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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkapitals.

Für wenige Ellen Kcilliko, für einige Schnüre Glasperlen oder etwas Messing-
draht, wie sie in Europa für den Tagesbedarf vielleicht nur eines Menschen
hinreichen würden, tauscht man im Innern Afrikas Lebensmittel ein, die für
Wochen genügen, oder einen Elefantenzahn, für den man in Europa die hundert¬
fache Menge von Kallikv, Perlen oder Messingdraht kaufen kann. Denken wir
uns aber einen künftigen Zustand, wo die Verkehrsmittel so vollkommen wären,
daß die Fracht keinen nennenswerten Einfluß auf die Preise mehr übte, wo
überdies die Güter eben an jenen Stellen erzeugt würden, wo die größte Nach¬
frage darnach besteht, so würde Bedarf und Gütererzeugung, Produktion und
Konsumtion überall im Gleichgewichte stehen, so würde von eigentlichem Handels¬
gewinn kaum mehr die Rede sein, der mögliche Fortschritt bestünde nur noch in
der Steigerung des Bedarfs, dem die Produktion folgen würde, also in einem
gleichmäßigen Steigen aller Preise. In; einem solchen Zustande der Welt würde
von Bildung neuer Kapitalien nicht mehr die Rede sein, man würde darauf
beschränkt sein, die vorhandnen Kapitalien zu erhalten, die einen Teil der Pro¬
duktionsmittel bilden, es würde ein Beharrungszustand in der allgemeinen
Wirtschaft, ein Stillstand eingetreten sein, der freilich keine Dauer haben könnte,
weil tausend Umstände, vor allem die bewegliche Natur der Menschen selbst, das
Gleichgewicht stören und dadurch von neuem die Möglichkeit der Überschüsse,
der Kapitalbilduug und des Fortschritts schaffen würden.

Diese Betrachtungen gehören zwar nicht eigentlich zu unserm Thema, liegen
aber so nahe, daß man ihre Berührung entschuldigen wird.

Wir kehren nun zu unsrer Frage zurück: Wer sind im Gegensatz zu deu
bloßen Nießbranchcrn die Miteigentümer des Nationale'apiwks, wer sind die
Kapitalisten?

Der Tagelöhner, der aus dem Überschüsse seines Lohnes eine Axt anschafft,
der Schuhmacher, der seine Ersparnisse zum Ankauf von Leder oder zur Be¬
soldung eines Gesellen verwendet, der Fabrikant, welcher seinen Jahrcsgewinn
zur Vermehrung seines Betriebsfonds bestimmt, sie alle haben aus Überschuß
Kapital gebildet, und es mag diese Art der Kapitalbildnng, die Verwendung der
Ersparnisse im Betriebe des eignen Geschäftes, weitaus die bedeutendste und
umfangreichste sein, wenn sie auch kaum kontrvlirbar ist. Kapital bildet aber
auch derjenige, welcher seine Ersparnisse einem andern zur Ausdehnung oder Be¬
gründung eines Geschäftes leihweise überläßt, und diesen um'nen wir im engern
Sinne einen Kapitalisten.

Die ersterwähnte Art der Kapitalbildung hat zu allen Zeiten bestanden,
ans ihr beruhen die Anfänge jeder Kultur und der natürliche Fortbau derselben.
Die zweite Art dagegen hat erst in der modernen Welt jene großartige Ent-
wicklung erfahre", in welcher wir sie heute walten und fortschreiten scheu. Es
ist zwar jede, auch die einfachste und uranfänglichste wirtschaftliche Arbeit ihrem
Wesen oder dem Weser- des Menschen nach ans Erzielung eines Überschusses


Der Notstand des Privatkapitals.

Für wenige Ellen Kcilliko, für einige Schnüre Glasperlen oder etwas Messing-
draht, wie sie in Europa für den Tagesbedarf vielleicht nur eines Menschen
hinreichen würden, tauscht man im Innern Afrikas Lebensmittel ein, die für
Wochen genügen, oder einen Elefantenzahn, für den man in Europa die hundert¬
fache Menge von Kallikv, Perlen oder Messingdraht kaufen kann. Denken wir
uns aber einen künftigen Zustand, wo die Verkehrsmittel so vollkommen wären,
daß die Fracht keinen nennenswerten Einfluß auf die Preise mehr übte, wo
überdies die Güter eben an jenen Stellen erzeugt würden, wo die größte Nach¬
frage darnach besteht, so würde Bedarf und Gütererzeugung, Produktion und
Konsumtion überall im Gleichgewichte stehen, so würde von eigentlichem Handels¬
gewinn kaum mehr die Rede sein, der mögliche Fortschritt bestünde nur noch in
der Steigerung des Bedarfs, dem die Produktion folgen würde, also in einem
gleichmäßigen Steigen aller Preise. In; einem solchen Zustande der Welt würde
von Bildung neuer Kapitalien nicht mehr die Rede sein, man würde darauf
beschränkt sein, die vorhandnen Kapitalien zu erhalten, die einen Teil der Pro¬
duktionsmittel bilden, es würde ein Beharrungszustand in der allgemeinen
Wirtschaft, ein Stillstand eingetreten sein, der freilich keine Dauer haben könnte,
weil tausend Umstände, vor allem die bewegliche Natur der Menschen selbst, das
Gleichgewicht stören und dadurch von neuem die Möglichkeit der Überschüsse,
der Kapitalbilduug und des Fortschritts schaffen würden.

