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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

tage hin, keine liebende Hand legte sich über seine Augen, die Geschwister hielten
sich herzlos abseits, nur sein Liebling, seine Nichte Elisabeth von Württemberg,
ließ sich, obgleich sie ihrer Entbindung entgegensah, in einer Sänfte an das
Sterbelager tragen, wurde aber schon nach den ersten Worten des Kaisers so
ohnmächtig, daß man sie wegbringen mußte. Am nächsten Tage that sie eine
Fehlgeburt, und am andern Morgen war sie eine Leiche. "Und ich lebe noch,"
rief Joseph bei dieser Kunde aus. Der letzte Gruß galt den fünf Damen; am
Vorabend des Todestages brachte Lasey ihnen ein Abschiedsbillet des Kaisers.
In der Frühe des 20. Februar hauchte Joseph nach kurzem Todeskampfe seine
große und edle Seele aus. "Die Geschichte -- fügte die "Wiener Zeitung" der
Todesnachricht bei --, wird ihm die Gerechtigkeit leisten, daß er mächtige Vor¬
urteile zum Teil glücklich besiegt und daß er großen Wahrheiten nicht nur den
Weg zum Thron eröffnet, sondern auch einen ausgebreiteten Einfluß verschafft
hat. Er hat auch in der kurzen Zeit seiner Regierung so viele wichtige An¬
stalten gemacht und so viele segensvolle Denkmäler der Weisheit und Güte
hinterlassen, daß der Dank der Nachkommenschaft seinen Namen verewigen wird."

Mit dem Tode ihres kaiserlichen Freundes erlosch auch Eleonorens Glücks¬
stern. 1789 war ihr Gemahl an einem Faulfieber, das er sich im türkischen
Feldzuge geholt hatte, gestorben; 1795 fiel ihr ältester Sohn, auf den sie große
Stücke gehalten hatte, im Duell vou der Hand des Barons von Weichs, eines
jungen Domherrn aus Osnabrück. Gegenstand des Streites soll die schöne und
geistreiche Fanny Arnstein, eine geborne Jtzig aus Berlin, die Gattin des Bankiers
und schwedischen Generalkonsuls Nathan Adam Arnstein, gewesen sein, in deren
Salons sich alles zusammenfand, was Wien an Intelligenz aufzuweisen hatte.
Sie hat eine gewisse Bedeutung für die Geschichte Wiens, denn sie vertrat hier
zuerst jene Bewegung im Judentume, welche in Berlin mit Mendelssohn begonnen
hatte und in der Rachel ihren Gipfelpunkt gewann. Der zweite Sohn, Wenzel,
der für den geistlichen Stand bestimmt war, machte der Mutter durch seinen
leichtsinnigen Lebenswandel vielen Kummer; erst als er das Psaffenkleid ab¬
gelegt hatte und Soldat geworden war, besserte sich seine Aufführung. 1795
starb Leopoldine Kaunitz, die teure Schwester und Beraterin. Sie hinterließ
nur eine Tochter, welche noch in demselben Jahre den Grafen Clemens Metternich,
den spätern österreichischen Staatskanzler, heiratete.

Nachdem Eleonore Liechtenstein in ihrer Jugend den höchsten Glanz der
österreichischen Monarchie unter Maria Theresia gesehen und späterhin Joseph II.
näher als irgend eine andre Frau gestanden hatte, mußte sie am Ende ihres
Lebens den Zusammensturz des alten Staatsgebäudes mit erleben. Sie starb
an demselben Tage, an welchem die Neste der großen Armee die Beresina zu
überschreiten begannen.

Eleonore war eine Frau, deren Wert erst dann erkannt werden kann, wenn
sie mit eignem Maße gemessen wird. Ihr Lebe"! fiel in die zweite Hälfte des


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

tage hin, keine liebende Hand legte sich über seine Augen, die Geschwister hielten
sich herzlos abseits, nur sein Liebling, seine Nichte Elisabeth von Württemberg,
ließ sich, obgleich sie ihrer Entbindung entgegensah, in einer Sänfte an das
Sterbelager tragen, wurde aber schon nach den ersten Worten des Kaisers so
ohnmächtig, daß man sie wegbringen mußte. Am nächsten Tage that sie eine
Fehlgeburt, und am andern Morgen war sie eine Leiche. „Und ich lebe noch,"
rief Joseph bei dieser Kunde aus. Der letzte Gruß galt den fünf Damen; am
Vorabend des Todestages brachte Lasey ihnen ein Abschiedsbillet des Kaisers.
In der Frühe des 20. Februar hauchte Joseph nach kurzem Todeskampfe seine
große und edle Seele aus. „Die Geschichte — fügte die »Wiener Zeitung« der
Todesnachricht bei —, wird ihm die Gerechtigkeit leisten, daß er mächtige Vor¬
urteile zum Teil glücklich besiegt und daß er großen Wahrheiten nicht nur den
Weg zum Thron eröffnet, sondern auch einen ausgebreiteten Einfluß verschafft
hat. Er hat auch in der kurzen Zeit seiner Regierung so viele wichtige An¬
stalten gemacht und so viele segensvolle Denkmäler der Weisheit und Güte
hinterlassen, daß der Dank der Nachkommenschaft seinen Namen verewigen wird."

