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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

könige, unter dem, charakteristisch genug, jeder Bauer sein Sonntagshuhn auf
dem Tische haben sollte? Erinnert uns die phantasievolle, nicht unedel Er¬
scheinung der Montcspan nicht an die bessern Jahre Ludwigs XIV., der mit
dem Auftreten der Maintenon die dunkeln Seiten seines Charakters, unbezähm¬
bare Ruhmsucht, Frömmelei und bigotte Verfvlguugswut hervorkehrte? Wie
sehr endlich die Pompadour und die letzte in der langen Reihe königlicher Ge¬
liebte", die Gräfin Dübarry, deu Eigenschaften und Fähigkeiten Ludwigs XV.
entsprechen, ist allbekannt.

Auch die deutsche Geschichte zählt unter ihren berühmten Frauenncuneu
nicht wenige politische Charaktere; doch zeigt sich auch hier sofort der tiefe
Gegensatz, der überall und zu allen Zeiten deutsches und wcilsches Wesen ge¬
trennt hat. Weniger der Grad des Einflusses, den die einzelnen Frauen der
beiden Nationen auf ihre Zeit gewonnen haben, als die Art und Weise, wie
derselbe zur Geltung gebracht wurde, ist das unterscheidende Merkmal zwischen
den politischen Fraueucharakteru Frankreichs und Deutschlands, Keine der be¬
rühmten Frauen unsers Vaterlandes ist in gleichem Maße wie ihre französischen
Nuhmesgenossinnen über die natürlichen Schranken ihres Geschlechts hinaus¬
gegangen. Unsre Geschichte hat keine Jeanne d'Are aufzuweisen, wenn auch
deshalb niemand behaupten wird, daß es deu deutschen Frauen jemals an
Patriotischem Opfermut gemangelt habe. Die geschichtlichen Frauen Deutsch¬
lands bieten deshalb ein in ruhigere und harmouischere Farben getauchtes Bild
dar: fast ausnahmslos finden wir bei ihnen, neben den heroischen Eigenschaften,
welche sie über ihre nächste Berufssphäre hinaushoben, auch die zarteren Seiten
vertreten, die das Glück eines engern und engsten Kreises ausmachten. Ist
dies auch kein Ruhm in dem gewöhnlichen Wortsinne, so ist es doch eine Zierde,
und wir dürfen uns glücklich preisen, daß häusliche Tugenden und echt weib¬
liches Empfinden recht wohl neben den glanzvollen, nach außen wirkenden Eigen¬
schaften Platz finden können.

Von solcher Art ist die Frau, welcher die nachfolgenden Seiten gewidmet
sind. Eleonore Liechtenstein gleicht einer der fürstlichen Frauen, wie sie die
römische Kaiserzeit in Marmor gebildet oder wie sie Tizian und Holbein gern
gemalt haben. Sie war kein Ideal, aber ein typischer Charakter ihrer Ge¬
sellschaft, eine Frau des achtzehnten Jahrhunderts, mit allen Vorzügen und
Schwächen ihres Geschlechts und ihrer Zeit: voll von Kontrasten, voll Geist
und Spott, Armut und Kraft, herzlich und derb, stark im Wollen, unabhängig
im Urteil, ihrer Überzeugung getreu, streng, sittlich, aufopfernd, stolz, keusch und
barmherzig. Obwohl aus der Aufklärungszeit erwachsen, behielt sie doch eine
Abneigung gegen die philosophischen und humanisirenden Bestrebungen ihrer
Zeit; ihre Sympathie wandte sich mehr den herrschenden Ständen und Personen
als den, Volke zu; ihr politischer Enthusiasmus war mehr loyal als patriotisch;
aber sie hatte eine lebendige Teilnahme für das öffentliche Leben und fühlte


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

könige, unter dem, charakteristisch genug, jeder Bauer sein Sonntagshuhn auf
dem Tische haben sollte? Erinnert uns die phantasievolle, nicht unedel Er¬
scheinung der Montcspan nicht an die bessern Jahre Ludwigs XIV., der mit
dem Auftreten der Maintenon die dunkeln Seiten seines Charakters, unbezähm¬
bare Ruhmsucht, Frömmelei und bigotte Verfvlguugswut hervorkehrte? Wie
sehr endlich die Pompadour und die letzte in der langen Reihe königlicher Ge¬
liebte», die Gräfin Dübarry, deu Eigenschaften und Fähigkeiten Ludwigs XV.
entsprechen, ist allbekannt.

Auch die deutsche Geschichte zählt unter ihren berühmten Frauenncuneu
nicht wenige politische Charaktere; doch zeigt sich auch hier sofort der tiefe
Gegensatz, der überall und zu allen Zeiten deutsches und wcilsches Wesen ge¬
trennt hat. Weniger der Grad des Einflusses, den die einzelnen Frauen der
beiden Nationen auf ihre Zeit gewonnen haben, als die Art und Weise, wie
derselbe zur Geltung gebracht wurde, ist das unterscheidende Merkmal zwischen
den politischen Fraueucharakteru Frankreichs und Deutschlands, Keine der be¬
rühmten Frauen unsers Vaterlandes ist in gleichem Maße wie ihre französischen
Nuhmesgenossinnen über die natürlichen Schranken ihres Geschlechts hinaus¬
gegangen. Unsre Geschichte hat keine Jeanne d'Are aufzuweisen, wenn auch
deshalb niemand behaupten wird, daß es deu deutschen Frauen jemals an
Patriotischem Opfermut gemangelt habe. Die geschichtlichen Frauen Deutsch¬
lands bieten deshalb ein in ruhigere und harmouischere Farben getauchtes Bild
dar: fast ausnahmslos finden wir bei ihnen, neben den heroischen Eigenschaften,
welche sie über ihre nächste Berufssphäre hinaushoben, auch die zarteren Seiten
vertreten, die das Glück eines engern und engsten Kreises ausmachten. Ist
dies auch kein Ruhm in dem gewöhnlichen Wortsinne, so ist es doch eine Zierde,
und wir dürfen uns glücklich preisen, daß häusliche Tugenden und echt weib¬
liches Empfinden recht wohl neben den glanzvollen, nach außen wirkenden Eigen¬
schaften Platz finden können.

