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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Strafgesetzes eingeschritten werden sollte, schrieb Joseph seiner Mutter: "Ich
erkläre positiv: wer dieses geschrieben, ist unwürdig zu dienen, ein Manu, der
meine Verachtung verdient." Welche Heftigkeit der Auffassung und des Aus¬
drucks liegt nicht in diesen Worten! Und rasch wie sein Urteil, war sein ganzes
Wesen. Rasch war sein Gang, rasch seine Geberde, rasch sein Thun. Auf
seinen Reisen ging es mit Windeseile vorwärts, durch Nacht und Nebel, über
reißende Ströme und wilde Gebirgspässe. Mehrmals war er in Lebensgefahr.
Immer war er bereit zu lernen, er ging dabei ins Einzelne, ins Kleinste. Viel
zu wenig hat er den Rat befolgt, den ihm der große Friedrich in Neisse ge¬
geben hatte: er möge sich nicht von Bagatellen erdrücken lassen, das ermüde den
Geist und verhindere, an große Sachen zu denken. Sein Haushalt, seine Tages¬
ordnung waren gleich einfach. Gern nahm er deu Schein an, als wenn er nie¬
manden bedürfe. Er war gewohnt zu befehlen, streng, rücksichtslos, oftmals
gewaltsam, zerschmetternd und doch wieder gütig und mild, barmherzig, voll
Verständnis für jedes Leid, zumeist für die Seufzer der Armen und Bedrängten.
Er war seit Jahrhunderten der erste Fürst seines Stammes, welcher wieder in
die offnen Kreise des Lebens hinaustrat, der erste Fürst, welcher ein erträgliches
Deutsch sprach und schrieb. Wohin er kam, bezauberte er alle, hoch und niedrig,
mit seinen: offnen, freundlichen Wesen. In Deutschland war er in jenen Jahren
der populärste Fürst, die Freude und die Hoffnung der Jugend.

Am 29. November 1780 starb Maria Theresia. Ihre letzten Lebensjahre
waren für sie eine Quelle unausgesetzter Verstimmungen und Kränkungen. "Bin
nicht mehr vissöur -- schreibt sie in jener Zeit einmal an Joseph -->, bin
allein, verlassen, der Tod meiner Freunde, die Jrreligivn, die Verschlechterung
der Sitten, die Sprache, die man jetzt führt, alles das drückt mich nieder."
Jetzt erst kam Joseph dazu, auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens seine
tiefeingreifendcn Reformgcdanken zur Ausführung zu bringen. Fassen wir den
Gesamtinhalt und Charakter seiner Reformen in kurzen Worten zusammen, so
werden wir sagen müssen, daß sein Staatsideal die absolute einheitliche Mo¬
narchie unter der Herrschaft des Gesetzes gewesen ist.

Es ist oben hervorgehoben worden, daß Österreich bis ans Josephs II.
Zeiten herab mehr ein Föderativstaat, gelenkt von den Ständen und Korpo¬
rationen des einzelnen Landes, als ein einheitlicher Staat mit strammer
zentralisier Verwaltung gewesen war. Hier mußte zuerst Hand ans Werk
gelegt werden. Vor allem wurde den Ständen, den Grundherren und den
Städten jede Ausübung einer obrigkeitlichen Thätigkeit entzogen, sodann all¬
gemach ein ständisches Recht nach dem andern aufgehoben, bis endlich 1788
mit der Auflösung der Landtage die letzten Überbleibsel der alten Rechte zer¬
trümmert waren. In den Städten hörte die alte Zunftgliedernng auf, alle
Bürger sollten in gleiche Pflichten und Rechte eintreten, auf dem Lande wurde
die Leibeigenschaft aufgehoben, die Zinsen und Frohnden wurden gesetzlich be-


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Strafgesetzes eingeschritten werden sollte, schrieb Joseph seiner Mutter: „Ich
erkläre positiv: wer dieses geschrieben, ist unwürdig zu dienen, ein Manu, der
meine Verachtung verdient." Welche Heftigkeit der Auffassung und des Aus¬
drucks liegt nicht in diesen Worten! Und rasch wie sein Urteil, war sein ganzes
Wesen. Rasch war sein Gang, rasch seine Geberde, rasch sein Thun. Auf
seinen Reisen ging es mit Windeseile vorwärts, durch Nacht und Nebel, über
reißende Ströme und wilde Gebirgspässe. Mehrmals war er in Lebensgefahr.
Immer war er bereit zu lernen, er ging dabei ins Einzelne, ins Kleinste. Viel
zu wenig hat er den Rat befolgt, den ihm der große Friedrich in Neisse ge¬
geben hatte: er möge sich nicht von Bagatellen erdrücken lassen, das ermüde den
Geist und verhindere, an große Sachen zu denken. Sein Haushalt, seine Tages¬
ordnung waren gleich einfach. Gern nahm er deu Schein an, als wenn er nie¬
manden bedürfe. Er war gewohnt zu befehlen, streng, rücksichtslos, oftmals
gewaltsam, zerschmetternd und doch wieder gütig und mild, barmherzig, voll
Verständnis für jedes Leid, zumeist für die Seufzer der Armen und Bedrängten.
Er war seit Jahrhunderten der erste Fürst seines Stammes, welcher wieder in
die offnen Kreise des Lebens hinaustrat, der erste Fürst, welcher ein erträgliches
Deutsch sprach und schrieb. Wohin er kam, bezauberte er alle, hoch und niedrig,
mit seinen: offnen, freundlichen Wesen. In Deutschland war er in jenen Jahren
der populärste Fürst, die Freude und die Hoffnung der Jugend.

Am 29. November 1780 starb Maria Theresia. Ihre letzten Lebensjahre
waren für sie eine Quelle unausgesetzter Verstimmungen und Kränkungen. „Bin
nicht mehr vissöur — schreibt sie in jener Zeit einmal an Joseph —>, bin
allein, verlassen, der Tod meiner Freunde, die Jrreligivn, die Verschlechterung
der Sitten, die Sprache, die man jetzt führt, alles das drückt mich nieder."
Jetzt erst kam Joseph dazu, auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens seine
tiefeingreifendcn Reformgcdanken zur Ausführung zu bringen. Fassen wir den
Gesamtinhalt und Charakter seiner Reformen in kurzen Worten zusammen, so
werden wir sagen müssen, daß sein Staatsideal die absolute einheitliche Mo¬
narchie unter der Herrschaft des Gesetzes gewesen ist.

Es ist oben hervorgehoben worden, daß Österreich bis ans Josephs II.
Zeiten herab mehr ein Föderativstaat, gelenkt von den Ständen und Korpo¬
rationen des einzelnen Landes, als ein einheitlicher Staat mit strammer
zentralisier Verwaltung gewesen war. Hier mußte zuerst Hand ans Werk
gelegt werden. Vor allem wurde den Ständen, den Grundherren und den
Städten jede Ausübung einer obrigkeitlichen Thätigkeit entzogen, sodann all¬
gemach ein ständisches Recht nach dem andern aufgehoben, bis endlich 1788
mit der Auflösung der Landtage die letzten Überbleibsel der alten Rechte zer¬
trümmert waren. In den Städten hörte die alte Zunftgliedernng auf, alle
Bürger sollten in gleiche Pflichten und Rechte eintreten, auf dem Lande wurde
die Leibeigenschaft aufgehoben, die Zinsen und Frohnden wurden gesetzlich be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/522>, abgerufen am 01.09.2024.