Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Strafen und Strafalnnessung.

Die Vergleichung der Ergebnisse der Statistik für die beiden Jahre 1882
und 1883 zeigt ferner, daß auf 100 000 Einwohner derselben Religion oder
Konfession Verurteilte kamen:

bei den Christen bei den
im Jahre: evangelischen: katholischen: zusammen: Juden:
1882 676 77l; 710 617
1383 663 737 708 641,

Die Erläuterungen sagen hierüber: Dies würde eine zwar geringe, aber doch
bemerkenswerte Verschiebung zu Ungunsten der Katholiken erkennen lassen. In¬
dessen muß, auch abgesehen davon, daß aus dem Vergleich zweier Jahre über¬
haupt keine Schlüsse auf einen Einfluß der Religion, der sich doch nur in einer
längeren Reihe von Jahren erkennbar machen konnte, gezogen werden dürfen,
betont werden, daß man sich sehr zu hüten hat, den Einfluß der Religion oder
Konfession Wirkungen zuzuschreiben, die von ganz andern Faktoren abgeleitet
werden müssen. Sowohl für die Religionen wie für die Konfessionen kommen
bekanntlich die Stammesverschicdeuheiten in Betracht, und diese hängen ihrerseits
mit denjenigen der Wohnsitze zusammen. Wenn man um Veränderungen in
den Kriminalitätszisfcrn der verschiednen Konfessionen wahrnimmt, so mögen sich
in denselben Veränderungen in der Verbrecheusbeteiliguug der gesamten Ein¬
wohnerschaft einzelner, vorwiegend katholischer oder vorwiegend evangelischer,
Landesteile aussprechen. Diese Veränderungen aber mögen ihrerseits wieder
auf Ursachen zurückzuführen sein, die weder mit der Religion noch mit der
Stammescigeutümlichkeit der Einwohner etwas zu thun haben, sondern in nur
durch äußere Ursache" herbeigeführten wirtschaftlichen Veränderungen begründet
sind. Die jüdische Bevölkerung weist bei den meisten Vergehen eine geringere,
eine stärkere Beteiligung jedoch an folgenden auf: Verbrechen und Vergehen
im Amte, Zuwiderhandlungen gegen § 147 der Gewerbeordnung, Meineid, Be¬
leidigung, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung und Bankerott. Beispielsweise
sei erwähnt, daß, während bei den Christen ans 100000 Einwohner 1,9 wegen
Mcineids Verurteilte kamen, bei den Juden ans 100000 4,4 gezählt wurden.

Die Häufigkeit der Wege" Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze
verhängten Strafarten stuft sich in folgender Reihenfolge ab: Gefängnis 68 Proz.,
Geldstrafe 26,70 Proz,, Zuchthaus 3.74 Proz,, Verweis 1,04 Proz., Haft
0,44 Proz,, Festungshaft 0,05 Proz,, Todesstrafe 0,03 Proz,

Und hier kommen wir nun auf eiuen Punkt, der zwar in der Statistik
uicht besonders hervorgehoben wird, der aber aus den betreffenden Tabellen
überall klar hervorleuchtet. Das ist die allzugroße Milde der Richter
in der Anwendung der Strafgesetze. Bereits im Jahre 1874 war die hierin
liegende Gefahr durch den preußischen Justizminister Dr. Leonhnrdt erkannt
und es war in einem Schreiben an die Beamten der Staatsanwaltschaft
darauf hingewiesen worden, daß nicht ohne Grund eine ungerechtfertigte Milde


Strafen und Strafalnnessung.

Die Vergleichung der Ergebnisse der Statistik für die beiden Jahre 1882
und 1883 zeigt ferner, daß auf 100 000 Einwohner derselben Religion oder
Konfession Verurteilte kamen:

bei den Christen bei den
im Jahre: evangelischen: katholischen: zusammen: Juden:
1882 676 77l; 710 617
1383 663 737 708 641,

