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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

ihrer Svnderprivilegien, nur der Kleinbürger und der Bauer nahmen die Re¬
formen wie eine Befreiung von alten, drückenden Fesseln auf. Auch in der
Gesellschaft der fünf Damen machte sich offene Opposition gegen das neue
Regime geltend. In den Abendunterhaltungen trug der Kaiser nicht selten seine
Neformgedanken vor und verbreitete sich in lebhafter Selbstverteidigung über
die ncuerlasseucn Gesetze. Aber niemals hat Eleonore Liechtenstein an dem
Charakter ihres kaiserlichen Freundes gezweifelt; sie erkannte und achtete die
offene Ehrlichkeit seines Wesens, seinen guten Willen, sein warmes Herz für
alles, was das Wohl seines Volkes betraf. Daß sie durch dieses revolutionäre
Vorgehen gegen die alten kirchlichen Einrichtungen beängstigt und verstimmt
wurde, wer möchte dies ihrem Frauengcmüt verargen?

Es ist bekannt, daß Joseph in den letzten Jahren seiner Negierung selbst
Hand an die Zerstörung seines mit so unsäglichen Schwierigkeiten aufgebauten
Werkes zu legen genötigt war. Anstatt daß mit den Jahren die neuen Ein¬
richtungen gekräftigt worden waren, wurden sie vielmehr von der immer kühner
auftretenden Opposition erfolgreich unterwühlt. Selbst der Bruder und Thron¬
folger, Großherzog Leopold von Toskana, einer der wenigen, denen Joseph sein
ganzes Vertrauen schenkte und der zu Anfang zu den begeisterten Anhängern
seiner Reformen zählte, zog sich allmählich in das andre Lager hinüber. Dazu
kam das Fehlschlagen der josephinischen Politik in den Niederlanden, in Ungarn,
in den Beziehungen zu Preußen, Rußland und der Pforte. Joseph ist auch
in seiner äußern Politik eine tragische Erscheinung dadurch gewesen, daß er stets
nicht nur das Beste -- denn welcher gewissenhafte Fürst wollte das uicht! --
sondern auch das Nichtige wollte, daß ihm aber dieses sein Wollen regelmäßig
bei der Ausführung ins Gegenteil umgeschlagen ist. Zuerst schlug in Ungarn
die Empörung in hellen Flammen auf, später folgten die katholischen Nieder¬
lande, Hand in Hand mit der gleichzeitigen französischen Revolution, bis zum
völligen Abfall von Österreich. Den Schluß in dieser Kette von Unglücksfällen
bildete der schlimme Ausgang des Türkenkrieges, in dessen Strapazen sich der
Kaiser den Keim zu unheilbarem Siechtum holte. "Versunken in mein eignes
Mißgeschick -- schrieb er im Dezember 1789 an seinen Bruder Leopold --
und in das des Staates, mit einer Gesundheit, welche mich jeder Erleichterung
beraubt und nur die Arbeit noch peinlicher macht, bin ich gegenwärtig der Un¬
glücklichste unter den Lebenden; Geduld und Ergebung sind meine einzige Devise.
Du kennst meinen Fanatismus, darf ich sagen, für das Wohl des Staates,
dem ich alles geopfert habe; das bischen guten Ruf, das ich besaß, das politische
Ansehen, welches die Monarchie sich erworben, alles ist dahin; beklage mich,
mein teurer Bruder, und möge Gott dich vor einer ähnlichen Lage bewahren!"
Fast schon auf seinem Totenbette unterzeichnete Joseph den berühmten Widerruf
seiner Gesetze in Ungarn und vernichtete damit für Jahrzehnte den Kultur¬
fortschritt in diesem Lande. Einsam und verlassen brachte er die letzten Lebens-


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

ihrer Svnderprivilegien, nur der Kleinbürger und der Bauer nahmen die Re¬
formen wie eine Befreiung von alten, drückenden Fesseln auf. Auch in der
Gesellschaft der fünf Damen machte sich offene Opposition gegen das neue
Regime geltend. In den Abendunterhaltungen trug der Kaiser nicht selten seine
Neformgedanken vor und verbreitete sich in lebhafter Selbstverteidigung über
die ncuerlasseucn Gesetze. Aber niemals hat Eleonore Liechtenstein an dem
Charakter ihres kaiserlichen Freundes gezweifelt; sie erkannte und achtete die
offene Ehrlichkeit seines Wesens, seinen guten Willen, sein warmes Herz für
alles, was das Wohl seines Volkes betraf. Daß sie durch dieses revolutionäre
Vorgehen gegen die alten kirchlichen Einrichtungen beängstigt und verstimmt
wurde, wer möchte dies ihrem Frauengcmüt verargen?