Diese Betrachtungen gehören zwar nicht eigentlich zu unserm Thema, liegen
aber so nahe, daß man ihre Berührung entschuldigen wird.

Wir kehren nun zu unsrer Frage zurück: Wer sind im Gegensatz zu deu
bloßen Nießbranchcrn die Miteigentümer des Nationale'apiwks, wer sind die
Kapitalisten?

Der Tagelöhner, der aus dem Überschüsse seines Lohnes eine Axt anschafft,
der Schuhmacher, der seine Ersparnisse zum Ankauf von Leder oder zur Be¬
soldung eines Gesellen verwendet, der Fabrikant, welcher seinen Jahrcsgewinn
zur Vermehrung seines Betriebsfonds bestimmt, sie alle haben aus Überschuß
Kapital gebildet, und es mag diese Art der Kapitalbildnng, die Verwendung der
Ersparnisse im Betriebe des eignen Geschäftes, weitaus die bedeutendste und
umfangreichste sein, wenn sie auch kaum kontrvlirbar ist. Kapital bildet aber
auch derjenige, welcher seine Ersparnisse einem andern zur Ausdehnung oder Be¬
gründung eines Geschäftes leihweise überläßt, und diesen um'nen wir im engern
Sinne einen Kapitalisten.

Die ersterwähnte Art der Kapitalbildung hat zu allen Zeiten bestanden,
ans ihr beruhen die Anfänge jeder Kultur und der natürliche Fortbau derselben.
Die zweite Art dagegen hat erst in der modernen Welt jene großartige Ent-
wicklung erfahre», in welcher wir sie heute walten und fortschreiten scheu. Es
ist zwar jede, auch die einfachste und uranfänglichste wirtschaftliche Arbeit ihrem
Wesen oder dem Weser- des Menschen nach ans Erzielung eines Überschusses


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[0551] Der Notstand des Privatkapitals. Für wenige Ellen Kcilliko, für einige Schnüre Glasperlen oder etwas Messing- draht, wie sie in Europa für den Tagesbedarf vielleicht nur eines Menschen hinreichen würden, tauscht man im Innern Afrikas Lebensmittel ein, die für Wochen genügen, oder einen Elefantenzahn, für den man in Europa die hundert¬ fache Menge von Kallikv, Perlen oder Messingdraht kaufen kann. Denken wir uns aber einen künftigen Zustand, wo die Verkehrsmittel so vollkommen wären, daß die Fracht keinen nennenswerten Einfluß auf die Preise mehr übte, wo überdies die Güter eben an jenen Stellen erzeugt würden, wo die größte Nach¬ frage darnach besteht, so würde Bedarf und Gütererzeugung, Produktion und Konsumtion überall im Gleichgewichte stehen, so würde von eigentlichem Handels¬ gewinn kaum mehr die Rede sein, der mögliche Fortschritt bestünde nur noch in der Steigerung des Bedarfs, dem die Produktion folgen würde, also in einem gleichmäßigen Steigen aller Preise. In; einem solchen Zustande der Welt würde von Bildung neuer Kapitalien nicht mehr die Rede sein, man würde darauf beschränkt sein, die vorhandnen Kapitalien zu erhalten, die einen Teil der Pro¬ duktionsmittel bilden, es würde ein Beharrungszustand in der allgemeinen Wirtschaft, ein Stillstand eingetreten sein, der freilich keine Dauer haben könnte, weil tausend Umstände, vor allem die bewegliche Natur der Menschen selbst, das Gleichgewicht stören und dadurch von neuem die Möglichkeit der Überschüsse, der Kapitalbilduug und des Fortschritts schaffen würden. Diese Betrachtungen gehören zwar nicht eigentlich zu unserm Thema, liegen aber so nahe, daß man ihre Berührung entschuldigen wird. Wir kehren nun zu unsrer Frage zurück: Wer sind im Gegensatz zu deu bloßen Nießbranchcrn die Miteigentümer des Nationale'apiwks, wer sind die Kapitalisten? Der Tagelöhner, der aus dem Überschüsse seines Lohnes eine Axt anschafft, der Schuhmacher, der seine Ersparnisse zum Ankauf von Leder oder zur Be¬ soldung eines Gesellen verwendet, der Fabrikant, welcher seinen Jahrcsgewinn zur Vermehrung seines Betriebsfonds bestimmt, sie alle haben aus Überschuß Kapital gebildet, und es mag diese Art der Kapitalbildnng, die Verwendung der Ersparnisse im Betriebe des eignen Geschäftes, weitaus die bedeutendste und umfangreichste sein, wenn sie auch kaum kontrvlirbar ist. Kapital bildet aber auch derjenige, welcher seine Ersparnisse einem andern zur Ausdehnung oder Be¬ gründung eines Geschäftes leihweise überläßt, und diesen um'nen wir im engern Sinne einen Kapitalisten. Die ersterwähnte Art der Kapitalbildung hat zu allen Zeiten bestanden, ans ihr beruhen die Anfänge jeder Kultur und der natürliche Fortbau derselben. Die zweite Art dagegen hat erst in der modernen Welt jene großartige Ent- wicklung erfahre», in welcher wir sie heute walten und fortschreiten scheu. Es ist zwar jede, auch die einfachste und uranfänglichste wirtschaftliche Arbeit ihrem Wesen oder dem Weser- des Menschen nach ans Erzielung eines Überschusses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/551>, abgerufen am 25.11.2024.