Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Das ist ein Buch, welches nicht nur jedem Politiker in Österreich, sondern
jedem, der an der Gestaltung der dortigen Verhältnisse Anteil nimmt, zur Lek¬
türe aufs dringendste empfohlen werden muß. Alle Sonderinteressen, welche
gegenwärtig eine Einigung unmöglich zu macheu scheinen, gelangten auch in
jenem Ausschusse schon zum Worte; hart platzten die Gegensätze aufeinander,
eine Versöhnung derselben schien auch damals unerreichbar zu sein, die illo in
mu'los war nahe. Aber die von der Reaktion drohende Gefahr und der
idealistische Hauch, welcher trotz allem die Bewegung von 1848 durchwehte,
führte die feindlichen Elemente doch wieder zusammen, und durch allseitige
Kompromisse kam ein Werk zustande, welches in dritter Lesung einstimmig an¬
genommen wurde.

Um sich das Gewicht dieser Thatsache zu vergegenwärtigen, muß man
wissen, welche bekannten Namen als Autoren dieses Verfassungsentwurfes er¬
scheinen. Aus Niederösterreich Fischhof (der nun seit einem Vierteljahrhundert
über Versvchnungsprogrammen brütende frühere Präsident des revolutionären
Sicherheitsansschusses und Ministerialrat, ursprünglich Arzt), Goldmark (als
Anstifter der Ermordung des Grafen Latour in ooirtnirravisi" zum Tode ver¬
urteilt, nach Revision seines Prozesses freigesprochen), Brestcl (Professor der
Mathematik, nachmals Sekretär der Kreditanstalt in Wien und 1868 bis 1870
Finanzminister); aus Salzburg Lasser (1860 bis 1865 und 1871 bis 1870
Minister des Innern); aus Galizien Smolka (damals Präsident des Reichs¬
tages, gegenwärtig Präsident des Abgeordnetenhauses), Zicmialkowski (jetzt
Minister für Galizien); aus Böhmen außer Pinkas Palaeky und Rieger, der
frühere und der jetzige Führer der Tschechen; aus Schlesien Hein (im verstärkte"
Reichsrate der Sprecher der kleinen zentralistischen Fraktion, erster Präsident
des Schmerlingschen Neichsrates, dann Justizminister); aus Steiermark Mitlvsich
(der berühmte Slawist, Professor an der Universität Wien); aus Tirol
Pfretzschner (welcher im 1861er Reichsrat eine gewisse Rolle spielte); neben diesen
ein ruthenischer Bischof, Slawen und Italiener aus Krain, dem Küstenlande,
Südtirol, Dalmatien. Wie wir sehen, waren nicht nur alle "Kronländer,"
sondern auch alle Nationalitäten vertreten, und alle Vertreter wurden endlich
einig! Welche Fortschritte haben seitdem die zentrifugalen Tendenzen gemacht,
welche auf dem Wiener Parlamentshause durch acht uach verschiednen Richtungen
davonstürmende Quadrigen so schön Versinnlicht sind!

Also die Arbeit, wenn auch nicht der ganzen zur Verfasfuugsgebung be¬
rufenen Versammlung, doch eines Ausschusses derselben, welcher, wie wir gesehen
haben, so zusammengesetzt war, daß das Plenum schwerlich das so mühsam
zustande gebrachte Werk in wesentlichen Punkten verändert haben würde, eine
Verfassung, welche nicht, wie die oktroirten von 1849 und 1861, mit auf die
ungarischen und reinitalienischen Besitzungen berechnet war -- auf sie zurückzu¬
greifen sollte jetzt mindestens nicht mehr die Erinnerung an die Zeit ihrer Ent-


Das ist ein Buch, welches nicht nur jedem Politiker in Österreich, sondern
jedem, der an der Gestaltung der dortigen Verhältnisse Anteil nimmt, zur Lek¬
türe aufs dringendste empfohlen werden muß. Alle Sonderinteressen, welche
gegenwärtig eine Einigung unmöglich zu macheu scheinen, gelangten auch in
jenem Ausschusse schon zum Worte; hart platzten die Gegensätze aufeinander,
eine Versöhnung derselben schien auch damals unerreichbar zu sein, die illo in
mu'los war nahe. Aber die von der Reaktion drohende Gefahr und der
idealistische Hauch, welcher trotz allem die Bewegung von 1848 durchwehte,
führte die feindlichen Elemente doch wieder zusammen, und durch allseitige
Kompromisse kam ein Werk zustande, welches in dritter Lesung einstimmig an¬
genommen wurde.

