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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Populäre Schriftsteller.

jeher mit der Verehrung kleinerer Gemeinden begnügen müssen. Ein Humorist
und zugleich populärer Schriftsteller ist Fritz Reuter, allein solcher Erfolge hat
er sich nicht zu rühmen, nicht einmal nach seinem Tode. Julius Stinte muß
also wohl noch besondre Qualitäten besitzen, welche ihm die allgemeine Gunst
eingetragen haben. Gewissenhaft hielt ich aus, bis Frau Buchholz wieder in
Berlin eingetroffen war, und als ich mir dann die Wechselnden Eindrücke während
der Lektüre wieder vergegenwärtigte, kam ich zu einem eigentümlichen Resultat.
Sollte der warme patriotische Ton, welcher hie und da anklingt, viele Tausende
bewogen haben, drei Mark für ein Buch auszugeben -- in Deutschland, dem
klassische" Lande der Leihbibliotheken? Das wäre sehr schön, ist aber schwer zu
glauben. Einzelne von den Reiseabenteuern sind in der That komisch, schwimmen
aber als spärliche Fettaugen auf einer zu laugen und dünnen Brühe/") Da
muß doch wohl eben diese Brühe den Geschmack des große" Lesepublikums
getroffen haben! Und damit würde sich bestätigen, daß das Banate, mit Prä-
tention vorgetragen, des Beifalls immer sicher sein darf. Der ostensible Zweck
des Buches ist, jene Sorte von Reisenden zu persistiren, welche Italien be¬
suchen wie eine neue Vorstellung im Theater oder im Zirkus -- weil alle
andern es thun --, und entweder genau nach Vorschrift des Bädeker bewundern
oder sich "alles ganz anders gedacht haben." Solche Landplagen werden
auch in dem Buche öfter ganz ergötzlich geschildert, solange der Verfasser sich
bescheidet, zu den hausbackenen Betrachtungen der Berliner Spießbürgerfrau
Anmerkungen zu machen. Das wird ihm jedoch bald zu umständlich, und so
läßt er die gute Dame zur Abwechslung einen suffisanten oder hochtrabenden
Ton anschlagen, welcher zu ihrer sonstigen Denk- und Ausdrucksweise durchaus
nicht stimmt. "Und so was reist nach Italien!" ruft Frau Wilhelmine in ihrer
Entrüstung über ein albernes Pärchen ans; aber wenn an der Grenze das
Ablegen einer Prüfung verlangt würde, so hätte sie wahrscheinlich in Ala Herrn
Stinte wie ihres Mannes Cigarren durchschmuggeln müssen. Mitunter meint
man einen neuen Nicolai zu hören; freilich war der alte Nicolai, der vor einem
halben Jahrhundert so viel Ausbrüche des Zornes und des Spottes gegen sich
hervorgerufen hat, ein Philister, welcher ehrlich an seine Mission glaubte, der
durch Goethe und Konsorten betrogenen Welt die Augen über Italien zu öffnen;
während sein Nachfolger trotz der Miene der Überlegenheit stets darauf bedacht
ist, sein normales Verständnis für die Schönheit des Landes und für die Kunst¬
denkmäler leuchten zu lassen. Nur auf die "Kunftbrahminen" ist er ganz schlecht
zu sprechen, so schlecht, als ob diese Gilde sich verschworen hätte, Herrn Stinte
mit List oder Gewalt anzuwerben, oder -- als ob er sich nicht nur damit
beschäftigte, Papier, sondern auch damit, Leinwand zu färben. Die Zeit ist



^) Von verschiednen Seiten wird versichert, daß das Buch, dessen Fortsetzung das hier
erwähnte bildet, vor diesem in jeder Beziehung den Vorzug verdiene.
Populäre Schriftsteller.

jeher mit der Verehrung kleinerer Gemeinden begnügen müssen. Ein Humorist
und zugleich populärer Schriftsteller ist Fritz Reuter, allein solcher Erfolge hat
er sich nicht zu rühmen, nicht einmal nach seinem Tode. Julius Stinte muß
also wohl noch besondre Qualitäten besitzen, welche ihm die allgemeine Gunst
eingetragen haben. Gewissenhaft hielt ich aus, bis Frau Buchholz wieder in
Berlin eingetroffen war, und als ich mir dann die Wechselnden Eindrücke während
der Lektüre wieder vergegenwärtigte, kam ich zu einem eigentümlichen Resultat.
Sollte der warme patriotische Ton, welcher hie und da anklingt, viele Tausende
bewogen haben, drei Mark für ein Buch auszugeben — in Deutschland, dem
klassische» Lande der Leihbibliotheken? Das wäre sehr schön, ist aber schwer zu
glauben. Einzelne von den Reiseabenteuern sind in der That komisch, schwimmen
aber als spärliche Fettaugen auf einer zu laugen und dünnen Brühe/") Da
muß doch wohl eben diese Brühe den Geschmack des große» Lesepublikums
getroffen haben! Und damit würde sich bestätigen, daß das Banate, mit Prä-
tention vorgetragen, des Beifalls immer sicher sein darf. Der ostensible Zweck
des Buches ist, jene Sorte von Reisenden zu persistiren, welche Italien be¬
suchen wie eine neue Vorstellung im Theater oder im Zirkus — weil alle
andern es thun —, und entweder genau nach Vorschrift des Bädeker bewundern
oder sich „alles ganz anders gedacht haben." Solche Landplagen werden
auch in dem Buche öfter ganz ergötzlich geschildert, solange der Verfasser sich
bescheidet, zu den hausbackenen Betrachtungen der Berliner Spießbürgerfrau
Anmerkungen zu machen. Das wird ihm jedoch bald zu umständlich, und so
läßt er die gute Dame zur Abwechslung einen suffisanten oder hochtrabenden
Ton anschlagen, welcher zu ihrer sonstigen Denk- und Ausdrucksweise durchaus
nicht stimmt. „Und so was reist nach Italien!" ruft Frau Wilhelmine in ihrer
Entrüstung über ein albernes Pärchen ans; aber wenn an der Grenze das
Ablegen einer Prüfung verlangt würde, so hätte sie wahrscheinlich in Ala Herrn
Stinte wie ihres Mannes Cigarren durchschmuggeln müssen. Mitunter meint
man einen neuen Nicolai zu hören; freilich war der alte Nicolai, der vor einem
halben Jahrhundert so viel Ausbrüche des Zornes und des Spottes gegen sich
hervorgerufen hat, ein Philister, welcher ehrlich an seine Mission glaubte, der
durch Goethe und Konsorten betrogenen Welt die Augen über Italien zu öffnen;
während sein Nachfolger trotz der Miene der Überlegenheit stets darauf bedacht
ist, sein normales Verständnis für die Schönheit des Landes und für die Kunst¬
denkmäler leuchten zu lassen. Nur auf die „Kunftbrahminen" ist er ganz schlecht
zu sprechen, so schlecht, als ob diese Gilde sich verschworen hätte, Herrn Stinte
mit List oder Gewalt anzuwerben, oder — als ob er sich nicht nur damit
beschäftigte, Papier, sondern auch damit, Leinwand zu färben. Die Zeit ist



