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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Englische Musik.

dischen Mcheuvrganisten haben nur wenig gefallen: sie machen Vor- und Nach¬
spiele, die gar zu profan sind. Die Konzcrtorganistcu sind viel besser. Sie
sind durchschnittlich gute Techniker, im Pedal und Manual fertig und Virtuosen
im Registriren. Sie spielen fleißig Bach, aber auch sehr viel französische
Orgelmusik -- ein Genre von Tondichtung, das wie ein klingender "Frvsch-
und Mäusckricg" wirkt. Es war mir betrübend und bedenklich, daß sich das
Publikum gerade über dieses musikalische Katzensilber so erfreut zeigte.

Bei dem Mangel ein Konzertinstituten für die Pflege höherer Orchester¬
musik, wie wir sie in Deutschland zahlreich besitzen, ist in England das Terrain
für die Virtnvsenkonzertc sehr groß. Aber es ist weder leicht, auf diesem Terrain
Fuß zu fassen, noch auch sich auf demselben zu behaupten. Es ist ganz auf¬
fällig, wie wenig sich der Engländer hier blenden läßt. Der Nuhm auf dem
Festlande veranlaßt wohl eine Einladung, aber er wird in England erst einer
"enen scharfen Prüfung unterworfen, und manche Größe fällt an der Themse,
die an der Pleiße und der Spree sicher steht. In der Abschätzung von Vir-
tuvseulüusteu besitzt der Engländer eine viel größere Sicherheit, als wir sie ihm
in Deutschland zutrauen. Er ist auf diesem Felde von Alters her geübt: er
hat urteilen gelernt, da er immer die Besten vergleichen konnte. Seit Jahr¬
hunderten haben alle die Spitzen der Sing- und Spielkunst London und die
gvldreiche Insel aufgesucht. Der Engländer verlangt von dem Virtuose" eine
Spezialität, etwas Positives, an dem er ihn von einem andern unterscheiden
kann. Und er findet dieses Positive schnell heraus. Daher kommt es, daß
manche junge Talente, die in Deutschland lange unbemerkt in Reih und Glied
untiefen, ihre Stellung vor der Front erst von London ans erhielten. Es
giebt Zlonzertinstitnle in London (die frühere Ella'sche Rühl^al Union und die
?c>vno- Noiulci/ 0oncvrtL), welche für die Entdeckung neuer Sterne besonders
eingerichtet sind und jahraus jahrein eine Unmasse von Novizen Probiren und
verbrauche". Wie aber gegen junge Talente von wirklicher Eigentümlichkeit
ungemein entgege"komme"d und fördernd, so ist der Engländer gegen seine alten
befreundeten Virtuosen ungewöhnlich pietätvoll und begrüßt nud honorirt sie
weiter, wenn sie auch nnr noch den Schatten ihrer ehemaligen Leistungen zu
bieten haben. Sir Julius Benedict, für uns Deutsche eine halbmythische Er¬
innerung ans der Weberscheu Zeit -- die guten Londoner haben ihn gefeiert
bis zu seinem vor wenig Monaten erfolgten Tode! An dem Virtnosensegen
der City nehmen übrigens die Provinzen ihren reichlichen Teil. Es ist ein
stehender Gebrauch, daß die Unternehmer mit ihren ersten Kräften an den
freien Tagen der Londoner Saison oder nach deren Veendignng die Hauptstädte
der einzelnen Grafschaften besuchen.

Viel spricht man von dem Neklcunewesen, das in England mit den Konzert¬
unternehmungen "ut dem Auftreten der Virtuosen verbunden sein soll. Es ist
wahr: wer in England die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich leutete will, braucht


Englische Musik.

dischen Mcheuvrganisten haben nur wenig gefallen: sie machen Vor- und Nach¬
spiele, die gar zu profan sind. Die Konzcrtorganistcu sind viel besser. Sie
sind durchschnittlich gute Techniker, im Pedal und Manual fertig und Virtuosen
im Registriren. Sie spielen fleißig Bach, aber auch sehr viel französische
Orgelmusik — ein Genre von Tondichtung, das wie ein klingender „Frvsch-
und Mäusckricg" wirkt. Es war mir betrübend und bedenklich, daß sich das
Publikum gerade über dieses musikalische Katzensilber so erfreut zeigte.

