Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. denen Äußerlichkeiten ein unbedingtes Zutrauen schenken dürften. Daß wir über Unter denjenigen Einflüssen, die sich mehr oder minder dem Auge des ober¬ Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. denen Äußerlichkeiten ein unbedingtes Zutrauen schenken dürften. Daß wir über Unter denjenigen Einflüssen, die sich mehr oder minder dem Auge des ober¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196614"/> <fw type="header" place="top"> Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1992" prev="#ID_1991"> denen Äußerlichkeiten ein unbedingtes Zutrauen schenken dürften. Daß wir über<lb/> viele Punkte in der Geschichte der Völker ältern und neuern Datums noch<lb/> heutzutage, wo doch die Geschichtsforschung ihren eminenten Aufschwung und<lb/> ihr unterscheidendes Merkmal gerade der Versetzung historischer Motive in die<lb/> Innerlichkeit des Gemüts verdankt, in tiefem Dunkel schweben, rührt einerseits<lb/> von der völligen Unmöglichkeit her, aus den dürren Notizen früherer Chronisten<lb/> ein objektiv richtiges Bild zu erhalten, anderseits wohl auch von der sogar<lb/> jetzt noch bei vielen herrschenden Art und Weise, sich Weltgeschichte zu kon-<lb/> struriren. Denn wenn auch bei dem oben bemerkten Mangel der ältern Ge¬<lb/> schichtschreibung Gefahr vorhanden ist, daß für die Phantasie geistvoller Forscher<lb/> ein allzuweites Feld subjektiver Darstellung offen steht, so hat doch die andre<lb/> Anschauungsweise, die mit dem Geiste der Geschichte fertig zu sein glaubt, wenn<lb/> sie Cäsar nach Gallien wie auf den Exerzierplatz gehen läßt, anßer der unrich¬<lb/> tigen auch noch eine langweilige Seite.</p><lb/> <p xml:id="ID_1993" next="#ID_1994"> Unter denjenigen Einflüssen, die sich mehr oder minder dem Auge des ober¬<lb/> flächlichen Beobachters entziehen und die namentlich in neuerer und neuester Zeit<lb/> die Geschicke der Völker bestimmt haben, nimmt der Einfluß, den die Frau auf den<lb/> Mann ausübt, nicht den letzten Platz ein. Dieser Einfluß war nicht immer derselbe.<lb/> Daß diese Verschiedenheit mit der öffentlichen Stellung der Frauen in den verschie¬<lb/> denen Zeitaltern zusammenhängt, braucht wohl kaum erwiesen zu werden. Ich zweifle<lb/> nicht im geringsten, daß die Frauen aller Zeiten Energie und Willen genug besessen<lb/> haben, um ihren ganzen Einfluß, den ihnen ihre natürliche Stellung dem Manne<lb/> gegenüber giebt, zur Geltung zu bringen; aber erst der neuern Zeit mit ihrer<lb/> verfeinerten Lebensweise blieb es vorbehalten, das Weib aus dem Innern des<lb/> Hauses heraus auf den Markt des öffentlichen Lebens zu treiben. Und da<lb/> ist es denn wieder das Mutterland aller feinen Lebensart, Frankreich, das nicht<lb/> nur die Vorbilder, sondern auch das größte Kontingent zu der Reihe öffent¬<lb/> licher Frauencharaktere geliefert hat. Welcher reiche Wechsel bunter Gestalten!<lb/> Was schön und liebenswürdig, geistvoll und witzig, verschwenderisch und zügellos<lb/> ist — in der Geschichte der drei letzten Jahrhunderte Frankreichs haben wir es<lb/> anschaulich vor uns. Von der strengen, schlauverständigen Tochter der Medici<lb/> und der sanften Gabriele d'Estrees, von der kühnen, leidenschaftlichen Monte-<lb/> span und der kühlen, leidenschaftslosen Maintenon bis herab zu der raffinirt-<lb/> verschwenderischen Pompadour und der im Pfuhl der gemeinsten Sinnlichkeit<lb/> versunkenen Dübarry — welch ein Kreis wechselnder Gestalten, bedeutend genug,<lb/> um daraus den Kern der neuesten französischen Geschichte zu bestimmen! Nicht<lb/> nur der Charakter der einzelnen Regenten, auch der Geist der ganzen Zeit<lb/> spiegelt sich in diesen Frauenbildern wieder. Die kalte, rünkevolle Mediceerin —<lb/> ist sie nicht der lebhafte Wiederschein ihrer unruhigen, kabalesüchtigen und kriegs¬<lb/> wilden Zeit? Verkündet nicht die liebliche Gabriele d'Estrees den anbrechenden<lb/> Morgen eines geordneten Zeitalters unter Heinrich IV., dem angebeteten Volks-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0514]
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.
