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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkapitals.

Wenn die Sparkassen, um aus kleinen Beträgen anlagefähige Kapitalien
zu bilden, jene Beträge als Selbstschulduer übernehmen und den Einzahlern
dafür mit eignen Vermöge" haften, nährend sie selbst, die Sparkassen, als
Darleiher der Kapitalien auftreten, so ist das Verfahren der Hochfinanz ein
durchaus andres. Die Sparkasse vertritt ihre Einleger und handelt lediglich
in deren Interesse, das sie zu wahren sucht, indem sie ans möglichst hohe Zinsen
ausleiht; sie verstärkt also die Stellung der Einleger gegenüber der Nachfrage
nach Kapital. Der Bankier dagegen schiebt sich zwischen die Kapitalisten und
die Nachfrage als ein dritter ein, er trennt die beiden natürlichen Kontrahenten,
um ihre isolirte Stellung zu seinem Vorteil auszubeuten, um von beideu, wie
der neapolitanische Cammvrrist, eine Abgabe zu verlangen. Wenn die Börse,
wie sie es sein sollte in Wahrheit der Markt für alle diejenigen wäre, welche
Kapital darleihen oder Kapital entlehnen wollen, so würden die Regierungen
und die sonstigen großen Kapitalsucher auf der Börse erscheinen und sie würden
im Verkehr mit den wirklichen Darleihern den Zins und die sonstigen Be¬
dingungen nach den Nötigungen des Augenblicks vereinbaren. Nun aber
schieben sich zwischen diese natürlichen Parteien die Grvßkapitalisten, die Bankiers
ein; sie verhandeln mit den .Kapitalsuchern außerhalb der Börse und setzen Zins
und Bedingungen ohne Mitwirkung der ernsthaften Darleiher fest, ans deren
Kapitalien es doch allein abgesehen ist.

Während der Privatmann es nnr ans stetige und möglichst vorteilhafte Ver¬
zinsung seines Kapitals absieht, geht der Bankier immer nnr auf Kapitalgewinn
aus; der Zins läuft nun nebenher als Kassenrechnung und ist ihm seiner Höhe
nach ziemlich gleichgiltig. Er leihe dem Staate oder der Gemeinde, er gründe
eine Eisenbahn, eine Versicherungsanstalt oder eine Spinnerei, niemals ist es
seine Absicht, Gläubiger des Staates oder der Gemeinde zu werden oder Aktionär
jener Anstalten; er denkt nicht entfernt daran, sein Geld in dieser Weise an- und
festzulegen; was er allein beabsichtigt, ist, das Geld der unselbständigen Kapita¬
listen, die seine Klienten sind oder die seiner Lockung folgen, für jene Anlagen
heranzuziehen, für sich aber außer dein laufenden Zins einen Kapitalgewinn zu
machen. LWlciri^ is g. Kincl, ok trg.av (ZMrieä ein lor tue xurposs ok Allein^
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ok dankin^.

Die höchste Entwicklung hat diesem Handel mit fremdem Gelde erst die
Erfindung und allgemeine Einführung der auf den Inhaber lautenden Partial-
scheine und Aktien gegeben. Durch diese auf kleine Betrage lautenden Scheine
ist der Bankier in den Stand gesetzt, ein Geschäft selbst ganz ohne eigne Vorlage
zu machen, wenn er, wie es häufig geschieht, den Entlehner nur nach der Ma߬
gabe befriedigt, wie er die Partialscheine an der Börse veräußern wird. Ja
selbst in solchen Fällen ist dies möglich, wenn er die Partialscheine oder Aktien


Der Notstand des Privatkapitals.

Wenn die Sparkassen, um aus kleinen Beträgen anlagefähige Kapitalien
zu bilden, jene Beträge als Selbstschulduer übernehmen und den Einzahlern
dafür mit eignen Vermöge» haften, nährend sie selbst, die Sparkassen, als
Darleiher der Kapitalien auftreten, so ist das Verfahren der Hochfinanz ein
durchaus andres. Die Sparkasse vertritt ihre Einleger und handelt lediglich
in deren Interesse, das sie zu wahren sucht, indem sie ans möglichst hohe Zinsen
ausleiht; sie verstärkt also die Stellung der Einleger gegenüber der Nachfrage
nach Kapital. Der Bankier dagegen schiebt sich zwischen die Kapitalisten und
die Nachfrage als ein dritter ein, er trennt die beiden natürlichen Kontrahenten,
um ihre isolirte Stellung zu seinem Vorteil auszubeuten, um von beideu, wie
der neapolitanische Cammvrrist, eine Abgabe zu verlangen. Wenn die Börse,
wie sie es sein sollte in Wahrheit der Markt für alle diejenigen wäre, welche
Kapital darleihen oder Kapital entlehnen wollen, so würden die Regierungen
und die sonstigen großen Kapitalsucher auf der Börse erscheinen und sie würden
im Verkehr mit den wirklichen Darleihern den Zins und die sonstigen Be¬
dingungen nach den Nötigungen des Augenblicks vereinbaren. Nun aber
schieben sich zwischen diese natürlichen Parteien die Grvßkapitalisten, die Bankiers
ein; sie verhandeln mit den .Kapitalsuchern außerhalb der Börse und setzen Zins
und Bedingungen ohne Mitwirkung der ernsthaften Darleiher fest, ans deren
Kapitalien es doch allein abgesehen ist.