Es ist bekannt, daß Joseph in den letzten Jahren seiner Negierung selbst
Hand an die Zerstörung seines mit so unsäglichen Schwierigkeiten aufgebauten
Werkes zu legen genötigt war. Anstatt daß mit den Jahren die neuen Ein¬
richtungen gekräftigt worden waren, wurden sie vielmehr von der immer kühner
auftretenden Opposition erfolgreich unterwühlt. Selbst der Bruder und Thron¬
folger, Großherzog Leopold von Toskana, einer der wenigen, denen Joseph sein
ganzes Vertrauen schenkte und der zu Anfang zu den begeisterten Anhängern
seiner Reformen zählte, zog sich allmählich in das andre Lager hinüber. Dazu
kam das Fehlschlagen der josephinischen Politik in den Niederlanden, in Ungarn,
in den Beziehungen zu Preußen, Rußland und der Pforte. Joseph ist auch
in seiner äußern Politik eine tragische Erscheinung dadurch gewesen, daß er stets
nicht nur das Beste — denn welcher gewissenhafte Fürst wollte das uicht! —
sondern auch das Nichtige wollte, daß ihm aber dieses sein Wollen regelmäßig
bei der Ausführung ins Gegenteil umgeschlagen ist. Zuerst schlug in Ungarn
die Empörung in hellen Flammen auf, später folgten die katholischen Nieder¬
lande, Hand in Hand mit der gleichzeitigen französischen Revolution, bis zum
völligen Abfall von Österreich. Den Schluß in dieser Kette von Unglücksfällen
bildete der schlimme Ausgang des Türkenkrieges, in dessen Strapazen sich der
Kaiser den Keim zu unheilbarem Siechtum holte. „Versunken in mein eignes
Mißgeschick — schrieb er im Dezember 1789 an seinen Bruder Leopold —
und in das des Staates, mit einer Gesundheit, welche mich jeder Erleichterung
beraubt und nur die Arbeit noch peinlicher macht, bin ich gegenwärtig der Un¬
glücklichste unter den Lebenden; Geduld und Ergebung sind meine einzige Devise.
Du kennst meinen Fanatismus, darf ich sagen, für das Wohl des Staates,
dem ich alles geopfert habe; das bischen guten Ruf, das ich besaß, das politische
Ansehen, welches die Monarchie sich erworben, alles ist dahin; beklage mich,
mein teurer Bruder, und möge Gott dich vor einer ähnlichen Lage bewahren!"
Fast schon auf seinem Totenbette unterzeichnete Joseph den berühmten Widerruf
seiner Gesetze in Ungarn und vernichtete damit für Jahrzehnte den Kultur¬
fortschritt in diesem Lande. Einsam und verlassen brachte er die letzten Lebens-


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[0524] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. ihrer Svnderprivilegien, nur der Kleinbürger und der Bauer nahmen die Re¬ formen wie eine Befreiung von alten, drückenden Fesseln auf. Auch in der Gesellschaft der fünf Damen machte sich offene Opposition gegen das neue Regime geltend. In den Abendunterhaltungen trug der Kaiser nicht selten seine Neformgedanken vor und verbreitete sich in lebhafter Selbstverteidigung über die ncuerlasseucn Gesetze. Aber niemals hat Eleonore Liechtenstein an dem Charakter ihres kaiserlichen Freundes gezweifelt; sie erkannte und achtete die offene Ehrlichkeit seines Wesens, seinen guten Willen, sein warmes Herz für alles, was das Wohl seines Volkes betraf. Daß sie durch dieses revolutionäre Vorgehen gegen die alten kirchlichen Einrichtungen beängstigt und verstimmt wurde, wer möchte dies ihrem Frauengcmüt verargen? Es ist bekannt, daß Joseph in den letzten Jahren seiner Negierung selbst Hand an die Zerstörung seines mit so unsäglichen Schwierigkeiten aufgebauten Werkes zu legen genötigt war. Anstatt daß mit den Jahren die neuen Ein¬ richtungen gekräftigt worden waren, wurden sie vielmehr von der immer kühner auftretenden Opposition erfolgreich unterwühlt. Selbst der Bruder und Thron¬ folger, Großherzog Leopold von Toskana, einer der wenigen, denen Joseph sein ganzes Vertrauen schenkte und der zu Anfang zu den begeisterten Anhängern seiner Reformen zählte, zog sich allmählich in das andre Lager hinüber. Dazu kam das Fehlschlagen der josephinischen Politik in den Niederlanden, in Ungarn, in den Beziehungen zu Preußen, Rußland und der Pforte. Joseph ist auch in seiner äußern Politik eine tragische Erscheinung dadurch gewesen, daß er stets nicht nur das Beste — denn welcher gewissenhafte Fürst wollte das uicht! — sondern auch das Nichtige wollte, daß ihm aber dieses sein Wollen regelmäßig bei der Ausführung ins Gegenteil umgeschlagen ist. Zuerst schlug in Ungarn die Empörung in hellen Flammen auf, später folgten die katholischen Nieder¬ lande, Hand in Hand mit der gleichzeitigen französischen Revolution, bis zum völligen Abfall von Österreich. Den Schluß in dieser Kette von Unglücksfällen bildete der schlimme Ausgang des Türkenkrieges, in dessen Strapazen sich der Kaiser den Keim zu unheilbarem Siechtum holte. „Versunken in mein eignes Mißgeschick — schrieb er im Dezember 1789 an seinen Bruder Leopold — und in das des Staates, mit einer Gesundheit, welche mich jeder Erleichterung beraubt und nur die Arbeit noch peinlicher macht, bin ich gegenwärtig der Un¬ glücklichste unter den Lebenden; Geduld und Ergebung sind meine einzige Devise. Du kennst meinen Fanatismus, darf ich sagen, für das Wohl des Staates, dem ich alles geopfert habe; das bischen guten Ruf, das ich besaß, das politische Ansehen, welches die Monarchie sich erworben, alles ist dahin; beklage mich, mein teurer Bruder, und möge Gott dich vor einer ähnlichen Lage bewahren!" Fast schon auf seinem Totenbette unterzeichnete Joseph den berühmten Widerruf seiner Gesetze in Ungarn und vernichtete damit für Jahrzehnte den Kultur¬ fortschritt in diesem Lande. Einsam und verlassen brachte er die letzten Lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/524>, abgerufen am 01.09.2024.