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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Nordann-rikcinische Eisenbahnplständo.

^ In Italien sind allerdings etwa 64 Prozent aller Bahnen im Besitze des
Staates. Von den 5891 Kilometern aber, die ihm gehören, werden nur 4419
ans eigne Rechnung betrieben. Österreich-Ungarn hat bei einem Netze im Umfange
von 19 599 Kilometern nur 3920 Kilometer, Rußland von 23 000 Kilometern
nur 2294 Kilometer Staatsbcchncn. In Frankreich, das sich freilich das Heiiu-
fallsrecht gegenüber den konzessionirten Privatbahnen gesichert hat, sind von
29 489 Kilometern nur 4396 Kilometer staatliches Eigentum, und in Gro߬
britannien und Nordamerika herrscht die Mtieugesellschaftsbahu unbedingt.

Gerade in den letztgenannten Ländern wird nun in neuerer Zeit außer¬
ordentlich viel über die Eisenbahnen geklagt. In mehr als einer Hinsicht bieten
sie Veranlassung zu den mannichfachsten Beschwerden des sie benutzenden Publi¬
kums, seien dies Geschäftsleute oder Privatpersonen, und in England und Nu߬
land sind durch amtliche Erhebungen, die in zahlreichen Bauden kürzlich an die
Öffentlichkeit gebracht worden sind, grobe Mißbräuche ermittelt worden. Kaum
kauu für die Kenntnis von "Eisenbahnzuständen" etwas lehrreicher sein als das
Studium dieser Enqueten. Jedes Blatt derselben beleuchtet die Systemfragc
"Staats- oder Privatbahnen" so grell zu Ungunsten der letzter,,, auf jeder
Seite ist so massenhafter Stoff, als erdrückendes Beweismaterial für die Aus¬
beutung und Benachteiligung des Publikums durch die Privatbahnen zusammen¬
getragen, daß -- wie ein neuerer Forscher, dein man eine wertvolle Bearbeitung
der englischen Eiseubahnznstände verdankt, sich treffend ausdrückt") -- aus den
verschlungnen Einzelheiten heraus sich uur eine einzige Lösung darbietet, daß
wie mit tausend Fingern aus allen Wirrnissen und Klagen auf eine einzige
Abhilfe gedeutet wird -- auf den Staat als den allein befähigten und be¬
rechtigten Ordner dieser Angelegenheit.

Nicht besser als in Rußland und Großbritannien gestaltet sich das Eisen¬
bahnwesen in Nordamerika, und es ist in hohem Grade lehrreich, von einem
bewährten Sachkenner eine objektive Schilderung der dort eingerissenen Mißstände
zu hören. Herr von der Lehen giebt in seinem Buche über diesen Gegenstand"*)
nicht nur den umfangreichen literarischen Stoff kritisch gesichtet wieder, sondern
er kennt die amerikanischen Schienenwege auch aus eigner Anschauung, und so
wird es doppelt interessant, von einem hochgestellten preußischen Beamten, dessen
Blick für diese Dinge durch die Praxis geschärft ist, ein Urteil über diese
Ent- und Verwicklung zu hören. Es ist die nationalökonomische Seite der
Eisenbahnen, die erörtert wird, während die technische, die kaum über die Fach¬
kreise hinaus Aufmerksamkeit beanspruchen könnte, unberührt geblieben ist. Im
übrigen handelt es sich nicht um eine systematische zusammenhängende Darstellung
der Geschichte und des heutigen Zustandes der Eisenbahnen in den Vereinigten




Gustav Cohn, Die englische Eisenbahnpvlitik der letzte" zehn Jahre. Leipzig, 1LLL.
Die nordamerikcinischcn Eisenbahnen in ihren wirtschaftlichen und
Politischen Beziehungen. Leipzig, Veit u. Comp-, 1S8S.
Nordann-rikcinische Eisenbahnplständo.

^ In Italien sind allerdings etwa 64 Prozent aller Bahnen im Besitze des
Staates. Von den 5891 Kilometern aber, die ihm gehören, werden nur 4419
ans eigne Rechnung betrieben. Österreich-Ungarn hat bei einem Netze im Umfange
von 19 599 Kilometern nur 3920 Kilometer, Rußland von 23 000 Kilometern
nur 2294 Kilometer Staatsbcchncn. In Frankreich, das sich freilich das Heiiu-
fallsrecht gegenüber den konzessionirten Privatbahnen gesichert hat, sind von
29 489 Kilometern nur 4396 Kilometer staatliches Eigentum, und in Gro߬
britannien und Nordamerika herrscht die Mtieugesellschaftsbahu unbedingt.

Gerade in den letztgenannten Ländern wird nun in neuerer Zeit außer¬
ordentlich viel über die Eisenbahnen geklagt. In mehr als einer Hinsicht bieten
sie Veranlassung zu den mannichfachsten Beschwerden des sie benutzenden Publi¬
kums, seien dies Geschäftsleute oder Privatpersonen, und in England und Nu߬
land sind durch amtliche Erhebungen, die in zahlreichen Bauden kürzlich an die
Öffentlichkeit gebracht worden sind, grobe Mißbräuche ermittelt worden. Kaum
kauu für die Kenntnis von „Eisenbahnzuständen" etwas lehrreicher sein als das
Studium dieser Enqueten. Jedes Blatt derselben beleuchtet die Systemfragc
„Staats- oder Privatbahnen" so grell zu Ungunsten der letzter,,, auf jeder
Seite ist so massenhafter Stoff, als erdrückendes Beweismaterial für die Aus¬
beutung und Benachteiligung des Publikums durch die Privatbahnen zusammen¬
getragen, daß — wie ein neuerer Forscher, dein man eine wertvolle Bearbeitung
der englischen Eiseubahnznstände verdankt, sich treffend ausdrückt") — aus den
verschlungnen Einzelheiten heraus sich uur eine einzige Lösung darbietet, daß
wie mit tausend Fingern aus allen Wirrnissen und Klagen auf eine einzige
Abhilfe gedeutet wird — auf den Staat als den allein befähigten und be¬
rechtigten Ordner dieser Angelegenheit.

