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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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minder in sie. Doch wie kann der Knecht die Tochter des Herrn freien? Beide
Liebenden empfinden die Kluft, welche sie trennt, und beide sind -- was sehr
charakteristisch ist -- zu ehrlich, um mit der Leidenschaft zu spielen und hinter
der Eltern Rücken einen Verkehr zu pflegen. Sie weichen einander ans, ja
Luise verfolgt den Knecht geradezu mit Haß, daß es den Eltern auffällt, Sie
will dadurch seine Entlassung bewirken, er selbst bittet darum, doch die blinden
Alten wollen den treuen und fleißigen Wilhelm nicht entbehren und zwingen
ihn zum Bleiben, die Tochter aber zur Höflichkeit. Wie sich nun die beiden
Liebenden nach solchem Widerstande gegen die Leidenschaft einander nähern und
für immer verbinden, ist überaus schön und anziehend beschrieben. Es sind
durchaus kernige, das Herz erfreuende gerade und starke Naturen, bieder, ehrlich,
liebenswert, und wenn auch manches Jdealisirte mit unter läuft, so ist es doch
von der Art, wie es der Deutsche gern hört. Wie schön sind die Szenen, wo
der Vater Luisens ihren Verkehr mit seinem Grvßlnecht entdeckt, gegen diesen
ganz wütend losfährt und durch die schlichte Entgegnung entwaffnet wird: "Mi
geschehe um Recht; wenn ick an de Stelle Stürme, wo Sie Stahr, un mi wer
det so Passirt, denn wärr der Jndringling ok rntwesen ut niuea Hufe un min
Segenswunsch nuche ein ok woll nich folgen! Aber slechter wie ick bin, nuche
ick doch nich ansetzn werrn, un det ick in dise Sache leichtsinnig oder gar met
Verelnung handelt hev, det derweil Ji beid nich van mi denken!" Und dann
kommt das böse Ereignis, daß Wilhelm, aus Schepelmanns Dienst entlassen,
bei dem Brande seiner Scheune als Brandleger verdächtigt und eingezogen
wird, und bei der Gerichtsverhandlung nur durch das Zeugnis seines frühern
Herrn und Luisens, die sich selbst damit bloßstellt, freikommt. Das alles ist
sehr hübsch erzählt, nur daß zuweilen die Dialektik des Dichters über die
bäuerische Art hinausgeht.

Zu dergleichen Bemerkungen wird man sich nie durch die zweite der oben-
genannten Erzählungen, "Harten Lema" von Heinrich Burmcster, veranlaßt
fühlen, und dies mit noch andern vorzüglichen Eigenschaften verleiht ihr einen
höhern poetischen Wert als den "Dree Wiehnachten." Burmester ist vielleicht
nicht so schriftstellerisch gewandt wie Leming, aber an Bildung steht er ihm
nicht nach, und was er voraus hat, ist Ursprünglichkeit, Unmittelbarkeit, eine
vollkommene Kongruenz zwischen Sprache und Inhalt, eine von volkstümlichen
Vorstellungen wahrhaft gesättigte Ausdrucksweise. Ein ganz entgegengesetztes
Verhältnis hat er zum Bauerntum. Ju nichts weniger als idealem Lichte und
rückwärts strebender rousseauischer Sehnsucht schaut es der einstige Dorf¬
schulmeister an, der Burmester war, bevor er, wie Gaedertz in der Einteilung
erzählt, nach Berlin gezogen ist. Eher ist Bnrmestcrs Satire der länd¬
lichen Zustände seiner Heimat zu bitter für eine künstlerische Arbeit, als
daß sie dem Städter als das Ideal menschlicher Lebensart hingestellt würde.
Als strenger Realist und zugleich als ein Mann, der durch die Darstellung


minder in sie. Doch wie kann der Knecht die Tochter des Herrn freien? Beide
Liebenden empfinden die Kluft, welche sie trennt, und beide sind — was sehr
charakteristisch ist — zu ehrlich, um mit der Leidenschaft zu spielen und hinter
der Eltern Rücken einen Verkehr zu pflegen. Sie weichen einander ans, ja
Luise verfolgt den Knecht geradezu mit Haß, daß es den Eltern auffällt, Sie
will dadurch seine Entlassung bewirken, er selbst bittet darum, doch die blinden
Alten wollen den treuen und fleißigen Wilhelm nicht entbehren und zwingen
ihn zum Bleiben, die Tochter aber zur Höflichkeit. Wie sich nun die beiden
Liebenden nach solchem Widerstande gegen die Leidenschaft einander nähern und
für immer verbinden, ist überaus schön und anziehend beschrieben. Es sind
durchaus kernige, das Herz erfreuende gerade und starke Naturen, bieder, ehrlich,
liebenswert, und wenn auch manches Jdealisirte mit unter läuft, so ist es doch
von der Art, wie es der Deutsche gern hört. Wie schön sind die Szenen, wo
der Vater Luisens ihren Verkehr mit seinem Grvßlnecht entdeckt, gegen diesen
ganz wütend losfährt und durch die schlichte Entgegnung entwaffnet wird: „Mi
geschehe um Recht; wenn ick an de Stelle Stürme, wo Sie Stahr, un mi wer
det so Passirt, denn wärr der Jndringling ok rntwesen ut niuea Hufe un min
Segenswunsch nuche ein ok woll nich folgen! Aber slechter wie ick bin, nuche
ick doch nich ansetzn werrn, un det ick in dise Sache leichtsinnig oder gar met
Verelnung handelt hev, det derweil Ji beid nich van mi denken!" Und dann
kommt das böse Ereignis, daß Wilhelm, aus Schepelmanns Dienst entlassen,
bei dem Brande seiner Scheune als Brandleger verdächtigt und eingezogen
wird, und bei der Gerichtsverhandlung nur durch das Zeugnis seines frühern
Herrn und Luisens, die sich selbst damit bloßstellt, freikommt. Das alles ist
sehr hübsch erzählt, nur daß zuweilen die Dialektik des Dichters über die
bäuerische Art hinausgeht.

Zu dergleichen Bemerkungen wird man sich nie durch die zweite der oben-
genannten Erzählungen, „Harten Lema" von Heinrich Burmcster, veranlaßt
fühlen, und dies mit noch andern vorzüglichen Eigenschaften verleiht ihr einen
höhern poetischen Wert als den „Dree Wiehnachten." Burmester ist vielleicht
nicht so schriftstellerisch gewandt wie Leming, aber an Bildung steht er ihm
nicht nach, und was er voraus hat, ist Ursprünglichkeit, Unmittelbarkeit, eine
vollkommene Kongruenz zwischen Sprache und Inhalt, eine von volkstümlichen
Vorstellungen wahrhaft gesättigte Ausdrucksweise. Ein ganz entgegengesetztes
Verhältnis hat er zum Bauerntum. Ju nichts weniger als idealem Lichte und
rückwärts strebender rousseauischer Sehnsucht schaut es der einstige Dorf¬
schulmeister an, der Burmester war, bevor er, wie Gaedertz in der Einteilung
erzählt, nach Berlin gezogen ist. Eher ist Bnrmestcrs Satire der länd¬
lichen Zustände seiner Heimat zu bitter für eine künstlerische Arbeit, als
daß sie dem Städter als das Ideal menschlicher Lebensart hingestellt würde.
Als strenger Realist und zugleich als ein Mann, der durch die Darstellung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/43>, abgerufen am 01.09.2024.