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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Populäre Schriftsteller.

recht schlechte gewesen sein --, und aus den verschiednen, unerhört einseitigen
Aussprüchen über die Frauen. Da wären also wirklich Paradoxen? Allerdings,
aber der Verfasser gelangt zu denselben nur, indem er die Puppe aus Goethes
"Triumph der Empfindsamkeit" hervorholt, behauptet, diese habe bisher der
Welt als Ideal gegolten, und dann stolz demonstrirt, daß sie aus Lumpen zu¬
sammengeflickt ist und alte Scharteken anstatt der Eingeweide hat.

Einige Proben sollen uns mit dem Verfasser näher bekannt machen.

In dem ersten Kapitel wird ganz verständig, aber auch ganz alltäglich,
auseinandergesetzt, daß "wir kein Recht haben, die Vorgänge im Kosmos mit
der kurzen Elle menschlicher Logik zu messen," und daß der Mensch von Haus
aus kein Pessimist ist, sondern ein unverbesserlicher Optimist. Da erfahren
wir u. a. wieder, daß "die Unzufriedenheit die Ursache alles Fortschrittes" sei,
während bei andrer Gelegenheit kühn behauptet wird, alles Große geschehe nur
um des Beifalls der großen Menge willen. Das Märchen von den drei
Wünschen, die den Wünschenden nur zu einer Bratwurst verhelfen, soll beweisen,
"daß jeder Mensch sich in den eignen Verhältnissen ausgezeichnet befindet!"
In dem Kapitel "Mehrheit und Minderheit" dozirt der Verfasser, wer stolz
daraus sei, zur Minderheit zu gehören, müsse logischerweise "die Verschiedenheit
vom Troß in allen Lebensäußerungen markiren, andre Kleiderfvrmen zur Schon
tragen, andre Gewohnheiten, Sitten, Moralbegriffe annehmen (!)"; und doch
gelte es als geschmackvoll, nicht aufzufallen ?e., und gerade die Verächter der
Menge gäben z. B. als kräftigste Stützen des Gesetzes, "das doch nichts ist
als die Zusammenfassung der Anschauungen des Volkes, das heißt der Mehr¬
heit," stillschweigend zu, "die Anschauungen des Marktpöbels seien in ihren
Hauptzügen richtig und achtenswert." Fügen wir noch hinzu, daß eben diese
Verächter der Menge "den Parlamentarismus verteidigen," so wird die Be¬
hauptung nicht "paradox" erscheinen, daß eine größere Willkür im Durchein-
andermürfeln der heterogensten Dinge zum Zwecke eines Trugschlusses schwer
zu erreichen sein durste. Nein, Herr Nordau, man fügt sich im Unwesentlichen,
weil es sich nicht der Mühe lohnt, darum mit der Menge in einen Konflikt
zu geraten, dem man in wichtigen Angelegenheiten nicht ausweichen kaun und
will, und man braucht nicht andre Begriffe "anzunehmen," um sich von der
Menge zu unterscheide", sondern man unterscheidet sich von ihr durch andre
Begriffe. Eine Blüte des Sophismus folgt gleich darauf. Dem Allsspruche
Montesauieus, daß im Schwurgerichte eigentlich die Meinung der Minderheit
den Ausschlag geben sollte, weil unter den Zwölfen sicher mehr Dumme als
Weise sein würden, setzt Nordau entgegen, daß die Minderheit nicht nur
diejenigen, welche sich über das Durchschnittsmaß erheben, umfasse, sondern
auch die unter jenein Maße Bleibenden, die "Trottel." Übrigens ist der Fall
nicht vereinzelt, daß wir an talmudische Beweisführungen erinnert werden. Mit
großem Aufwande von Witz und Unwitz wird der "Widerspruch," daß große


Populäre Schriftsteller.

recht schlechte gewesen sein —, und aus den verschiednen, unerhört einseitigen
Aussprüchen über die Frauen. Da wären also wirklich Paradoxen? Allerdings,
aber der Verfasser gelangt zu denselben nur, indem er die Puppe aus Goethes
„Triumph der Empfindsamkeit" hervorholt, behauptet, diese habe bisher der
Welt als Ideal gegolten, und dann stolz demonstrirt, daß sie aus Lumpen zu¬
sammengeflickt ist und alte Scharteken anstatt der Eingeweide hat.

Einige Proben sollen uns mit dem Verfasser näher bekannt machen.