Die Erläuterungen sagen hierüber: Dies würde eine zwar geringe, aber doch
bemerkenswerte Verschiebung zu Ungunsten der Katholiken erkennen lassen. In¬
dessen muß, auch abgesehen davon, daß aus dem Vergleich zweier Jahre über¬
haupt keine Schlüsse auf einen Einfluß der Religion, der sich doch nur in einer
längeren Reihe von Jahren erkennbar machen konnte, gezogen werden dürfen,
betont werden, daß man sich sehr zu hüten hat, den Einfluß der Religion oder
Konfession Wirkungen zuzuschreiben, die von ganz andern Faktoren abgeleitet
werden müssen. Sowohl für die Religionen wie für die Konfessionen kommen
bekanntlich die Stammesverschicdeuheiten in Betracht, und diese hängen ihrerseits
mit denjenigen der Wohnsitze zusammen. Wenn man um Veränderungen in
den Kriminalitätszisfcrn der verschiednen Konfessionen wahrnimmt, so mögen sich
in denselben Veränderungen in der Verbrecheusbeteiliguug der gesamten Ein¬
wohnerschaft einzelner, vorwiegend katholischer oder vorwiegend evangelischer,
Landesteile aussprechen. Diese Veränderungen aber mögen ihrerseits wieder
auf Ursachen zurückzuführen sein, die weder mit der Religion noch mit der
Stammescigeutümlichkeit der Einwohner etwas zu thun haben, sondern in nur
durch äußere Ursache» herbeigeführten wirtschaftlichen Veränderungen begründet
sind. Die jüdische Bevölkerung weist bei den meisten Vergehen eine geringere,
eine stärkere Beteiligung jedoch an folgenden auf: Verbrechen und Vergehen
im Amte, Zuwiderhandlungen gegen § 147 der Gewerbeordnung, Meineid, Be¬
leidigung, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung und Bankerott. Beispielsweise
sei erwähnt, daß, während bei den Christen ans 100000 Einwohner 1,9 wegen
Mcineids Verurteilte kamen, bei den Juden ans 100000 4,4 gezählt wurden.

Die Häufigkeit der Wege» Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze
verhängten Strafarten stuft sich in folgender Reihenfolge ab: Gefängnis 68 Proz.,
Geldstrafe 26,70 Proz,, Zuchthaus 3.74 Proz,, Verweis 1,04 Proz., Haft
0,44 Proz,, Festungshaft 0,05 Proz,, Todesstrafe 0,03 Proz,