^) Von verschiednen Seiten wird versichert, daß das Buch, dessen Fortsetzung das hier
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[0476] Populäre Schriftsteller. jeher mit der Verehrung kleinerer Gemeinden begnügen müssen. Ein Humorist und zugleich populärer Schriftsteller ist Fritz Reuter, allein solcher Erfolge hat er sich nicht zu rühmen, nicht einmal nach seinem Tode. Julius Stinte muß also wohl noch besondre Qualitäten besitzen, welche ihm die allgemeine Gunst eingetragen haben. Gewissenhaft hielt ich aus, bis Frau Buchholz wieder in Berlin eingetroffen war, und als ich mir dann die Wechselnden Eindrücke während der Lektüre wieder vergegenwärtigte, kam ich zu einem eigentümlichen Resultat. Sollte der warme patriotische Ton, welcher hie und da anklingt, viele Tausende bewogen haben, drei Mark für ein Buch auszugeben — in Deutschland, dem klassische» Lande der Leihbibliotheken? Das wäre sehr schön, ist aber schwer zu glauben. Einzelne von den Reiseabenteuern sind in der That komisch, schwimmen aber als spärliche Fettaugen auf einer zu laugen und dünnen Brühe/") Da muß doch wohl eben diese Brühe den Geschmack des große» Lesepublikums getroffen haben! Und damit würde sich bestätigen, daß das Banate, mit Prä- tention vorgetragen, des Beifalls immer sicher sein darf. Der ostensible Zweck des Buches ist, jene Sorte von Reisenden zu persistiren, welche Italien be¬ suchen wie eine neue Vorstellung im Theater oder im Zirkus — weil alle andern es thun —, und entweder genau nach Vorschrift des Bädeker bewundern oder sich „alles ganz anders gedacht haben." Solche Landplagen werden auch in dem Buche öfter ganz ergötzlich geschildert, solange der Verfasser sich bescheidet, zu den hausbackenen Betrachtungen der Berliner Spießbürgerfrau Anmerkungen zu machen. Das wird ihm jedoch bald zu umständlich, und so läßt er die gute Dame zur Abwechslung einen suffisanten oder hochtrabenden Ton anschlagen, welcher zu ihrer sonstigen Denk- und Ausdrucksweise durchaus nicht stimmt. „Und so was reist nach Italien!" ruft Frau Wilhelmine in ihrer Entrüstung über ein albernes Pärchen ans; aber wenn an der Grenze das Ablegen einer Prüfung verlangt würde, so hätte sie wahrscheinlich in Ala Herrn Stinte wie ihres Mannes Cigarren durchschmuggeln müssen. Mitunter meint man einen neuen Nicolai zu hören; freilich war der alte Nicolai, der vor einem halben Jahrhundert so viel Ausbrüche des Zornes und des Spottes gegen sich hervorgerufen hat, ein Philister, welcher ehrlich an seine Mission glaubte, der durch Goethe und Konsorten betrogenen Welt die Augen über Italien zu öffnen; während sein Nachfolger trotz der Miene der Überlegenheit stets darauf bedacht ist, sein normales Verständnis für die Schönheit des Landes und für die Kunst¬ denkmäler leuchten zu lassen. Nur auf die „Kunftbrahminen" ist er ganz schlecht zu sprechen, so schlecht, als ob diese Gilde sich verschworen hätte, Herrn Stinte mit List oder Gewalt anzuwerben, oder — als ob er sich nicht nur damit beschäftigte, Papier, sondern auch damit, Leinwand zu färben. Die Zeit ist ^) Von verschiednen Seiten wird versichert, daß das Buch, dessen Fortsetzung das hier erwähnte bildet, vor diesem in jeder Beziehung den Vorzug verdiene.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/476>, abgerufen am 24.11.2024.