In dem ersten Kapitel wird ganz verständig, aber auch ganz alltäglich,
auseinandergesetzt, daß „wir kein Recht haben, die Vorgänge im Kosmos mit
der kurzen Elle menschlicher Logik zu messen," und daß der Mensch von Haus
aus kein Pessimist ist, sondern ein unverbesserlicher Optimist. Da erfahren
wir u. a. wieder, daß „die Unzufriedenheit die Ursache alles Fortschrittes" sei,
während bei andrer Gelegenheit kühn behauptet wird, alles Große geschehe nur
um des Beifalls der großen Menge willen. Das Märchen von den drei
Wünschen, die den Wünschenden nur zu einer Bratwurst verhelfen, soll beweisen,
„daß jeder Mensch sich in den eignen Verhältnissen ausgezeichnet befindet!"
In dem Kapitel „Mehrheit und Minderheit" dozirt der Verfasser, wer stolz
daraus sei, zur Minderheit zu gehören, müsse logischerweise „die Verschiedenheit
vom Troß in allen Lebensäußerungen markiren, andre Kleiderfvrmen zur Schon
tragen, andre Gewohnheiten, Sitten, Moralbegriffe annehmen (!)"; und doch
gelte es als geschmackvoll, nicht aufzufallen ?e., und gerade die Verächter der
Menge gäben z. B. als kräftigste Stützen des Gesetzes, „das doch nichts ist
als die Zusammenfassung der Anschauungen des Volkes, das heißt der Mehr¬
heit," stillschweigend zu, „die Anschauungen des Marktpöbels seien in ihren
Hauptzügen richtig und achtenswert." Fügen wir noch hinzu, daß eben diese
Verächter der Menge „den Parlamentarismus verteidigen," so wird die Be¬
hauptung nicht „paradox" erscheinen, daß eine größere Willkür im Durchein-
andermürfeln der heterogensten Dinge zum Zwecke eines Trugschlusses schwer
zu erreichen sein durste. Nein, Herr Nordau, man fügt sich im Unwesentlichen,
weil es sich nicht der Mühe lohnt, darum mit der Menge in einen Konflikt
zu geraten, dem man in wichtigen Angelegenheiten nicht ausweichen kaun und
will, und man braucht nicht andre Begriffe „anzunehmen," um sich von der
Menge zu unterscheide», sondern man unterscheidet sich von ihr durch andre
Begriffe. Eine Blüte des Sophismus folgt gleich darauf. Dem Allsspruche
Montesauieus, daß im Schwurgerichte eigentlich die Meinung der Minderheit
den Ausschlag geben sollte, weil unter den Zwölfen sicher mehr Dumme als
Weise sein würden, setzt Nordau entgegen, daß die Minderheit nicht nur
diejenigen, welche sich über das Durchschnittsmaß erheben, umfasse, sondern
auch die unter jenein Maße Bleibenden, die „Trottel." Übrigens ist der Fall
nicht vereinzelt, daß wir an talmudische Beweisführungen erinnert werden. Mit
großem Aufwande von Witz und Unwitz wird der „Widerspruch," daß große


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[0478] Populäre Schriftsteller. recht schlechte gewesen sein —, und aus den verschiednen, unerhört einseitigen Aussprüchen über die Frauen. Da wären also wirklich Paradoxen? Allerdings, aber der Verfasser gelangt zu denselben nur, indem er die Puppe aus Goethes „Triumph der Empfindsamkeit" hervorholt, behauptet, diese habe bisher der Welt als Ideal gegolten, und dann stolz demonstrirt, daß sie aus Lumpen zu¬ sammengeflickt ist und alte Scharteken anstatt der Eingeweide hat. Einige Proben sollen uns mit dem Verfasser näher bekannt machen. In dem ersten Kapitel wird ganz verständig, aber auch ganz alltäglich, auseinandergesetzt, daß „wir kein Recht haben, die Vorgänge im Kosmos mit der kurzen Elle menschlicher Logik zu messen," und daß der Mensch von Haus aus kein Pessimist ist, sondern ein unverbesserlicher Optimist. Da erfahren wir u. a. wieder, daß „die Unzufriedenheit die Ursache alles Fortschrittes" sei, während bei andrer Gelegenheit kühn behauptet wird, alles Große geschehe nur um des Beifalls der großen Menge willen. Das Märchen von den drei Wünschen, die den Wünschenden nur zu einer Bratwurst verhelfen, soll beweisen, „daß jeder Mensch sich in den eignen Verhältnissen ausgezeichnet befindet!" In dem Kapitel „Mehrheit und Minderheit" dozirt der Verfasser, wer stolz daraus sei, zur Minderheit zu gehören, müsse logischerweise „die Verschiedenheit vom Troß in allen Lebensäußerungen markiren, andre Kleiderfvrmen zur Schon tragen, andre Gewohnheiten, Sitten, Moralbegriffe annehmen (!)"; und doch gelte es als geschmackvoll, nicht aufzufallen ?e., und gerade die Verächter der Menge gäben z. B. als kräftigste Stützen des Gesetzes, „das doch nichts ist als die Zusammenfassung der Anschauungen des Volkes, das heißt der Mehr¬ heit," stillschweigend zu, „die Anschauungen des Marktpöbels seien in ihren Hauptzügen richtig und achtenswert." Fügen wir noch hinzu, daß eben diese Verächter der Menge „den Parlamentarismus verteidigen," so wird die Be¬ hauptung nicht „paradox" erscheinen, daß eine größere Willkür im Durchein- andermürfeln der heterogensten Dinge zum Zwecke eines Trugschlusses schwer zu erreichen sein durste. Nein, Herr Nordau, man fügt sich im Unwesentlichen, weil es sich nicht der Mühe lohnt, darum mit der Menge in einen Konflikt zu geraten, dem man in wichtigen Angelegenheiten nicht ausweichen kaun und will, und man braucht nicht andre Begriffe „anzunehmen," um sich von der Menge zu unterscheide», sondern man unterscheidet sich von ihr durch andre Begriffe. Eine Blüte des Sophismus folgt gleich darauf. Dem Allsspruche Montesauieus, daß im Schwurgerichte eigentlich die Meinung der Minderheit den Ausschlag geben sollte, weil unter den Zwölfen sicher mehr Dumme als Weise sein würden, setzt Nordau entgegen, daß die Minderheit nicht nur diejenigen, welche sich über das Durchschnittsmaß erheben, umfasse, sondern auch die unter jenein Maße Bleibenden, die „Trottel." Übrigens ist der Fall nicht vereinzelt, daß wir an talmudische Beweisführungen erinnert werden. Mit großem Aufwande von Witz und Unwitz wird der „Widerspruch," daß große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/478>, abgerufen am 24.11.2024.