Bei dem Mangel ein Konzertinstituten für die Pflege höherer Orchester¬
musik, wie wir sie in Deutschland zahlreich besitzen, ist in England das Terrain
für die Virtnvsenkonzertc sehr groß. Aber es ist weder leicht, auf diesem Terrain
Fuß zu fassen, noch auch sich auf demselben zu behaupten. Es ist ganz auf¬
fällig, wie wenig sich der Engländer hier blenden läßt. Der Nuhm auf dem
Festlande veranlaßt wohl eine Einladung, aber er wird in England erst einer
»enen scharfen Prüfung unterworfen, und manche Größe fällt an der Themse,
die an der Pleiße und der Spree sicher steht. In der Abschätzung von Vir-
tuvseulüusteu besitzt der Engländer eine viel größere Sicherheit, als wir sie ihm
in Deutschland zutrauen. Er ist auf diesem Felde von Alters her geübt: er
hat urteilen gelernt, da er immer die Besten vergleichen konnte. Seit Jahr¬
hunderten haben alle die Spitzen der Sing- und Spielkunst London und die
gvldreiche Insel aufgesucht. Der Engländer verlangt von dem Virtuose» eine
Spezialität, etwas Positives, an dem er ihn von einem andern unterscheiden
kann. Und er findet dieses Positive schnell heraus. Daher kommt es, daß
manche junge Talente, die in Deutschland lange unbemerkt in Reih und Glied
untiefen, ihre Stellung vor der Front erst von London ans erhielten. Es
giebt Zlonzertinstitnle in London (die frühere Ella'sche Rühl^al Union und die
?c>vno- Noiulci/ 0oncvrtL), welche für die Entdeckung neuer Sterne besonders
eingerichtet sind und jahraus jahrein eine Unmasse von Novizen Probiren und
verbrauche». Wie aber gegen junge Talente von wirklicher Eigentümlichkeit
ungemein entgege»komme»d und fördernd, so ist der Engländer gegen seine alten
befreundeten Virtuosen ungewöhnlich pietätvoll und begrüßt nud honorirt sie
weiter, wenn sie auch nnr noch den Schatten ihrer ehemaligen Leistungen zu
bieten haben. Sir Julius Benedict, für uns Deutsche eine halbmythische Er¬
innerung ans der Weberscheu Zeit — die guten Londoner haben ihn gefeiert
bis zu seinem vor wenig Monaten erfolgten Tode! An dem Virtnosensegen
der City nehmen übrigens die Provinzen ihren reichlichen Teil. Es ist ein
stehender Gebrauch, daß die Unternehmer mit ihren ersten Kräften an den
freien Tagen der Londoner Saison oder nach deren Veendignng die Hauptstädte
der einzelnen Grafschaften besuchen.

Viel spricht man von dem Neklcunewesen, das in England mit den Konzert¬
unternehmungen »ut dem Auftreten der Virtuosen verbunden sein soll. Es ist
wahr: wer in England die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich leutete will, braucht


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[0533] Englische Musik. dischen Mcheuvrganisten haben nur wenig gefallen: sie machen Vor- und Nach¬ spiele, die gar zu profan sind. Die Konzcrtorganistcu sind viel besser. Sie sind durchschnittlich gute Techniker, im Pedal und Manual fertig und Virtuosen im Registriren. Sie spielen fleißig Bach, aber auch sehr viel französische Orgelmusik — ein Genre von Tondichtung, das wie ein klingender „Frvsch- und Mäusckricg" wirkt. Es war mir betrübend und bedenklich, daß sich das Publikum gerade über dieses musikalische Katzensilber so erfreut zeigte. Bei dem Mangel ein Konzertinstituten für die Pflege höherer Orchester¬ musik, wie wir sie in Deutschland zahlreich besitzen, ist in England das Terrain für die Virtnvsenkonzertc sehr groß. Aber es ist weder leicht, auf diesem Terrain Fuß zu fassen, noch auch sich auf demselben zu behaupten. Es ist ganz auf¬ fällig, wie wenig sich der Engländer hier blenden läßt. Der Nuhm auf dem Festlande veranlaßt wohl eine Einladung, aber er wird in England erst einer »enen scharfen Prüfung unterworfen, und manche Größe fällt an der Themse, die an der Pleiße und der Spree sicher steht. In der Abschätzung von Vir- tuvseulüusteu besitzt der Engländer eine viel größere Sicherheit, als wir sie ihm in Deutschland zutrauen. Er ist auf diesem Felde von Alters her geübt: er hat urteilen gelernt, da er immer die Besten vergleichen konnte. Seit Jahr¬ hunderten haben alle die Spitzen der Sing- und Spielkunst London und die gvldreiche Insel aufgesucht. Der Engländer verlangt von dem Virtuose» eine Spezialität, etwas Positives, an dem er ihn von einem andern unterscheiden kann. Und er findet dieses Positive schnell heraus. Daher kommt es, daß manche junge Talente, die in Deutschland lange unbemerkt in Reih und Glied untiefen, ihre Stellung vor der Front erst von London ans erhielten. Es giebt Zlonzertinstitnle in London (die frühere Ella'sche Rühl^al Union und die ?c>vno- Noiulci/ 0oncvrtL), welche für die Entdeckung neuer Sterne besonders eingerichtet sind und jahraus jahrein eine Unmasse von Novizen Probiren und verbrauche». Wie aber gegen junge Talente von wirklicher Eigentümlichkeit ungemein entgege»komme»d und fördernd, so ist der Engländer gegen seine alten befreundeten Virtuosen ungewöhnlich pietätvoll und begrüßt nud honorirt sie weiter, wenn sie auch nnr noch den Schatten ihrer ehemaligen Leistungen zu bieten haben. Sir Julius Benedict, für uns Deutsche eine halbmythische Er¬ innerung ans der Weberscheu Zeit — die guten Londoner haben ihn gefeiert bis zu seinem vor wenig Monaten erfolgten Tode! An dem Virtnosensegen der City nehmen übrigens die Provinzen ihren reichlichen Teil. Es ist ein stehender Gebrauch, daß die Unternehmer mit ihren ersten Kräften an den freien Tagen der Londoner Saison oder nach deren Veendignng die Hauptstädte der einzelnen Grafschaften besuchen. Viel spricht man von dem Neklcunewesen, das in England mit den Konzert¬ unternehmungen »ut dem Auftreten der Virtuosen verbunden sein soll. Es ist wahr: wer in England die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich leutete will, braucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/533>, abgerufen am 25.11.2024.