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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

selbst beschäftigen, daran denkt man nicht. Du findest bei uns viele Frauen,
welche die Lektüre lieben und trachten, sich zu unterrichten; aber es giebt nur
wenige Männer bei uns, welche sich darum kümmern; die meisten spötteln, wenn
man ein gutes Buch liest oder von interessanten Geschichten spricht, ohne zu
wissen warum. Das kommt daher, weil sie in ihrer Jugend nur lateinische
Bücher in die Hand bekommen und ihre Zeit mit einem abstoßenden lang¬
weiligen Studium ausgefüllt ist."

Der österreichische Adel hatte seine Freiheiten längst zu den Füßen der
Habsburger niedergelegt, und seit Ferdinand II. gab es in den Landstuben der
Provinzen keinen Widerstand mehr. Die vornehmsten Geschlechter hatten selbst
an dem Aufbau des absoluten Österreichs mitgearbeitet und blieben die Haupt¬
stützen desselben bis in die Neuzeit. Bei aller Schärfe des absoluten Regimes
unter Leopold I. und Karl VI. war Österreich ein föderativer Staat und wurde
aristokratisch regiert, denn die ersten Stellen in der Armee, die Minister-, Ge¬
sandten- und Statthalterposten, die Bischofssitze und Domherrnpfründen, waren
fast durchaus von den Söhnen der adlichen Geschlechter besetzt. Der Adel
umgab den Hof, leitete die Negierung und beherrschte das Volk. Auch als
Maria Theresia den einheitlichen Staat gegründet hatte, fügte sich der Adel
w allen Provinzen, sogar in Ungarn. Erst als in der Reformperiode von 1766
an das Feudalverhältnis angebrochen wurde und über den Trümmern der alten
Ordnung ein neuer Staat mit gleichartiger Prägung und vornehmlich bttreau-
kratischen Formen erwuchs, trat der Adel allmählich in einen Gegensatz zur
Krone. Dieser Gegensatz wurde in den ständischen Ausschüssen und im Minister¬
rate nur selten und leise ausgesprochen, auch nicht gehört, aber er zog trotz
der mannichfaltigen Neigungen zur Aufklärung immer weitere Kreise und öff¬
nete eine Kluft, in welcher ein großer Teil der josephinischen Reformen be¬
graben ward.

So lange Maria Theresia lebte, hat die politische Strömung das gesell¬
schaftliche Leben des Adels nicht gestört. Wer vermöchte dieses heitere, innerlich
bewegte Leben mit seinen Reizen und Genüssen zu schildern! Wir erkennen es
nur ans den Briefen und Bildern jener Zeit. Im Frühjahr, wen" der Hof
nach Laxenburg ging, zerstreute sich die ganze vornehme Gesellschaft in die
Bäder und Schlösser. In fröhlichen Zügen streiften Herren und Frauen durch
Park und Wald, über Feld und Wiesen, bald zu Fuß, bald zu Pferd, bald
zum Vergnügen, bald an einen Besuch zu machen. Die Korridore und Säle
hallten wieder von Musik und Gesang, von neckischen Scherzen und fröhlichem
Gelächter, von Tanz und Spiel. An einsamen Tagen, wo auch die besten Wege
nicht fahrbar waren, rückte alles zusammen und brachte soviel Unterhaltung,
daß die Zeit rasch verging. Gewiß war in diesem Leben viel kindische Lust und
Ausgelassenheit, aber es spielten auch heftige Kämpfe und Leidenschaften, Neigung
und Abneigung, Leid und Entsagung aller Art hinein.


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

selbst beschäftigen, daran denkt man nicht. Du findest bei uns viele Frauen,
welche die Lektüre lieben und trachten, sich zu unterrichten; aber es giebt nur
wenige Männer bei uns, welche sich darum kümmern; die meisten spötteln, wenn
man ein gutes Buch liest oder von interessanten Geschichten spricht, ohne zu
wissen warum. Das kommt daher, weil sie in ihrer Jugend nur lateinische
Bücher in die Hand bekommen und ihre Zeit mit einem abstoßenden lang¬
weiligen Studium ausgefüllt ist."

Der österreichische Adel hatte seine Freiheiten längst zu den Füßen der
Habsburger niedergelegt, und seit Ferdinand II. gab es in den Landstuben der
Provinzen keinen Widerstand mehr. Die vornehmsten Geschlechter hatten selbst
an dem Aufbau des absoluten Österreichs mitgearbeitet und blieben die Haupt¬
stützen desselben bis in die Neuzeit. Bei aller Schärfe des absoluten Regimes
unter Leopold I. und Karl VI. war Österreich ein föderativer Staat und wurde
aristokratisch regiert, denn die ersten Stellen in der Armee, die Minister-, Ge¬
sandten- und Statthalterposten, die Bischofssitze und Domherrnpfründen, waren
fast durchaus von den Söhnen der adlichen Geschlechter besetzt. Der Adel
umgab den Hof, leitete die Negierung und beherrschte das Volk. Auch als
Maria Theresia den einheitlichen Staat gegründet hatte, fügte sich der Adel
w allen Provinzen, sogar in Ungarn. Erst als in der Reformperiode von 1766
an das Feudalverhältnis angebrochen wurde und über den Trümmern der alten
Ordnung ein neuer Staat mit gleichartiger Prägung und vornehmlich bttreau-
kratischen Formen erwuchs, trat der Adel allmählich in einen Gegensatz zur
Krone. Dieser Gegensatz wurde in den ständischen Ausschüssen und im Minister¬
rate nur selten und leise ausgesprochen, auch nicht gehört, aber er zog trotz
der mannichfaltigen Neigungen zur Aufklärung immer weitere Kreise und öff¬
nete eine Kluft, in welcher ein großer Teil der josephinischen Reformen be¬
graben ward.