Um sich das Gewicht dieser Thatsache zu vergegenwärtigen, muß man
wissen, welche bekannten Namen als Autoren dieses Verfassungsentwurfes er¬
scheinen. Aus Niederösterreich Fischhof (der nun seit einem Vierteljahrhundert
über Versvchnungsprogrammen brütende frühere Präsident des revolutionären
Sicherheitsansschusses und Ministerialrat, ursprünglich Arzt), Goldmark (als
Anstifter der Ermordung des Grafen Latour in ooirtnirravisi» zum Tode ver¬
urteilt, nach Revision seines Prozesses freigesprochen), Brestcl (Professor der
Mathematik, nachmals Sekretär der Kreditanstalt in Wien und 1868 bis 1870
Finanzminister); aus Salzburg Lasser (1860 bis 1865 und 1871 bis 1870
Minister des Innern); aus Galizien Smolka (damals Präsident des Reichs¬
tages, gegenwärtig Präsident des Abgeordnetenhauses), Zicmialkowski (jetzt
Minister für Galizien); aus Böhmen außer Pinkas Palaeky und Rieger, der
frühere und der jetzige Führer der Tschechen; aus Schlesien Hein (im verstärkte»
Reichsrate der Sprecher der kleinen zentralistischen Fraktion, erster Präsident
des Schmerlingschen Neichsrates, dann Justizminister); aus Steiermark Mitlvsich
(der berühmte Slawist, Professor an der Universität Wien); aus Tirol
Pfretzschner (welcher im 1861er Reichsrat eine gewisse Rolle spielte); neben diesen
ein ruthenischer Bischof, Slawen und Italiener aus Krain, dem Küstenlande,
Südtirol, Dalmatien. Wie wir sehen, waren nicht nur alle „Kronländer,"
sondern auch alle Nationalitäten vertreten, und alle Vertreter wurden endlich
einig! Welche Fortschritte haben seitdem die zentrifugalen Tendenzen gemacht,
welche auf dem Wiener Parlamentshause durch acht uach verschiednen Richtungen
davonstürmende Quadrigen so schön Versinnlicht sind!

