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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Am eine perle.
Roman von Robert ZVcildmüller (Ed. Duboc). (Schluss)

lie diese Erimierimgen zogen heute an dem geistigen Auge der
Nonne Ginsepva mit besondrer Lebendigkeit vorüber, denn der
Ehrgeiz ihres Vaters hatte ihr ja noch ein andres, mehr äußer¬
liches Ziel gesteckt: die Äbtissinnenwnrde, und in diesem Augen¬
blicke waren die nicht durch Krankheit oder Krankheitsnachwehen
behinderten Schwestern des heiligen Augustin zur Wahl einer neuen Äbtissin im
großen Klostersaale versammelt.

Ginsepva prüfte sich, ob die von ihr allmählich wiedergewonnene Ruhe
Stand halten würde unter dem Drucke von Obliegenheiten, wie sie in Zeiten
allgemeiner Unsicherheit die Schultern einer Äbtissin belasten mußten, und sie
sagte sich, daß für den Fall ihrer Erwählung ein größerer Abbruch an innerer
und äußerer Stille damit über sie verhängt werde, als sie werde ertragen können.

Aber wie vieles, so sagte sie sich, wie vieles habe ich meinem Vater gegen¬
über gutzumachen! Trifft mich das Loos, so muß ich mein Kreuz auf mich
nehmen.

Sie blickte sich um. Über ihre Zukunft waren die Würfel, so schien es,
schon geworfen worden.

Atemlos kam die Ursulinerin gerannt.

Gnädiges Fräulein, gnädige Signora, gnädiges Fräulein Santa Giuseppa!
rief sie, in ihrer Verwirrung das rechte Wort nicht findend, stellt Euch meinen
Schreck vor! Ich kann mich uicht auf den Beinen halten -- er ist wieder da!

Sie ließ sich auf eine Steinbank sinken.

Wer? fragte die Nonne und atmete auf.

Ich dachte, der Schlag müßte mich rühren!

Aber wer ist da?

Wenn man einen zwanzig volle Jahre nicht zu Gesicht bekommen hat, und
auf einmal sieht man ihn leibhaftig auf dem Pferde sitzen -- ich glaube, ich habe


Grenzboten III. 188S. 60


Am eine perle.
Roman von Robert ZVcildmüller (Ed. Duboc). (Schluss)

lie diese Erimierimgen zogen heute an dem geistigen Auge der
Nonne Ginsepva mit besondrer Lebendigkeit vorüber, denn der
Ehrgeiz ihres Vaters hatte ihr ja noch ein andres, mehr äußer¬
liches Ziel gesteckt: die Äbtissinnenwnrde, und in diesem Augen¬
blicke waren die nicht durch Krankheit oder Krankheitsnachwehen
behinderten Schwestern des heiligen Augustin zur Wahl einer neuen Äbtissin im
großen Klostersaale versammelt.

Ginsepva prüfte sich, ob die von ihr allmählich wiedergewonnene Ruhe
Stand halten würde unter dem Drucke von Obliegenheiten, wie sie in Zeiten
allgemeiner Unsicherheit die Schultern einer Äbtissin belasten mußten, und sie
sagte sich, daß für den Fall ihrer Erwählung ein größerer Abbruch an innerer
und äußerer Stille damit über sie verhängt werde, als sie werde ertragen können.

Aber wie vieles, so sagte sie sich, wie vieles habe ich meinem Vater gegen¬
über gutzumachen! Trifft mich das Loos, so muß ich mein Kreuz auf mich
nehmen.

Sie blickte sich um. Über ihre Zukunft waren die Würfel, so schien es,
schon geworfen worden.

Atemlos kam die Ursulinerin gerannt.

Gnädiges Fräulein, gnädige Signora, gnädiges Fräulein Santa Giuseppa!
rief sie, in ihrer Verwirrung das rechte Wort nicht findend, stellt Euch meinen
Schreck vor! Ich kann mich uicht auf den Beinen halten — er ist wieder da!

Sie ließ sich auf eine Steinbank sinken.

Wer? fragte die Nonne und atmete auf.

Ich dachte, der Schlag müßte mich rühren!

Aber wer ist da?

Wenn man einen zwanzig volle Jahre nicht zu Gesicht bekommen hat, und
auf einmal sieht man ihn leibhaftig auf dem Pferde sitzen — ich glaube, ich habe


Grenzboten III. 188S. 60
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[0481] [Abbildung] Am eine perle. Roman von Robert ZVcildmüller (Ed. Duboc). (Schluss) lie diese Erimierimgen zogen heute an dem geistigen Auge der Nonne Ginsepva mit besondrer Lebendigkeit vorüber, denn der Ehrgeiz ihres Vaters hatte ihr ja noch ein andres, mehr äußer¬ liches Ziel gesteckt: die Äbtissinnenwnrde, und in diesem Augen¬ blicke waren die nicht durch Krankheit oder Krankheitsnachwehen behinderten Schwestern des heiligen Augustin zur Wahl einer neuen Äbtissin im großen Klostersaale versammelt. Ginsepva prüfte sich, ob die von ihr allmählich wiedergewonnene Ruhe Stand halten würde unter dem Drucke von Obliegenheiten, wie sie in Zeiten allgemeiner Unsicherheit die Schultern einer Äbtissin belasten mußten, und sie sagte sich, daß für den Fall ihrer Erwählung ein größerer Abbruch an innerer und äußerer Stille damit über sie verhängt werde, als sie werde ertragen können. Aber wie vieles, so sagte sie sich, wie vieles habe ich meinem Vater gegen¬ über gutzumachen! Trifft mich das Loos, so muß ich mein Kreuz auf mich nehmen. Sie blickte sich um. Über ihre Zukunft waren die Würfel, so schien es, schon geworfen worden. Atemlos kam die Ursulinerin gerannt. Gnädiges Fräulein, gnädige Signora, gnädiges Fräulein Santa Giuseppa! rief sie, in ihrer Verwirrung das rechte Wort nicht findend, stellt Euch meinen Schreck vor! Ich kann mich uicht auf den Beinen halten — er ist wieder da! Sie ließ sich auf eine Steinbank sinken. Wer? fragte die Nonne und atmete auf. Ich dachte, der Schlag müßte mich rühren! Aber wer ist da? Wenn man einen zwanzig volle Jahre nicht zu Gesicht bekommen hat, und auf einmal sieht man ihn leibhaftig auf dem Pferde sitzen — ich glaube, ich habe Grenzboten III. 188S. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/481>, abgerufen am 28.07.2024.