So lange Maria Theresia lebte, hat die politische Strömung das gesell¬
schaftliche Leben des Adels nicht gestört. Wer vermöchte dieses heitere, innerlich
bewegte Leben mit seinen Reizen und Genüssen zu schildern! Wir erkennen es
nur ans den Briefen und Bildern jener Zeit. Im Frühjahr, wen» der Hof
nach Laxenburg ging, zerstreute sich die ganze vornehme Gesellschaft in die
Bäder und Schlösser. In fröhlichen Zügen streiften Herren und Frauen durch
Park und Wald, über Feld und Wiesen, bald zu Fuß, bald zu Pferd, bald
zum Vergnügen, bald an einen Besuch zu machen. Die Korridore und Säle
hallten wieder von Musik und Gesang, von neckischen Scherzen und fröhlichem
Gelächter, von Tanz und Spiel. An einsamen Tagen, wo auch die besten Wege
nicht fahrbar waren, rückte alles zusammen und brachte soviel Unterhaltung,
daß die Zeit rasch verging. Gewiß war in diesem Leben viel kindische Lust und
Ausgelassenheit, aber es spielten auch heftige Kämpfe und Leidenschaften, Neigung
und Abneigung, Leid und Entsagung aller Art hinein.


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[0519] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. selbst beschäftigen, daran denkt man nicht. Du findest bei uns viele Frauen, welche die Lektüre lieben und trachten, sich zu unterrichten; aber es giebt nur wenige Männer bei uns, welche sich darum kümmern; die meisten spötteln, wenn man ein gutes Buch liest oder von interessanten Geschichten spricht, ohne zu wissen warum. Das kommt daher, weil sie in ihrer Jugend nur lateinische Bücher in die Hand bekommen und ihre Zeit mit einem abstoßenden lang¬ weiligen Studium ausgefüllt ist." Der österreichische Adel hatte seine Freiheiten längst zu den Füßen der Habsburger niedergelegt, und seit Ferdinand II. gab es in den Landstuben der Provinzen keinen Widerstand mehr. Die vornehmsten Geschlechter hatten selbst an dem Aufbau des absoluten Österreichs mitgearbeitet und blieben die Haupt¬ stützen desselben bis in die Neuzeit. Bei aller Schärfe des absoluten Regimes unter Leopold I. und Karl VI. war Österreich ein föderativer Staat und wurde aristokratisch regiert, denn die ersten Stellen in der Armee, die Minister-, Ge¬ sandten- und Statthalterposten, die Bischofssitze und Domherrnpfründen, waren fast durchaus von den Söhnen der adlichen Geschlechter besetzt. Der Adel umgab den Hof, leitete die Negierung und beherrschte das Volk. Auch als Maria Theresia den einheitlichen Staat gegründet hatte, fügte sich der Adel w allen Provinzen, sogar in Ungarn. Erst als in der Reformperiode von 1766 an das Feudalverhältnis angebrochen wurde und über den Trümmern der alten Ordnung ein neuer Staat mit gleichartiger Prägung und vornehmlich bttreau- kratischen Formen erwuchs, trat der Adel allmählich in einen Gegensatz zur Krone. Dieser Gegensatz wurde in den ständischen Ausschüssen und im Minister¬ rate nur selten und leise ausgesprochen, auch nicht gehört, aber er zog trotz der mannichfaltigen Neigungen zur Aufklärung immer weitere Kreise und öff¬ nete eine Kluft, in welcher ein großer Teil der josephinischen Reformen be¬ graben ward. So lange Maria Theresia lebte, hat die politische Strömung das gesell¬ schaftliche Leben des Adels nicht gestört. Wer vermöchte dieses heitere, innerlich bewegte Leben mit seinen Reizen und Genüssen zu schildern! Wir erkennen es nur ans den Briefen und Bildern jener Zeit. Im Frühjahr, wen» der Hof nach Laxenburg ging, zerstreute sich die ganze vornehme Gesellschaft in die Bäder und Schlösser. In fröhlichen Zügen streiften Herren und Frauen durch Park und Wald, über Feld und Wiesen, bald zu Fuß, bald zu Pferd, bald zum Vergnügen, bald an einen Besuch zu machen. Die Korridore und Säle hallten wieder von Musik und Gesang, von neckischen Scherzen und fröhlichem Gelächter, von Tanz und Spiel. An einsamen Tagen, wo auch die besten Wege nicht fahrbar waren, rückte alles zusammen und brachte soviel Unterhaltung, daß die Zeit rasch verging. Gewiß war in diesem Leben viel kindische Lust und Ausgelassenheit, aber es spielten auch heftige Kämpfe und Leidenschaften, Neigung und Abneigung, Leid und Entsagung aller Art hinein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/519>, abgerufen am 25.11.2024.