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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zentralnsien,

losen Sandhügel des Landes erstrecken sich bis hinab zum Rande des Wassers,
In der Umgebung von Saryjasi dagegen öffnet sich das Flußthal zu einem
weiten Becken mit den: fruchtbarsten Boden, welches einem aus der Wüste im
Norden heranziehenden Heere Getreide und andre Lebensmittel in Fülle liefern
könnte. Pendschdeh ferner ist eine hochwichtige strategische Position. Es be¬
herrscht die Straße, welche das Thal des Kaschl hinauf direkt nach Herat fuhrt,
sowie die Norden, die über Kalas Weli und Baka Margab "ach Maimeuc
laufen. Behalten die Russen, wie jetzt vollkommen festzustehen scheint, Pendschdeh,
so ist wenigstens der westliche Teil des afghanischen Turkestans von Herat ab¬
getrennt. Aber das ist noch nicht alles. Nördlich von Chmnan i Bib, fünfzig
englische Meilen südlich von Pendschdeh, am Passe von Kaschk, an dem von
Zalfikar und am rechten Ufer des Herirud breitet sich zwischen dem letzter" und
dem Kaschkflusfe eine wasserlose, uupassirbare Wüste aus, welche alle Kommuni¬
kation von rechts und links her ausschließt. Die Russen, welche die Absicht
haben, in Zukunft, wen" ihre Eisenbahn nach Zentralasien fertig ist, zur Er¬
oberung Herats zu schreiten, bedürfen einer ununterbrochenen Front, von der
aus sie weiter operiren können. Sobald sie sich Zcilfikars, Akrobats und
Chaman i Vids bemächtigt haben, ist ihr Zweck erreicht. Das sind die strate¬
gischen Vorteile, nach denen sie bei den gegenwärtigen militärischen und diplo¬
matischen Manövern streben. Dazu kommt aber noch, daß die Turkmcnenstämme
von Chahar Aimak unausbleiblich nach der Macht hin gravitiren werden, welche
sich im Besitze von Pendschdeh befindet, und daß das ganze afghanische Turkestan
bis nach Chuten, Kanons und Masari Scherif hin, durch die Bergkette des
Hindukusch von Kabul und durch die russischem Garnisonen im Nordwesten,
zwischen Margab und Herirud, von Herat getrennt, binnen kurzem eine Beute
der Russe" werden muß. Sie werden dann ihr mittelasiatisches Reich bis an
den Fuß des Hindukusch und des Paropamisus ausgedehnt haben. Solche Er¬
gebnisse vertragen sich in keiner Weise mit dem Interesse Englands in Indien
und ebensowenig mit den Versprechungen, welche man dem Emir gegeben hat,
der die Engländer jetzt als unfähig, sie zu erfüllen, ansehen wird. "Wir Ware",
so sagt der oben zitirte Berichterstatter, mit Bekümmernis Zeugen, wie die
Episode von Pul i Chisti und Pendschdeh uus die Gemüter unsrer afghanischen
Bundesgenossen entfremdete. Wir hörten, wie sie ausriefen, es sei die Pflicht
Englands, ihnen Beistand zu leisten, um das dort angerichtete Gemetzel rächen
zu können. Sollen wir einwilligen, daß ihnen der Grund und Boden genommen
wird, für den und auf dem sie ihr Blut vergossen habe"? Sollen wir die
wertvollen Salzsümpfe von Nimccksau und die grünen, fruchtbare,, Ebenen von
Badlis den Russen überlassen? Es ist kaum zu glauben, aber noch schwerer
will uns der Gedanke in den Kopf, daß nach allen Anstrengungen Sir Peter
Lumsdens, Oberst Nidgewcihs und der andern Mitglieder der Grenzkvmmissiou
den Russen schließlich gestattet werden soll, eine Stellung zu behalte", die eine


