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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Man kau" dem Buche, obgleich es die Systemfrage garnicht im Hinblick
auf die spezifisch amerikanische" Zustände berührt, nachrühmen, daß es zu dem
Besten gehört, was je für die Staatsbahnintcresseu geschrieben worden ist. So
wirkt allein die Schilderung der erschreckenden Folgen der vollkommnen Freiheit,
welche die Privatbahnen genießen. Vermutlich hat dem Verfasser diese Tendenz
ferngelegen, und er hat nur im Auge gehabt, die hochinteressanter amerikanischen
Zustände bei uns bekannt zu machen. Dennoch drängt auch sein Buch die
Frage auf, die schon Professor Cohn in seinem ebeugeummten Werke auswirft:
"Warum ist im kleinen öffentlichen Verbände die Straße eine öffentliche Anstalt,
dagegen im großen Verbände nicht?" Welcher andre Grund kann dazu veran¬
lassen, wenn uicht die Mangelhaftigkeit des großen Verbandes?

Soviel ist allerdings sicher, daß ohne die Privatindustrie das Eiseubnhu-
netz der Vereinigten Staaten von Amerika heute schwerlich die Ausdehnung
gewonnen hätte, die es aufweist. Die Länge der Eisenbahnen der ganzen Welt
beträgt gegen 450000 Kilometer, die der amerikanische., etwa 200000 Kilo¬
meter. Also besitze" die Vereinigten Staaten beinahe ebensoviele Eisenbahnen
als die gesamte übrige bewohnte Erde. Das war kam" anders möglich als
durch die Mitwirkung der etwa 1500 Erwerbsgesellschaftcu, welche das er¬
forderliche Kapital auf ihre Gefahr aus eigner Tasche oder den Taschen von
Privatpersonen aufzubringen gewußt haben. Die Bedachtsamkeit einer Staats-
regierung hätte es niemals gestattet, innerhalb eines so kurzen Zeitraumes der¬
artig schwerwiegende, die Zukunft belastende Ausgaben zu unternehmen. Dafür
sind aber auch infolge des schnellen Wachstumes allerlei bedenkliche Verhältnisse
entstanden. Mit der Befürchtung, daß eine Bevölkerung von etwa 50 Millionen
Einwohnern, d. h. uur 5 Millionen mehr als das deutsche Reich hat, für ein
so großartiges Netz garnicht den genügenden Verkehr beschaffe" kounte, ge¬
winnt die Eisenbahnfrage eine völlig andre Physiognomie. In der alten Welt
denkt man, wenn von einer solchen die Rede ist, an das Publikum, an die Be¬
nutzer der Bahnen, die Kaufleute und Industriellen In Amerika dagegen be¬
steht das ani'vint xrvblvui, auch für die Eisenbahngesellschaften selbst, für
ihre Leiter und Aktionäre. Die Freiheit des Bahnbcmes hat eben einfach zu
einer maßlosen Überproduktion geführt, die ans diesem Gebiete einen ähnlichen
Kampf ums Dasein erzeugt wie auf ander".

Wenn man Staats- und Privatbahnen mit einander vergleicht, so ist eines
der am meisten auffallende" Unterscheidungsmomentc die Art der Kapitalbeschaf¬
fung. Die Regierung weiß sich mit einer ungleich würdigern Manier, als es
oft bei Aktienemissionen der Fall ist, die erforderlichen Summen zu besorgen.
Gerade für die Wege, die eine sich vollständig selbst überlassene Privatgesell¬
schaft einschlägt, um zu ihrem Ziele -- Einstreichung eines möglichst Hoheit Ge¬
winnes -- zu gelange", bietet Amerika außerordentlich charakteristische Beispiele.
Die Aktiengesellschaft, die sich i" Amerika zum Bau einer Bahn bildet, ist durch


Man kau» dem Buche, obgleich es die Systemfrage garnicht im Hinblick
auf die spezifisch amerikanische» Zustände berührt, nachrühmen, daß es zu dem
Besten gehört, was je für die Staatsbahnintcresseu geschrieben worden ist. So
wirkt allein die Schilderung der erschreckenden Folgen der vollkommnen Freiheit,
welche die Privatbahnen genießen. Vermutlich hat dem Verfasser diese Tendenz
ferngelegen, und er hat nur im Auge gehabt, die hochinteressanter amerikanischen
Zustände bei uns bekannt zu machen. Dennoch drängt auch sein Buch die
Frage auf, die schon Professor Cohn in seinem ebeugeummten Werke auswirft:
„Warum ist im kleinen öffentlichen Verbände die Straße eine öffentliche Anstalt,
dagegen im großen Verbände nicht?" Welcher andre Grund kann dazu veran¬
lassen, wenn uicht die Mangelhaftigkeit des großen Verbandes?

Soviel ist allerdings sicher, daß ohne die Privatindustrie das Eiseubnhu-
netz der Vereinigten Staaten von Amerika heute schwerlich die Ausdehnung
gewonnen hätte, die es aufweist. Die Länge der Eisenbahnen der ganzen Welt
beträgt gegen 450000 Kilometer, die der amerikanische., etwa 200000 Kilo¬
meter. Also besitze» die Vereinigten Staaten beinahe ebensoviele Eisenbahnen
als die gesamte übrige bewohnte Erde. Das war kam» anders möglich als
durch die Mitwirkung der etwa 1500 Erwerbsgesellschaftcu, welche das er¬
forderliche Kapital auf ihre Gefahr aus eigner Tasche oder den Taschen von
Privatpersonen aufzubringen gewußt haben. Die Bedachtsamkeit einer Staats-
regierung hätte es niemals gestattet, innerhalb eines so kurzen Zeitraumes der¬
artig schwerwiegende, die Zukunft belastende Ausgaben zu unternehmen. Dafür
sind aber auch infolge des schnellen Wachstumes allerlei bedenkliche Verhältnisse
entstanden. Mit der Befürchtung, daß eine Bevölkerung von etwa 50 Millionen
Einwohnern, d. h. uur 5 Millionen mehr als das deutsche Reich hat, für ein
so großartiges Netz garnicht den genügenden Verkehr beschaffe» kounte, ge¬
winnt die Eisenbahnfrage eine völlig andre Physiognomie. In der alten Welt
denkt man, wenn von einer solchen die Rede ist, an das Publikum, an die Be¬
nutzer der Bahnen, die Kaufleute und Industriellen In Amerika dagegen be¬
steht das ani'vint xrvblvui, auch für die Eisenbahngesellschaften selbst, für
ihre Leiter und Aktionäre. Die Freiheit des Bahnbcmes hat eben einfach zu
einer maßlosen Überproduktion geführt, die ans diesem Gebiete einen ähnlichen
Kampf ums Dasein erzeugt wie auf ander«.

Wenn man Staats- und Privatbahnen mit einander vergleicht, so ist eines
der am meisten auffallende» Unterscheidungsmomentc die Art der Kapitalbeschaf¬
fung. Die Regierung weiß sich mit einer ungleich würdigern Manier, als es
oft bei Aktienemissionen der Fall ist, die erforderlichen Summen zu besorgen.
Gerade für die Wege, die eine sich vollständig selbst überlassene Privatgesell¬
schaft einschlägt, um zu ihrem Ziele — Einstreichung eines möglichst Hoheit Ge¬
winnes — zu gelange», bietet Amerika außerordentlich charakteristische Beispiele.
Die Aktiengesellschaft, die sich i» Amerika zum Bau einer Bahn bildet, ist durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/501>, abgerufen am 25.11.2024.