Von solcher Art ist die Frau, welcher die nachfolgenden Seiten gewidmet
sind. Eleonore Liechtenstein gleicht einer der fürstlichen Frauen, wie sie die
römische Kaiserzeit in Marmor gebildet oder wie sie Tizian und Holbein gern
gemalt haben. Sie war kein Ideal, aber ein typischer Charakter ihrer Ge¬
sellschaft, eine Frau des achtzehnten Jahrhunderts, mit allen Vorzügen und
Schwächen ihres Geschlechts und ihrer Zeit: voll von Kontrasten, voll Geist
und Spott, Armut und Kraft, herzlich und derb, stark im Wollen, unabhängig
im Urteil, ihrer Überzeugung getreu, streng, sittlich, aufopfernd, stolz, keusch und
barmherzig. Obwohl aus der Aufklärungszeit erwachsen, behielt sie doch eine
Abneigung gegen die philosophischen und humanisirenden Bestrebungen ihrer
Zeit; ihre Sympathie wandte sich mehr den herrschenden Ständen und Personen
als den, Volke zu; ihr politischer Enthusiasmus war mehr loyal als patriotisch;
aber sie hatte eine lebendige Teilnahme für das öffentliche Leben und fühlte


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[0515] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. könige, unter dem, charakteristisch genug, jeder Bauer sein Sonntagshuhn auf dem Tische haben sollte? Erinnert uns die phantasievolle, nicht unedel Er¬ scheinung der Montcspan nicht an die bessern Jahre Ludwigs XIV., der mit dem Auftreten der Maintenon die dunkeln Seiten seines Charakters, unbezähm¬ bare Ruhmsucht, Frömmelei und bigotte Verfvlguugswut hervorkehrte? Wie sehr endlich die Pompadour und die letzte in der langen Reihe königlicher Ge¬ liebte», die Gräfin Dübarry, deu Eigenschaften und Fähigkeiten Ludwigs XV. entsprechen, ist allbekannt. Auch die deutsche Geschichte zählt unter ihren berühmten Frauenncuneu nicht wenige politische Charaktere; doch zeigt sich auch hier sofort der tiefe Gegensatz, der überall und zu allen Zeiten deutsches und wcilsches Wesen ge¬ trennt hat. Weniger der Grad des Einflusses, den die einzelnen Frauen der beiden Nationen auf ihre Zeit gewonnen haben, als die Art und Weise, wie derselbe zur Geltung gebracht wurde, ist das unterscheidende Merkmal zwischen den politischen Fraueucharakteru Frankreichs und Deutschlands, Keine der be¬ rühmten Frauen unsers Vaterlandes ist in gleichem Maße wie ihre französischen Nuhmesgenossinnen über die natürlichen Schranken ihres Geschlechts hinaus¬ gegangen. Unsre Geschichte hat keine Jeanne d'Are aufzuweisen, wenn auch deshalb niemand behaupten wird, daß es deu deutschen Frauen jemals an Patriotischem Opfermut gemangelt habe. Die geschichtlichen Frauen Deutsch¬ lands bieten deshalb ein in ruhigere und harmouischere Farben getauchtes Bild dar: fast ausnahmslos finden wir bei ihnen, neben den heroischen Eigenschaften, welche sie über ihre nächste Berufssphäre hinaushoben, auch die zarteren Seiten vertreten, die das Glück eines engern und engsten Kreises ausmachten. Ist dies auch kein Ruhm in dem gewöhnlichen Wortsinne, so ist es doch eine Zierde, und wir dürfen uns glücklich preisen, daß häusliche Tugenden und echt weib¬ liches Empfinden recht wohl neben den glanzvollen, nach außen wirkenden Eigen¬ schaften Platz finden können. Von solcher Art ist die Frau, welcher die nachfolgenden Seiten gewidmet sind. Eleonore Liechtenstein gleicht einer der fürstlichen Frauen, wie sie die römische Kaiserzeit in Marmor gebildet oder wie sie Tizian und Holbein gern gemalt haben. Sie war kein Ideal, aber ein typischer Charakter ihrer Ge¬ sellschaft, eine Frau des achtzehnten Jahrhunderts, mit allen Vorzügen und Schwächen ihres Geschlechts und ihrer Zeit: voll von Kontrasten, voll Geist und Spott, Armut und Kraft, herzlich und derb, stark im Wollen, unabhängig im Urteil, ihrer Überzeugung getreu, streng, sittlich, aufopfernd, stolz, keusch und barmherzig. Obwohl aus der Aufklärungszeit erwachsen, behielt sie doch eine Abneigung gegen die philosophischen und humanisirenden Bestrebungen ihrer Zeit; ihre Sympathie wandte sich mehr den herrschenden Ständen und Personen als den, Volke zu; ihr politischer Enthusiasmus war mehr loyal als patriotisch; aber sie hatte eine lebendige Teilnahme für das öffentliche Leben und fühlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/515>, abgerufen am 25.11.2024.