Also die Arbeit, wenn auch nicht der ganzen zur Verfasfuugsgebung be¬
rufenen Versammlung, doch eines Ausschusses derselben, welcher, wie wir gesehen
haben, so zusammengesetzt war, daß das Plenum schwerlich das so mühsam
zustande gebrachte Werk in wesentlichen Punkten verändert haben würde, eine
Verfassung, welche nicht, wie die oktroirten von 1849 und 1861, mit auf die
ungarischen und reinitalienischen Besitzungen berechnet war — auf sie zurückzu¬
greifen sollte jetzt mindestens nicht mehr die Erinnerung an die Zeit ihrer Ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196544"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1758"> Das ist ein Buch, welches nicht nur jedem Politiker in Österreich, sondern<lb/>
jedem, der an der Gestaltung der dortigen Verhältnisse Anteil nimmt, zur Lek¬<lb/>
türe aufs dringendste empfohlen werden muß. Alle Sonderinteressen, welche<lb/>
gegenwärtig eine Einigung unmöglich zu macheu scheinen, gelangten auch in<lb/>
jenem Ausschusse schon zum Worte; hart platzten die Gegensätze aufeinander,<lb/>
eine Versöhnung derselben schien auch damals unerreichbar zu sein, die illo in<lb/>
mu'los war nahe. Aber die von der Reaktion drohende Gefahr und der<lb/>
idealistische Hauch, welcher trotz allem die Bewegung von 1848 durchwehte,<lb/>
führte die feindlichen Elemente doch wieder zusammen, und durch allseitige<lb/>
Kompromisse kam ein Werk zustande, welches in dritter Lesung einstimmig an¬<lb/>
genommen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1759"> Um sich das Gewicht dieser Thatsache zu vergegenwärtigen, muß man<lb/>
wissen, welche bekannten Namen als Autoren dieses Verfassungsentwurfes er¬<lb/>
scheinen. Aus Niederösterreich Fischhof (der nun seit einem Vierteljahrhundert<lb/>
über Versvchnungsprogrammen brütende frühere Präsident des revolutionären<lb/>
Sicherheitsansschusses und Ministerialrat, ursprünglich Arzt), Goldmark (als<lb/>
Anstifter der Ermordung des Grafen Latour in ooirtnirravisi» zum Tode ver¬<lb/>
urteilt, nach Revision seines Prozesses freigesprochen), Brestcl (Professor der<lb/>
Mathematik, nachmals Sekretär der Kreditanstalt in Wien und 1868 bis 1870<lb/>
Finanzminister); aus Salzburg Lasser (1860 bis 1865 und 1871 bis 1870<lb/>
Minister des Innern); aus Galizien Smolka (damals Präsident des Reichs¬<lb/>
tages, gegenwärtig Präsident des Abgeordnetenhauses), Zicmialkowski (jetzt<lb/>
Minister für Galizien); aus Böhmen außer Pinkas Palaeky und Rieger, der<lb/>
frühere und der jetzige Führer der Tschechen; aus Schlesien Hein (im verstärkte»<lb/>
Reichsrate der Sprecher der kleinen zentralistischen Fraktion, erster Präsident<lb/>
des Schmerlingschen Neichsrates, dann Justizminister); aus Steiermark Mitlvsich<lb/>
(der berühmte Slawist, Professor an der Universität Wien); aus Tirol<lb/>
Pfretzschner (welcher im 1861er Reichsrat eine gewisse Rolle spielte); neben diesen<lb/>
ein ruthenischer Bischof, Slawen und Italiener aus Krain, dem Küstenlande,<lb/>
Südtirol, Dalmatien. Wie wir sehen, waren nicht nur alle &#x201E;Kronländer,"<lb/>
sondern auch alle Nationalitäten vertreten, und alle Vertreter wurden endlich<lb/>
einig! Welche Fortschritte haben seitdem die zentrifugalen Tendenzen gemacht,<lb/>
welche auf dem Wiener Parlamentshause durch acht uach verschiednen Richtungen<lb/>
davonstürmende Quadrigen so schön Versinnlicht sind!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1760" next="#ID_1761"> Also die Arbeit, wenn auch nicht der ganzen zur Verfasfuugsgebung be¬<lb/>
rufenen Versammlung, doch eines Ausschusses derselben, welcher, wie wir gesehen<lb/>
haben, so zusammengesetzt war, daß das Plenum schwerlich das so mühsam<lb/>
zustande gebrachte Werk in wesentlichen Punkten verändert haben würde, eine<lb/>
Verfassung, welche nicht, wie die oktroirten von 1849 und 1861, mit auf die<lb/>
ungarischen und reinitalienischen Besitzungen berechnet war &#x2014; auf sie zurückzu¬<lb/>
greifen sollte jetzt mindestens nicht mehr die Erinnerung an die Zeit ihrer Ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] Das ist ein Buch, welches nicht nur jedem Politiker in Österreich, sondern jedem, der an der Gestaltung der dortigen Verhältnisse Anteil nimmt, zur Lek¬ türe aufs dringendste empfohlen werden muß. Alle Sonderinteressen, welche gegenwärtig eine Einigung unmöglich zu macheu scheinen, gelangten auch in jenem Ausschusse schon zum Worte; hart platzten die Gegensätze aufeinander, eine Versöhnung derselben schien auch damals unerreichbar zu sein, die illo in mu'los war nahe. Aber die von der Reaktion drohende Gefahr und der idealistische Hauch, welcher trotz allem die Bewegung von 1848 durchwehte, führte die feindlichen Elemente doch wieder zusammen, und durch allseitige Kompromisse kam ein Werk zustande, welches in dritter Lesung einstimmig an¬ genommen wurde. Um sich das Gewicht dieser Thatsache zu vergegenwärtigen, muß man wissen, welche bekannten Namen als Autoren dieses Verfassungsentwurfes er¬ scheinen. Aus Niederösterreich Fischhof (der nun seit einem Vierteljahrhundert über Versvchnungsprogrammen brütende frühere Präsident des revolutionären Sicherheitsansschusses und Ministerialrat, ursprünglich Arzt), Goldmark (als Anstifter der Ermordung des Grafen Latour in ooirtnirravisi» zum Tode ver¬ urteilt, nach Revision seines Prozesses freigesprochen), Brestcl (Professor der Mathematik, nachmals Sekretär der Kreditanstalt in Wien und 1868 bis 1870 Finanzminister); aus Salzburg Lasser (1860 bis 1865 und 1871 bis 1870 Minister des Innern); aus Galizien Smolka (damals Präsident des Reichs¬ tages, gegenwärtig Präsident des Abgeordnetenhauses), Zicmialkowski (jetzt Minister für Galizien); aus Böhmen außer Pinkas Palaeky und Rieger, der frühere und der jetzige Führer der Tschechen; aus Schlesien Hein (im verstärkte» Reichsrate der Sprecher der kleinen zentralistischen Fraktion, erster Präsident des Schmerlingschen Neichsrates, dann Justizminister); aus Steiermark Mitlvsich (der berühmte Slawist, Professor an der Universität Wien); aus Tirol Pfretzschner (welcher im 1861er Reichsrat eine gewisse Rolle spielte); neben diesen ein ruthenischer Bischof, Slawen und Italiener aus Krain, dem Küstenlande, Südtirol, Dalmatien. Wie wir sehen, waren nicht nur alle „Kronländer," sondern auch alle Nationalitäten vertreten, und alle Vertreter wurden endlich einig! Welche Fortschritte haben seitdem die zentrifugalen Tendenzen gemacht, welche auf dem Wiener Parlamentshause durch acht uach verschiednen Richtungen davonstürmende Quadrigen so schön Versinnlicht sind! Also die Arbeit, wenn auch nicht der ganzen zur Verfasfuugsgebung be¬ rufenen Versammlung, doch eines Ausschusses derselben, welcher, wie wir gesehen haben, so zusammengesetzt war, daß das Plenum schwerlich das so mühsam zustande gebrachte Werk in wesentlichen Punkten verändert haben würde, eine Verfassung, welche nicht, wie die oktroirten von 1849 und 1861, mit auf die ungarischen und reinitalienischen Besitzungen berechnet war — auf sie zurückzu¬ greifen sollte jetzt mindestens nicht mehr die Erinnerung an die Zeit ihrer Ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/444>, abgerufen am 24.11.2024.