Mit dem Tode ihres kaiserlichen Freundes erlosch auch Eleonorens Glücks¬
stern. 1789 war ihr Gemahl an einem Faulfieber, das er sich im türkischen
Feldzuge geholt hatte, gestorben; 1795 fiel ihr ältester Sohn, auf den sie große
Stücke gehalten hatte, im Duell vou der Hand des Barons von Weichs, eines
jungen Domherrn aus Osnabrück. Gegenstand des Streites soll die schöne und
geistreiche Fanny Arnstein, eine geborne Jtzig aus Berlin, die Gattin des Bankiers
und schwedischen Generalkonsuls Nathan Adam Arnstein, gewesen sein, in deren
Salons sich alles zusammenfand, was Wien an Intelligenz aufzuweisen hatte.
Sie hat eine gewisse Bedeutung für die Geschichte Wiens, denn sie vertrat hier
zuerst jene Bewegung im Judentume, welche in Berlin mit Mendelssohn begonnen
hatte und in der Rachel ihren Gipfelpunkt gewann. Der zweite Sohn, Wenzel,
der für den geistlichen Stand bestimmt war, machte der Mutter durch seinen
leichtsinnigen Lebenswandel vielen Kummer; erst als er das Psaffenkleid ab¬
gelegt hatte und Soldat geworden war, besserte sich seine Aufführung. 1795
starb Leopoldine Kaunitz, die teure Schwester und Beraterin. Sie hinterließ
nur eine Tochter, welche noch in demselben Jahre den Grafen Clemens Metternich,
den spätern österreichischen Staatskanzler, heiratete.

Nachdem Eleonore Liechtenstein in ihrer Jugend den höchsten Glanz der
österreichischen Monarchie unter Maria Theresia gesehen und späterhin Joseph II.
näher als irgend eine andre Frau gestanden hatte, mußte sie am Ende ihres
Lebens den Zusammensturz des alten Staatsgebäudes mit erleben. Sie starb
an demselben Tage, an welchem die Neste der großen Armee die Beresina zu
überschreiten begannen.

Eleonore war eine Frau, deren Wert erst dann erkannt werden kann, wenn
sie mit eignem Maße gemessen wird. Ihr Lebe»! fiel in die zweite Hälfte des


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[0525] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. tage hin, keine liebende Hand legte sich über seine Augen, die Geschwister hielten sich herzlos abseits, nur sein Liebling, seine Nichte Elisabeth von Württemberg, ließ sich, obgleich sie ihrer Entbindung entgegensah, in einer Sänfte an das Sterbelager tragen, wurde aber schon nach den ersten Worten des Kaisers so ohnmächtig, daß man sie wegbringen mußte. Am nächsten Tage that sie eine Fehlgeburt, und am andern Morgen war sie eine Leiche. „Und ich lebe noch," rief Joseph bei dieser Kunde aus. Der letzte Gruß galt den fünf Damen; am Vorabend des Todestages brachte Lasey ihnen ein Abschiedsbillet des Kaisers. In der Frühe des 20. Februar hauchte Joseph nach kurzem Todeskampfe seine große und edle Seele aus. „Die Geschichte — fügte die »Wiener Zeitung« der Todesnachricht bei —, wird ihm die Gerechtigkeit leisten, daß er mächtige Vor¬ urteile zum Teil glücklich besiegt und daß er großen Wahrheiten nicht nur den Weg zum Thron eröffnet, sondern auch einen ausgebreiteten Einfluß verschafft hat. Er hat auch in der kurzen Zeit seiner Regierung so viele wichtige An¬ stalten gemacht und so viele segensvolle Denkmäler der Weisheit und Güte hinterlassen, daß der Dank der Nachkommenschaft seinen Namen verewigen wird." Mit dem Tode ihres kaiserlichen Freundes erlosch auch Eleonorens Glücks¬ stern. 1789 war ihr Gemahl an einem Faulfieber, das er sich im türkischen Feldzuge geholt hatte, gestorben; 1795 fiel ihr ältester Sohn, auf den sie große Stücke gehalten hatte, im Duell vou der Hand des Barons von Weichs, eines jungen Domherrn aus Osnabrück. Gegenstand des Streites soll die schöne und geistreiche Fanny Arnstein, eine geborne Jtzig aus Berlin, die Gattin des Bankiers und schwedischen Generalkonsuls Nathan Adam Arnstein, gewesen sein, in deren Salons sich alles zusammenfand, was Wien an Intelligenz aufzuweisen hatte. Sie hat eine gewisse Bedeutung für die Geschichte Wiens, denn sie vertrat hier zuerst jene Bewegung im Judentume, welche in Berlin mit Mendelssohn begonnen hatte und in der Rachel ihren Gipfelpunkt gewann. Der zweite Sohn, Wenzel, der für den geistlichen Stand bestimmt war, machte der Mutter durch seinen leichtsinnigen Lebenswandel vielen Kummer; erst als er das Psaffenkleid ab¬ gelegt hatte und Soldat geworden war, besserte sich seine Aufführung. 1795 starb Leopoldine Kaunitz, die teure Schwester und Beraterin. Sie hinterließ nur eine Tochter, welche noch in demselben Jahre den Grafen Clemens Metternich, den spätern österreichischen Staatskanzler, heiratete. Nachdem Eleonore Liechtenstein in ihrer Jugend den höchsten Glanz der österreichischen Monarchie unter Maria Theresia gesehen und späterhin Joseph II. näher als irgend eine andre Frau gestanden hatte, mußte sie am Ende ihres Lebens den Zusammensturz des alten Staatsgebäudes mit erleben. Sie starb an demselben Tage, an welchem die Neste der großen Armee die Beresina zu überschreiten begannen. Eleonore war eine Frau, deren Wert erst dann erkannt werden kann, wenn sie mit eignem Maße gemessen wird. Ihr Lebe»! fiel in die zweite Hälfte des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/525>, abgerufen am 01.09.2024.