe-Zelterschen Briefwechsel übersehen. Schon am
10. November 1816 schreibt Zelter: „Das Bundes- oder Lvgenlicd für den
Kammerrat ^August war in diesem Frühjahr Kammerrat geworden! ist wohl
fertig, schon längst, aber es ist doch noch in der Gare. Bis ich mir ein solches
Stück gehörig angemessen habe, dazu brauche ich meine Zeit, und was vielen
gefallen will, soll mir auch gefallen. Nehmt daher nicht übel, wenn ich ein
oslches Lied in einer Viertelstunde auf Noten bringe, die ich nach einem Viertel¬
jahre wieder ausstreiche." Die Worte sind die Erwiederung auf eine Mahnung,
die. wie so vieles andre, bei der Redaktion des Briefwechsels nicht hätte aus-
fallen dürfen. Das Lied wird zu den „kleinen Gedichten" gehören, um deren
Rücksendung Goethe am 25. Oktober bittet. Zelter hatte einen Teil derselben
bei seiner Abreise von Weimar anfangs Oktober aus Versehen mitgenommen.
Es muß das „Bundes- oder Logenlicd" demnach spätestens im Oktober gedichtet
sein. Zelter hatte August und dem Vater versprochen, eine Komposition bald
einzusenden, damit es im Dezember, in welchem die Beförderung zum Gesellen
stattfinden sollte (Goethe selbst war auch nach einem Jahre Gesell geworden),
in der Loge vorgetragen werden könne. Das Liedchen sandte Zelter erst am
2. Dezember, was dazu stimmt, daß es ihm am vorhergehenden Tage nach
Wunsch gelungen war. „Ich sende das Gedicht auch wieder mit zurück meldet
Zelter, weil ich es mit Andeutungen über den Vortrag der Melodie in den
verschiednen Strophen versehen habe. Es ist dreistimmig, sür zwei Tenore und
Baß; die Mittelstimme kann auch von einem Bassisten gesungen werden, im Fall


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[0575] Goothianci. dichterische Person den Dank an die Brüder, der zugleich ein Preis ist, aus¬ sprechen, wobei der Schluß: „Wenn überall, allüberall im Stillen wir uns vermehren" auf die fortdauernde Aufnahme neuer Brüder zielt. „Der Schall, den wir so gerne hören," ist eben das Lob. Wir stellen dieser einfachen Deutung die des neuesten Herausgebers zur Seite, wonach der Schluß besage» soll, daß „das Lied nicht schnell verklinge, vielmehr eine bleibende Wirkung äußere, indem es weiter klinge, auf neue Brüder sich übertrage." Dieser dichte¬ rische Ausdruck des Dankes in der sehr realen Logensitzung dürfte Goethes Sohn doch gar zu auffallend gewesen sein und er deshalb seinen Vater be¬ stimmt haben, ihn von dem Auftrage des öffentlichen Vortrages desselben zu befreien. Höchst unwahrscheinlich dürfte es sein, wollte man die Worte des Protokvllcintrages auf diesen poetischen Dank beziehen. Eine leichtere Lösung des unleugbaren Rätsels würde ich willkommen heißen." Wenden wir uns zu dem Liede „Verschwiegenheit, das erst in die dritte Ausgabe des Weimarischen Gesangbuches (nach v. Lveper 1851) aus Goethes Werken aufgenommen worden ist. Der neueste Herausgeber macht die unbe¬ kannte Mitteilung: „In Zelters Nachlaß hat es das Datum des 1. De¬ zember 1816." Aber das freilich willkommene Datum geht ans die Zeit der Komposition. Durch einen unglücklichen Zufall hat v. Loeper die darauf be¬ züglichen Stellen im Goethe-Zelterschen Briefwechsel übersehen. Schon am 10. November 1816 schreibt Zelter: „Das Bundes- oder Lvgenlicd für den Kammerrat ^August war in diesem Frühjahr Kammerrat geworden! ist wohl fertig, schon längst, aber es ist doch noch in der Gare. Bis ich mir ein solches Stück gehörig angemessen habe, dazu brauche ich meine Zeit, und was vielen gefallen will, soll mir auch gefallen. Nehmt daher nicht übel, wenn ich ein oslches Lied in einer Viertelstunde auf Noten bringe, die ich nach einem Viertel¬ jahre wieder ausstreiche." Die Worte sind die Erwiederung auf eine Mahnung, die. wie so vieles andre, bei der Redaktion des Briefwechsels nicht hätte aus- fallen dürfen. Das Lied wird zu den „kleinen Gedichten" gehören, um deren Rücksendung Goethe am 25. Oktober bittet. Zelter hatte einen Teil derselben bei seiner Abreise von Weimar anfangs Oktober aus Versehen mitgenommen. Es muß das „Bundes- oder Logenlicd" demnach spätestens im Oktober gedichtet sein. Zelter hatte August und dem Vater versprochen, eine Komposition bald einzusenden, damit es im Dezember, in welchem die Beförderung zum Gesellen stattfinden sollte (Goethe selbst war auch nach einem Jahre Gesell geworden), in der Loge vorgetragen werden könne. Das Liedchen sandte Zelter erst am 2. Dezember, was dazu stimmt, daß es ihm am vorhergehenden Tage nach Wunsch gelungen war. „Ich sende das Gedicht auch wieder mit zurück meldet Zelter, weil ich es mit Andeutungen über den Vortrag der Melodie in den verschiednen Strophen versehen habe. Es ist dreistimmig, sür zwei Tenore und Baß; die Mittelstimme kann auch von einem Bassisten gesungen werden, im Fall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/575>, abgerufen am 28.07.2024.