Während der Privatmann es nnr ans stetige und möglichst vorteilhafte Ver¬
zinsung seines Kapitals absieht, geht der Bankier immer nnr auf Kapitalgewinn
aus; der Zins läuft nun nebenher als Kassenrechnung und ist ihm seiner Höhe
nach ziemlich gleichgiltig. Er leihe dem Staate oder der Gemeinde, er gründe
eine Eisenbahn, eine Versicherungsanstalt oder eine Spinnerei, niemals ist es
seine Absicht, Gläubiger des Staates oder der Gemeinde zu werden oder Aktionär
jener Anstalten; er denkt nicht entfernt daran, sein Geld in dieser Weise an- und
festzulegen; was er allein beabsichtigt, ist, das Geld der unselbständigen Kapita¬
listen, die seine Klienten sind oder die seiner Lockung folgen, für jene Anlagen
heranzuziehen, für sich aber außer dein laufenden Zins einen Kapitalgewinn zu
machen. LWlciri^ is g. Kincl, ok trg.av (ZMrieä ein lor tue xurposs ok Allein^
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Die höchste Entwicklung hat diesem Handel mit fremdem Gelde erst die
Erfindung und allgemeine Einführung der auf den Inhaber lautenden Partial-
scheine und Aktien gegeben. Durch diese auf kleine Betrage lautenden Scheine
ist der Bankier in den Stand gesetzt, ein Geschäft selbst ganz ohne eigne Vorlage
zu machen, wenn er, wie es häufig geschieht, den Entlehner nur nach der Ma߬
gabe befriedigt, wie er die Partialscheine an der Börse veräußern wird. Ja
selbst in solchen Fällen ist dies möglich, wenn er die Partialscheine oder Aktien


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[0562] Der Notstand des Privatkapitals. Wenn die Sparkassen, um aus kleinen Beträgen anlagefähige Kapitalien zu bilden, jene Beträge als Selbstschulduer übernehmen und den Einzahlern dafür mit eignen Vermöge» haften, nährend sie selbst, die Sparkassen, als Darleiher der Kapitalien auftreten, so ist das Verfahren der Hochfinanz ein durchaus andres. Die Sparkasse vertritt ihre Einleger und handelt lediglich in deren Interesse, das sie zu wahren sucht, indem sie ans möglichst hohe Zinsen ausleiht; sie verstärkt also die Stellung der Einleger gegenüber der Nachfrage nach Kapital. Der Bankier dagegen schiebt sich zwischen die Kapitalisten und die Nachfrage als ein dritter ein, er trennt die beiden natürlichen Kontrahenten, um ihre isolirte Stellung zu seinem Vorteil auszubeuten, um von beideu, wie der neapolitanische Cammvrrist, eine Abgabe zu verlangen. Wenn die Börse, wie sie es sein sollte in Wahrheit der Markt für alle diejenigen wäre, welche Kapital darleihen oder Kapital entlehnen wollen, so würden die Regierungen und die sonstigen großen Kapitalsucher auf der Börse erscheinen und sie würden im Verkehr mit den wirklichen Darleihern den Zins und die sonstigen Be¬ dingungen nach den Nötigungen des Augenblicks vereinbaren. Nun aber schieben sich zwischen diese natürlichen Parteien die Grvßkapitalisten, die Bankiers ein; sie verhandeln mit den .Kapitalsuchern außerhalb der Börse und setzen Zins und Bedingungen ohne Mitwirkung der ernsthaften Darleiher fest, ans deren Kapitalien es doch allein abgesehen ist. Während der Privatmann es nnr ans stetige und möglichst vorteilhafte Ver¬ zinsung seines Kapitals absieht, geht der Bankier immer nnr auf Kapitalgewinn aus; der Zins läuft nun nebenher als Kassenrechnung und ist ihm seiner Höhe nach ziemlich gleichgiltig. Er leihe dem Staate oder der Gemeinde, er gründe eine Eisenbahn, eine Versicherungsanstalt oder eine Spinnerei, niemals ist es seine Absicht, Gläubiger des Staates oder der Gemeinde zu werden oder Aktionär jener Anstalten; er denkt nicht entfernt daran, sein Geld in dieser Weise an- und festzulegen; was er allein beabsichtigt, ist, das Geld der unselbständigen Kapita¬ listen, die seine Klienten sind oder die seiner Lockung folgen, für jene Anlagen heranzuziehen, für sich aber außer dein laufenden Zins einen Kapitalgewinn zu machen. LWlciri^ is g. Kincl, ok trg.av (ZMrieä ein lor tue xurposs ok Allein^ nronö^; it äiKzrs trou otlisr tnräW in u.8 mnvll it is varriscl on oliiöllx vit,n tus nrone^ ok otdör x<zoM, heißt es treffend in Gilbcirts Historz? s-na xrinoipsl» ok dankin^. Die höchste Entwicklung hat diesem Handel mit fremdem Gelde erst die Erfindung und allgemeine Einführung der auf den Inhaber lautenden Partial- scheine und Aktien gegeben. Durch diese auf kleine Betrage lautenden Scheine ist der Bankier in den Stand gesetzt, ein Geschäft selbst ganz ohne eigne Vorlage zu machen, wenn er, wie es häufig geschieht, den Entlehner nur nach der Ma߬ gabe befriedigt, wie er die Partialscheine an der Börse veräußern wird. Ja selbst in solchen Fällen ist dies möglich, wenn er die Partialscheine oder Aktien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/562>, abgerufen am 23.11.2024.