Und hier kommen wir nun auf eiuen Punkt, der zwar in der Statistik
uicht besonders hervorgehoben wird, der aber aus den betreffenden Tabellen
überall klar hervorleuchtet. Das ist die allzugroße Milde der Richter
in der Anwendung der Strafgesetze. Bereits im Jahre 1874 war die hierin
liegende Gefahr durch den preußischen Justizminister Dr. Leonhnrdt erkannt
und es war in einem Schreiben an die Beamten der Staatsanwaltschaft
darauf hingewiesen worden, daß nicht ohne Grund eine ungerechtfertigte Milde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196611"/>
          <fw type="header" place="top"> Strafen und Strafalnnessung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1983"> Die Vergleichung der Ergebnisse der Statistik für die beiden Jahre 1882<lb/>
und 1883 zeigt ferner, daß auf 100 000 Einwohner derselben Religion oder<lb/>
Konfession Verurteilte kamen:</p><lb/>
          <list>
            <item> bei den Christen bei den</item>
            <item> im Jahre:    evangelischen:    katholischen: zusammen: Juden:</item>
            <item> 1882          676         77l;         710 617</item>
            <item> 1383          663         737         708 641,</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_1984"> Die Erläuterungen sagen hierüber: Dies würde eine zwar geringe, aber doch<lb/>
bemerkenswerte Verschiebung zu Ungunsten der Katholiken erkennen lassen. In¬<lb/>
dessen muß, auch abgesehen davon, daß aus dem Vergleich zweier Jahre über¬<lb/>
haupt keine Schlüsse auf einen Einfluß der Religion, der sich doch nur in einer<lb/>
längeren Reihe von Jahren erkennbar machen konnte, gezogen werden dürfen,<lb/>
betont werden, daß man sich sehr zu hüten hat, den Einfluß der Religion oder<lb/>
Konfession Wirkungen zuzuschreiben, die von ganz andern Faktoren abgeleitet<lb/>
werden müssen. Sowohl für die Religionen wie für die Konfessionen kommen<lb/>
bekanntlich die Stammesverschicdeuheiten in Betracht, und diese hängen ihrerseits<lb/>
mit denjenigen der Wohnsitze zusammen. Wenn man um Veränderungen in<lb/>
den Kriminalitätszisfcrn der verschiednen Konfessionen wahrnimmt, so mögen sich<lb/>
in denselben Veränderungen in der Verbrecheusbeteiliguug der gesamten Ein¬<lb/>
wohnerschaft einzelner, vorwiegend katholischer oder vorwiegend evangelischer,<lb/>
Landesteile aussprechen. Diese Veränderungen aber mögen ihrerseits wieder<lb/>
auf Ursachen zurückzuführen sein, die weder mit der Religion noch mit der<lb/>
Stammescigeutümlichkeit der Einwohner etwas zu thun haben, sondern in nur<lb/>
durch äußere Ursache» herbeigeführten wirtschaftlichen Veränderungen begründet<lb/>
sind. Die jüdische Bevölkerung weist bei den meisten Vergehen eine geringere,<lb/>
eine stärkere Beteiligung jedoch an folgenden auf: Verbrechen und Vergehen<lb/>
im Amte, Zuwiderhandlungen gegen § 147 der Gewerbeordnung, Meineid, Be¬<lb/>
leidigung, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung und Bankerott. Beispielsweise<lb/>
sei erwähnt, daß, während bei den Christen ans 100000 Einwohner 1,9 wegen<lb/>
Mcineids Verurteilte kamen, bei den Juden ans 100000 4,4 gezählt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1985"> Die Häufigkeit der Wege» Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze<lb/>
verhängten Strafarten stuft sich in folgender Reihenfolge ab: Gefängnis 68 Proz.,<lb/>
Geldstrafe 26,70 Proz,, Zuchthaus 3.74 Proz,, Verweis 1,04 Proz., Haft<lb/>
0,44 Proz,, Festungshaft 0,05 Proz,, Todesstrafe 0,03 Proz,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1986" next="#ID_1987"> Und hier kommen wir nun auf eiuen Punkt, der zwar in der Statistik<lb/>
uicht besonders hervorgehoben wird, der aber aus den betreffenden Tabellen<lb/>
überall klar hervorleuchtet. Das ist die allzugroße Milde der Richter<lb/>
in der Anwendung der Strafgesetze. Bereits im Jahre 1874 war die hierin<lb/>
liegende Gefahr durch den preußischen Justizminister Dr. Leonhnrdt erkannt<lb/>
und es war in einem Schreiben an die Beamten der Staatsanwaltschaft<lb/>
darauf hingewiesen worden, daß nicht ohne Grund eine ungerechtfertigte Milde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Strafen und Strafalnnessung. Die Vergleichung der Ergebnisse der Statistik für die beiden Jahre 1882 und 1883 zeigt ferner, daß auf 100 000 Einwohner derselben Religion oder Konfession Verurteilte kamen: bei den Christen bei den im Jahre: evangelischen: katholischen: zusammen: Juden: 1882 676 77l; 710 617 1383 663 737 708 641, Die Erläuterungen sagen hierüber: Dies würde eine zwar geringe, aber doch bemerkenswerte Verschiebung zu Ungunsten der Katholiken erkennen lassen. In¬ dessen muß, auch abgesehen davon, daß aus dem Vergleich zweier Jahre über¬ haupt keine Schlüsse auf einen Einfluß der Religion, der sich doch nur in einer längeren Reihe von Jahren erkennbar machen konnte, gezogen werden dürfen, betont werden, daß man sich sehr zu hüten hat, den Einfluß der Religion oder Konfession Wirkungen zuzuschreiben, die von ganz andern Faktoren abgeleitet werden müssen. Sowohl für die Religionen wie für die Konfessionen kommen bekanntlich die Stammesverschicdeuheiten in Betracht, und diese hängen ihrerseits mit denjenigen der Wohnsitze zusammen. Wenn man um Veränderungen in den Kriminalitätszisfcrn der verschiednen Konfessionen wahrnimmt, so mögen sich in denselben Veränderungen in der Verbrecheusbeteiliguug der gesamten Ein¬ wohnerschaft einzelner, vorwiegend katholischer oder vorwiegend evangelischer, Landesteile aussprechen. Diese Veränderungen aber mögen ihrerseits wieder auf Ursachen zurückzuführen sein, die weder mit der Religion noch mit der Stammescigeutümlichkeit der Einwohner etwas zu thun haben, sondern in nur durch äußere Ursache» herbeigeführten wirtschaftlichen Veränderungen begründet sind. Die jüdische Bevölkerung weist bei den meisten Vergehen eine geringere, eine stärkere Beteiligung jedoch an folgenden auf: Verbrechen und Vergehen im Amte, Zuwiderhandlungen gegen § 147 der Gewerbeordnung, Meineid, Be¬ leidigung, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung und Bankerott. Beispielsweise sei erwähnt, daß, während bei den Christen ans 100000 Einwohner 1,9 wegen Mcineids Verurteilte kamen, bei den Juden ans 100000 4,4 gezählt wurden. Die Häufigkeit der Wege» Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze verhängten Strafarten stuft sich in folgender Reihenfolge ab: Gefängnis 68 Proz., Geldstrafe 26,70 Proz,, Zuchthaus 3.74 Proz,, Verweis 1,04 Proz., Haft 0,44 Proz,, Festungshaft 0,05 Proz,, Todesstrafe 0,03 Proz, Und hier kommen wir nun auf eiuen Punkt, der zwar in der Statistik uicht besonders hervorgehoben wird, der aber aus den betreffenden Tabellen überall klar hervorleuchtet. Das ist die allzugroße Milde der Richter in der Anwendung der Strafgesetze. Bereits im Jahre 1874 war die hierin liegende Gefahr durch den preußischen Justizminister Dr. Leonhnrdt erkannt und es war in einem Schreiben an die Beamten der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen worden, daß nicht ohne Grund eine ungerechtfertigte Milde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/511>, abgerufen am 25.11.2024.