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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zontralasien.

dieses müsse und dürfe min sich nicht weiter ausdehnen, erfüllten sich nicht.
Diese solidern Staaten erwiesen sich fast ebenso unzuverlässig lind gefährlich
wie die Nomadenstämme. Der Emir von Buchara wollte Kvkand erobern, und
hätte mau ihm das gestattet, so würde er eine Macht erlangt haben, mit der
er Rußlands bisherige Erwerbungen in Mittelasien ernstlich zu bedrohen imstande
gewesen wäre. So nahmen die Nüssen Taschkend und später auch Samarkand.
Im Westen lies; Chiwci jene Erwerbungen uicht zur Ruhe komme", indem es
das Zentrum aller Verschwörungen der Turkmenen gegen dieselben war, und
so mußte es mit deu Waffen niedergeworfen und für immer am Wiedererstarken
gehindert werden, was durch Annexion eines Stückes seines Gebietes und An¬
legung einer Festung vor dem Eingänge in die Oase bewirkt wurde. Den auf¬
ständischen Kvkauzcu gegenüber war Nußland zuerst auf die Defensive hin¬
gewiesen: es hatte die Einfälle derselben in sein Gebiet abzuwehren. Dann
aber durste in dem Chanat keine Anarchie herrschen, die sich nach russischen
Besitzungen verbreiten konnte, zumal da die mächtigsten Häupter der dort sich
bekämpfenden Parteien entschiedne Russcnfeinde wäre". So nahm man das
Land nvtgcdrunge" in eigne Verwaltung. Ähnlich war es später mit den
Achaltelinzen, ähnlich mit den Turkmenen in der Oase Merw.

Überall war Rußland in diesen zentralasiatischen Angelegenheiten mehr
getrieben als treibend, wenigstens konnte seine Diplomatie dies behaupten und
mit Gründen belegen, die sich hören ließen. Indes hatte es bei seinem Umsich¬
greifen in den letzten Jahren keineswegs bloß die Interessen der Verteidigung
seines bis dahin erworbnen Besitzstandes vor Angen. Es dachte dabei auch an
Gewinnung vo" Märkten für die Erzeugnisse seiner GewerbtlMigkcit. Die
letztere hat sich seit etwa dreißig Jahren so gehoben, daß sie weit mehr pro-
duzirt, als was das Reich selbst bedarf und verbraucht. Sie muß ihren Überfluß
expvrtircu können, nach Westen hin ist dies unmöglich, und so mußte man sich
nach Käufern im Osten umsehen. Auch hier stieß man auf Schwierigkeiten; die
Wüsten und Steppen, dnrch welche die Handelswege führten, wurden durch
räubensche Nomaden unsicher gemacht, die unstäte Bevölkerung der meisten
Landstriche hatte nur ein geringes Bedürfnis nach russischen Waaren und wenig
Geld, sie zu kaufen, wenig andern Besitz, gegen deu sie einzutauschen waren,
die Zustände in deu Staaten mit seßhafter Bevölkerung waren von der Art,
daß sie nicht viel bessere Abnehmer liefern konnten. Es mußte Ordnung ge¬
schaffen werden und mit der Ordnung größerer Reichtum der Landesbevölkerung,
mehr Bedürfnis und mehr Fähigkeit, es zu befriedigen. Dies wurde von Rußland
direkt und indirekt angestrebt. Die Beraubung der Handelskarnwanen durch Turk¬
menen und Kirgisen hörte auf, Handelsverträge mit den Charaden förderten Ausfuhr
und Einfuhr, und in den annettirten Provinzen entwickelte sich allmählich mehr
Nachfrage nach den Fabrikaten der russischen Industrie. Diese Nachfrage wird
aber steigen, wem, die Waaren wohlfeiler werden, und das letztere wird geschehen'


Die Russen in Zontralasien.

dieses müsse und dürfe min sich nicht weiter ausdehnen, erfüllten sich nicht.
Diese solidern Staaten erwiesen sich fast ebenso unzuverlässig lind gefährlich
wie die Nomadenstämme. Der Emir von Buchara wollte Kvkand erobern, und
hätte mau ihm das gestattet, so würde er eine Macht erlangt haben, mit der
er Rußlands bisherige Erwerbungen in Mittelasien ernstlich zu bedrohen imstande
gewesen wäre. So nahmen die Nüssen Taschkend und später auch Samarkand.
Im Westen lies; Chiwci jene Erwerbungen uicht zur Ruhe komme», indem es
das Zentrum aller Verschwörungen der Turkmenen gegen dieselben war, und
so mußte es mit deu Waffen niedergeworfen und für immer am Wiedererstarken
gehindert werden, was durch Annexion eines Stückes seines Gebietes und An¬
legung einer Festung vor dem Eingänge in die Oase bewirkt wurde. Den auf¬
ständischen Kvkauzcu gegenüber war Nußland zuerst auf die Defensive hin¬
gewiesen: es hatte die Einfälle derselben in sein Gebiet abzuwehren. Dann
aber durste in dem Chanat keine Anarchie herrschen, die sich nach russischen
Besitzungen verbreiten konnte, zumal da die mächtigsten Häupter der dort sich
bekämpfenden Parteien entschiedne Russcnfeinde wäre«. So nahm man das
Land nvtgcdrunge» in eigne Verwaltung. Ähnlich war es später mit den
Achaltelinzen, ähnlich mit den Turkmenen in der Oase Merw.

Überall war Rußland in diesen zentralasiatischen Angelegenheiten mehr
getrieben als treibend, wenigstens konnte seine Diplomatie dies behaupten und
mit Gründen belegen, die sich hören ließen. Indes hatte es bei seinem Umsich¬
greifen in den letzten Jahren keineswegs bloß die Interessen der Verteidigung
seines bis dahin erworbnen Besitzstandes vor Angen. Es dachte dabei auch an
Gewinnung vo» Märkten für die Erzeugnisse seiner GewerbtlMigkcit. Die
letztere hat sich seit etwa dreißig Jahren so gehoben, daß sie weit mehr pro-
duzirt, als was das Reich selbst bedarf und verbraucht. Sie muß ihren Überfluß
expvrtircu können, nach Westen hin ist dies unmöglich, und so mußte man sich
nach Käufern im Osten umsehen. Auch hier stieß man auf Schwierigkeiten; die
Wüsten und Steppen, dnrch welche die Handelswege führten, wurden durch
räubensche Nomaden unsicher gemacht, die unstäte Bevölkerung der meisten
Landstriche hatte nur ein geringes Bedürfnis nach russischen Waaren und wenig
Geld, sie zu kaufen, wenig andern Besitz, gegen deu sie einzutauschen waren,
die Zustände in deu Staaten mit seßhafter Bevölkerung waren von der Art,
daß sie nicht viel bessere Abnehmer liefern konnten. Es mußte Ordnung ge¬
schaffen werden und mit der Ordnung größerer Reichtum der Landesbevölkerung,
mehr Bedürfnis und mehr Fähigkeit, es zu befriedigen. Dies wurde von Rußland
direkt und indirekt angestrebt. Die Beraubung der Handelskarnwanen durch Turk¬
menen und Kirgisen hörte auf, Handelsverträge mit den Charaden förderten Ausfuhr
und Einfuhr, und in den annettirten Provinzen entwickelte sich allmählich mehr
Nachfrage nach den Fabrikaten der russischen Industrie. Diese Nachfrage wird
aber steigen, wem, die Waaren wohlfeiler werden, und das letztere wird geschehen'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/540>, abgerufen am 01.09.2024.