Nicht besser als in Rußland und Großbritannien gestaltet sich das Eisen¬
bahnwesen in Nordamerika, und es ist in hohem Grade lehrreich, von einem
bewährten Sachkenner eine objektive Schilderung der dort eingerissenen Mißstände
zu hören. Herr von der Lehen giebt in seinem Buche über diesen Gegenstand"*)
nicht nur den umfangreichen literarischen Stoff kritisch gesichtet wieder, sondern
er kennt die amerikanischen Schienenwege auch aus eigner Anschauung, und so
wird es doppelt interessant, von einem hochgestellten preußischen Beamten, dessen
Blick für diese Dinge durch die Praxis geschärft ist, ein Urteil über diese
Ent- und Verwicklung zu hören. Es ist die nationalökonomische Seite der
Eisenbahnen, die erörtert wird, während die technische, die kaum über die Fach¬
kreise hinaus Aufmerksamkeit beanspruchen könnte, unberührt geblieben ist. Im
übrigen handelt es sich nicht um eine systematische zusammenhängende Darstellung
der Geschichte und des heutigen Zustandes der Eisenbahnen in den Vereinigten




Gustav Cohn, Die englische Eisenbahnpvlitik der letzte» zehn Jahre. Leipzig, 1LLL.
Die nordamerikcinischcn Eisenbahnen in ihren wirtschaftlichen und
Politischen Beziehungen. Leipzig, Veit u. Comp-, 1S8S.
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[0499] Nordann-rikcinische Eisenbahnplständo. ^ In Italien sind allerdings etwa 64 Prozent aller Bahnen im Besitze des Staates. Von den 5891 Kilometern aber, die ihm gehören, werden nur 4419 ans eigne Rechnung betrieben. Österreich-Ungarn hat bei einem Netze im Umfange von 19 599 Kilometern nur 3920 Kilometer, Rußland von 23 000 Kilometern nur 2294 Kilometer Staatsbcchncn. In Frankreich, das sich freilich das Heiiu- fallsrecht gegenüber den konzessionirten Privatbahnen gesichert hat, sind von 29 489 Kilometern nur 4396 Kilometer staatliches Eigentum, und in Gro߬ britannien und Nordamerika herrscht die Mtieugesellschaftsbahu unbedingt. Gerade in den letztgenannten Ländern wird nun in neuerer Zeit außer¬ ordentlich viel über die Eisenbahnen geklagt. In mehr als einer Hinsicht bieten sie Veranlassung zu den mannichfachsten Beschwerden des sie benutzenden Publi¬ kums, seien dies Geschäftsleute oder Privatpersonen, und in England und Nu߬ land sind durch amtliche Erhebungen, die in zahlreichen Bauden kürzlich an die Öffentlichkeit gebracht worden sind, grobe Mißbräuche ermittelt worden. Kaum kauu für die Kenntnis von „Eisenbahnzuständen" etwas lehrreicher sein als das Studium dieser Enqueten. Jedes Blatt derselben beleuchtet die Systemfragc „Staats- oder Privatbahnen" so grell zu Ungunsten der letzter,,, auf jeder Seite ist so massenhafter Stoff, als erdrückendes Beweismaterial für die Aus¬ beutung und Benachteiligung des Publikums durch die Privatbahnen zusammen¬ getragen, daß — wie ein neuerer Forscher, dein man eine wertvolle Bearbeitung der englischen Eiseubahnznstände verdankt, sich treffend ausdrückt") — aus den verschlungnen Einzelheiten heraus sich uur eine einzige Lösung darbietet, daß wie mit tausend Fingern aus allen Wirrnissen und Klagen auf eine einzige Abhilfe gedeutet wird — auf den Staat als den allein befähigten und be¬ rechtigten Ordner dieser Angelegenheit. Nicht besser als in Rußland und Großbritannien gestaltet sich das Eisen¬ bahnwesen in Nordamerika, und es ist in hohem Grade lehrreich, von einem bewährten Sachkenner eine objektive Schilderung der dort eingerissenen Mißstände zu hören. Herr von der Lehen giebt in seinem Buche über diesen Gegenstand"*) nicht nur den umfangreichen literarischen Stoff kritisch gesichtet wieder, sondern er kennt die amerikanischen Schienenwege auch aus eigner Anschauung, und so wird es doppelt interessant, von einem hochgestellten preußischen Beamten, dessen Blick für diese Dinge durch die Praxis geschärft ist, ein Urteil über diese Ent- und Verwicklung zu hören. Es ist die nationalökonomische Seite der Eisenbahnen, die erörtert wird, während die technische, die kaum über die Fach¬ kreise hinaus Aufmerksamkeit beanspruchen könnte, unberührt geblieben ist. Im übrigen handelt es sich nicht um eine systematische zusammenhängende Darstellung der Geschichte und des heutigen Zustandes der Eisenbahnen in den Vereinigten Gustav Cohn, Die englische Eisenbahnpvlitik der letzte» zehn Jahre. Leipzig, 1LLL. Die nordamerikcinischcn Eisenbahnen in ihren wirtschaftlichen und Politischen Beziehungen. Leipzig, Veit u. Comp-, 1S8S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/499>, abgerufen am 25.11.2024.