Die Russen in Zentralnsien,

losen Sandhügel des Landes erstrecken sich bis hinab zum Rande des Wassers,
In der Umgebung von Saryjasi dagegen öffnet sich das Flußthal zu einem
weiten Becken mit den: fruchtbarsten Boden, welches einem aus der Wüste im
Norden heranziehenden Heere Getreide und andre Lebensmittel in Fülle liefern
könnte. Pendschdeh ferner ist eine hochwichtige strategische Position. Es be¬
herrscht die Straße, welche das Thal des Kaschl hinauf direkt nach Herat fuhrt,
sowie die Norden, die über Kalas Weli und Baka Margab »ach Maimeuc
laufen. Behalten die Russen, wie jetzt vollkommen festzustehen scheint, Pendschdeh,
so ist wenigstens der westliche Teil des afghanischen Turkestans von Herat ab¬
getrennt. Aber das ist noch nicht alles. Nördlich von Chmnan i Bib, fünfzig
englische Meilen südlich von Pendschdeh, am Passe von Kaschk, an dem von
Zalfikar und am rechten Ufer des Herirud breitet sich zwischen dem letzter» und
dem Kaschkflusfe eine wasserlose, uupassirbare Wüste aus, welche alle Kommuni¬
kation von rechts und links her ausschließt. Die Russen, welche die Absicht
haben, in Zukunft, wen» ihre Eisenbahn nach Zentralasien fertig ist, zur Er¬
oberung Herats zu schreiten, bedürfen einer ununterbrochenen Front, von der
aus sie weiter operiren können. Sobald sie sich Zcilfikars, Akrobats und
Chaman i Vids bemächtigt haben, ist ihr Zweck erreicht. Das sind die strate¬
gischen Vorteile, nach denen sie bei den gegenwärtigen militärischen und diplo¬
matischen Manövern streben. Dazu kommt aber noch, daß die Turkmcnenstämme
von Chahar Aimak unausbleiblich nach der Macht hin gravitiren werden, welche
sich im Besitze von Pendschdeh befindet, und daß das ganze afghanische Turkestan
bis nach Chuten, Kanons und Masari Scherif hin, durch die Bergkette des
Hindukusch von Kabul und durch die russischem Garnisonen im Nordwesten,
zwischen Margab und Herirud, von Herat getrennt, binnen kurzem eine Beute
der Russe» werden muß. Sie werden dann ihr mittelasiatisches Reich bis an
den Fuß des Hindukusch und des Paropamisus ausgedehnt haben. Solche Er¬
gebnisse vertragen sich in keiner Weise mit dem Interesse Englands in Indien
und ebensowenig mit den Versprechungen, welche man dem Emir gegeben hat,
der die Engländer jetzt als unfähig, sie zu erfüllen, ansehen wird. „Wir Ware»,
so sagt der oben zitirte Berichterstatter, mit Bekümmernis Zeugen, wie die
Episode von Pul i Chisti und Pendschdeh uus die Gemüter unsrer afghanischen
Bundesgenossen entfremdete. Wir hörten, wie sie ausriefen, es sei die Pflicht
Englands, ihnen Beistand zu leisten, um das dort angerichtete Gemetzel rächen
zu können. Sollen wir einwilligen, daß ihnen der Grund und Boden genommen
wird, für den und auf dem sie ihr Blut vergossen habe»? Sollen wir die
wertvollen Salzsümpfe von Nimccksau und die grünen, fruchtbare,, Ebenen von
Badlis den Russen überlassen? Es ist kaum zu glauben, aber noch schwerer
will uns der Gedanke in den Kopf, daß nach allen Anstrengungen Sir Peter
Lumsdens, Oberst Nidgewcihs und der andern Mitglieder der Grenzkvmmissiou
den Russen schließlich gestattet werden soll, eine Stellung zu behalte», die eine


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[0496] Die Russen in Zentralnsien, losen Sandhügel des Landes erstrecken sich bis hinab zum Rande des Wassers, In der Umgebung von Saryjasi dagegen öffnet sich das Flußthal zu einem weiten Becken mit den: fruchtbarsten Boden, welches einem aus der Wüste im Norden heranziehenden Heere Getreide und andre Lebensmittel in Fülle liefern könnte. Pendschdeh ferner ist eine hochwichtige strategische Position. Es be¬ herrscht die Straße, welche das Thal des Kaschl hinauf direkt nach Herat fuhrt, sowie die Norden, die über Kalas Weli und Baka Margab »ach Maimeuc laufen. Behalten die Russen, wie jetzt vollkommen festzustehen scheint, Pendschdeh, so ist wenigstens der westliche Teil des afghanischen Turkestans von Herat ab¬ getrennt. Aber das ist noch nicht alles. Nördlich von Chmnan i Bib, fünfzig englische Meilen südlich von Pendschdeh, am Passe von Kaschk, an dem von Zalfikar und am rechten Ufer des Herirud breitet sich zwischen dem letzter» und dem Kaschkflusfe eine wasserlose, uupassirbare Wüste aus, welche alle Kommuni¬ kation von rechts und links her ausschließt. Die Russen, welche die Absicht haben, in Zukunft, wen» ihre Eisenbahn nach Zentralasien fertig ist, zur Er¬ oberung Herats zu schreiten, bedürfen einer ununterbrochenen Front, von der aus sie weiter operiren können. Sobald sie sich Zcilfikars, Akrobats und Chaman i Vids bemächtigt haben, ist ihr Zweck erreicht. Das sind die strate¬ gischen Vorteile, nach denen sie bei den gegenwärtigen militärischen und diplo¬ matischen Manövern streben. Dazu kommt aber noch, daß die Turkmcnenstämme von Chahar Aimak unausbleiblich nach der Macht hin gravitiren werden, welche sich im Besitze von Pendschdeh befindet, und daß das ganze afghanische Turkestan bis nach Chuten, Kanons und Masari Scherif hin, durch die Bergkette des Hindukusch von Kabul und durch die russischem Garnisonen im Nordwesten, zwischen Margab und Herirud, von Herat getrennt, binnen kurzem eine Beute der Russe» werden muß. Sie werden dann ihr mittelasiatisches Reich bis an den Fuß des Hindukusch und des Paropamisus ausgedehnt haben. Solche Er¬ gebnisse vertragen sich in keiner Weise mit dem Interesse Englands in Indien und ebensowenig mit den Versprechungen, welche man dem Emir gegeben hat, der die Engländer jetzt als unfähig, sie zu erfüllen, ansehen wird. „Wir Ware», so sagt der oben zitirte Berichterstatter, mit Bekümmernis Zeugen, wie die Episode von Pul i Chisti und Pendschdeh uus die Gemüter unsrer afghanischen Bundesgenossen entfremdete. Wir hörten, wie sie ausriefen, es sei die Pflicht Englands, ihnen Beistand zu leisten, um das dort angerichtete Gemetzel rächen zu können. Sollen wir einwilligen, daß ihnen der Grund und Boden genommen wird, für den und auf dem sie ihr Blut vergossen habe»? Sollen wir die wertvollen Salzsümpfe von Nimccksau und die grünen, fruchtbare,, Ebenen von Badlis den Russen überlassen? Es ist kaum zu glauben, aber noch schwerer will uns der Gedanke in den Kopf, daß nach allen Anstrengungen Sir Peter Lumsdens, Oberst Nidgewcihs und der andern Mitglieder der Grenzkvmmissiou den Russen schließlich gestattet werden soll, eine Stellung zu behalte», die eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/496>, abgerufen am 28.07.2024.