denen Äußerlichkeiten ein unbedingtes Zutrauen schenken dürften. Daß wir über
viele Punkte in der Geschichte der Völker ältern und neuern Datums noch
heutzutage, wo doch die Geschichtsforschung ihren eminenten Aufschwung und
ihr unterscheidendes Merkmal gerade der Versetzung historischer Motive in die
Innerlichkeit des Gemüts verdankt, in tiefem Dunkel schweben, rührt einerseits
von der völligen Unmöglichkeit her, aus den dürren Notizen früherer Chronisten
ein objektiv richtiges Bild zu erhalten, anderseits wohl auch von der sogar
jetzt noch bei vielen herrschenden Art und Weise, sich Weltgeschichte zu kon-
struriren. Denn wenn auch bei dem oben bemerkten Mangel der ältern Ge¬
schichtschreibung Gefahr vorhanden ist, daß für die Phantasie geistvoller Forscher
ein allzuweites Feld subjektiver Darstellung offen steht, so hat doch die andre
Anschauungsweise, die mit dem Geiste der Geschichte fertig zu sein glaubt, wenn
sie Cäsar nach Gallien wie auf den Exerzierplatz gehen läßt, anßer der unrich¬
tigen auch noch eine langweilige Seite.
Unter denjenigen Einflüssen, die sich mehr oder minder dem Auge des ober¬
flächlichen Beobachters entziehen und die namentlich in neuerer und neuester Zeit
die Geschicke der Völker bestimmt haben, nimmt der Einfluß, den die Frau auf den
Mann ausübt, nicht den letzten Platz ein. Dieser Einfluß war nicht immer derselbe.
Daß diese Verschiedenheit mit der öffentlichen Stellung der Frauen in den verschie¬
denen Zeitaltern zusammenhängt, braucht wohl kaum erwiesen zu werden. Ich zweifle
nicht im geringsten, daß die Frauen aller Zeiten Energie und Willen genug besessen
haben, um ihren ganzen Einfluß, den ihnen ihre natürliche Stellung dem Manne
gegenüber giebt, zur Geltung zu bringen; aber erst der neuern Zeit mit ihrer
verfeinerten Lebensweise blieb es vorbehalten, das Weib aus dem Innern des
Hauses heraus auf den Markt des öffentlichen Lebens zu treiben. Und da
ist es denn wieder das Mutterland aller feinen Lebensart, Frankreich, das nicht
nur die Vorbilder, sondern auch das größte Kontingent zu der Reihe öffent¬
licher Frauencharaktere geliefert hat. Welcher reiche Wechsel bunter Gestalten!
Was schön und liebenswürdig, geistvoll und witzig, verschwenderisch und zügellos
ist — in der Geschichte der drei letzten Jahrhunderte Frankreichs haben wir es
anschaulich vor uns. Von der strengen, schlauverständigen Tochter der Medici
und der sanften Gabriele d'Estrees, von der kühnen, leidenschaftlichen Monte-
span und der kühlen, leidenschaftslosen Maintenon bis herab zu der raffinirt-
verschwenderischen Pompadour und der im Pfuhl der gemeinsten Sinnlichkeit
versunkenen Dübarry — welch ein Kreis wechselnder Gestalten, bedeutend genug,
um daraus den Kern der neuesten französischen Geschichte zu bestimmen! Nicht
nur der Charakter der einzelnen Regenten, auch der Geist der ganzen Zeit
spiegelt sich in diesen Frauenbildern wieder. Die kalte, rünkevolle Mediceerin —
ist sie nicht der lebhafte Wiederschein ihrer unruhigen, kabalesüchtigen und kriegs¬
wilden Zeit? Verkündet nicht die liebliche Gabriele d'Estrees den anbrechenden
Morgen eines geordneten Zeitalters unter Heinrich IV., dem angebeteten Volks-
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