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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

wie mich Maria, die Schwester des kleinen Lodovico, durch päpstliche Vollmacht
von Vincenzo geschieden wurden, ohne daß die ihm zugemessene Lebensfrist
-- er starb schon im Alter von dreiunddreißig Jahren -- zum Schließen eines
dritten Ehelmndes ausgereicht hätte.

Aber wie viele hatte überhaupt die Sense des Schmieders Tod hinweg¬
gemäht! Mit Vincenzo war die regierende Linie nnsgestorben. Also mußten
die blutigen Würfel des Krieges herbei, denn wann wäre das Erlöschen eines
Herrscherstammes nicht das Signal zum Gelteudmachen von allerlei Erbfvlge-
ansprüchen gewesen, gleichviel ob mit oder ohne Recht, gleichviel ob mit oder
ohne Zustimmung der Landeskinder! Für den Herzog Karl von Revers, welcher
Maria Gonzaga, jene zweite, von Vincenzo geschiedn" Gattin geheiratet hatte,
traten Frankreich, Venedig und der Papst in die Schranken; Spanien Arm in
Arm mit Österreich wollte die Mautucmer mit dem Herzoge Karl Emanuel von
Savoyen beglücken. Eines schönes Tages -- im heißen Jnlimonat 1630 --
nahmen die Soldtruppeu Aldriugcrs und Gallas' die Stadt mit Sturm und
verleideten dann während dreier furchtbarer Plünderungstage den armen Mau-
tucmern für lange, lange Zeit das Vertrauen auf ihre Kartaunen, ihre Mörser,
ihre natürliche Wasserumgürtung, ihre Brustwehren, ihre Pallisade" und ihre
bombcufesteu Pulvertürme. Hinterdrein kamen dennoch die Diplomaten dahin
überein, daß Karl Gonzaga von Revers, eben derjenige, den der Kaiser in die
Acht erklärt und aus Mantua hiuausgeräuchert hatte, nnn doch von den
Mantnanern sich huldigen zu lassen habe, was denn auch, obschon unter trüb¬
selig heruntergekommenen Verhältnissen der herzoglichen Residenz, geschah, denn
die Kroaten Aldringers hatten vor allem an der Pracht des Palazzo Dueale
ihre Freude gehabt, und als sie endlich Mantua räumten, gab es in dem ganzen
stattlichen Gebäude keinen Stuhl, ans den sich Herzog Karl hätte setzen, kein
Bett, in welchem er hätte schlafen können, ganz zu geschweige" von dem Silber-
uud Gvldgeschirr, ohne das ein Herzog von Mantua doch schicklicherweise nicht
speisen durfte. Um seinen Verlegenheiten abzuhelfen, schlugen sich seine hohen
Verwandten ins Mittel: mit Tischgerät half Parma ans, mit allerlei Möbeln,
Betten und Teppichen Toscana.

Aber der Plünderung und den Greueln, welche diesem Austoben aller argen
Triebe der tierischen Natur des Menschen gesellt sind, folgte noch schlimmeres:
der schwarze Tod, die Pest, diesmal die wirkliche Pest. Mantua hatte vor dem
Kriege nahe an sechzigtausend Einwohner gehabt. Als die Seuche ihre Beute
endlich losließ, standen die meisten Häuser leer. Gras wuchs in den Straßen.
Ob bei einer Zcihlnng mehr als zwölf- bis dreizehntausend Seelen zusammen¬
zubringen seien, blieb zweifelhaft.

Alles das hatte das arme Mantua über sich ergehen lassen müssen. Kein
Wunder, wenn viele entmutigt waren und sich fragten, ob am Leben geblieben
zu sein nicht ein zweifelhafteres Glück sei, als im kühlen Grabe zu ruhen.


Um eine Perle.

wie mich Maria, die Schwester des kleinen Lodovico, durch päpstliche Vollmacht
von Vincenzo geschieden wurden, ohne daß die ihm zugemessene Lebensfrist
— er starb schon im Alter von dreiunddreißig Jahren — zum Schließen eines
dritten Ehelmndes ausgereicht hätte.

Aber wie viele hatte überhaupt die Sense des Schmieders Tod hinweg¬
gemäht! Mit Vincenzo war die regierende Linie nnsgestorben. Also mußten
die blutigen Würfel des Krieges herbei, denn wann wäre das Erlöschen eines
Herrscherstammes nicht das Signal zum Gelteudmachen von allerlei Erbfvlge-
ansprüchen gewesen, gleichviel ob mit oder ohne Recht, gleichviel ob mit oder
ohne Zustimmung der Landeskinder! Für den Herzog Karl von Revers, welcher
Maria Gonzaga, jene zweite, von Vincenzo geschiedn« Gattin geheiratet hatte,
traten Frankreich, Venedig und der Papst in die Schranken; Spanien Arm in
Arm mit Österreich wollte die Mautucmer mit dem Herzoge Karl Emanuel von
Savoyen beglücken. Eines schönes Tages — im heißen Jnlimonat 1630 —
nahmen die Soldtruppeu Aldriugcrs und Gallas' die Stadt mit Sturm und
verleideten dann während dreier furchtbarer Plünderungstage den armen Mau-
tucmern für lange, lange Zeit das Vertrauen auf ihre Kartaunen, ihre Mörser,
ihre natürliche Wasserumgürtung, ihre Brustwehren, ihre Pallisade» und ihre
bombcufesteu Pulvertürme. Hinterdrein kamen dennoch die Diplomaten dahin
überein, daß Karl Gonzaga von Revers, eben derjenige, den der Kaiser in die
Acht erklärt und aus Mantua hiuausgeräuchert hatte, nnn doch von den
Mantnanern sich huldigen zu lassen habe, was denn auch, obschon unter trüb¬
selig heruntergekommenen Verhältnissen der herzoglichen Residenz, geschah, denn
die Kroaten Aldringers hatten vor allem an der Pracht des Palazzo Dueale
ihre Freude gehabt, und als sie endlich Mantua räumten, gab es in dem ganzen
stattlichen Gebäude keinen Stuhl, ans den sich Herzog Karl hätte setzen, kein
Bett, in welchem er hätte schlafen können, ganz zu geschweige» von dem Silber-
uud Gvldgeschirr, ohne das ein Herzog von Mantua doch schicklicherweise nicht
speisen durfte. Um seinen Verlegenheiten abzuhelfen, schlugen sich seine hohen
Verwandten ins Mittel: mit Tischgerät half Parma ans, mit allerlei Möbeln,
Betten und Teppichen Toscana.

Aber der Plünderung und den Greueln, welche diesem Austoben aller argen
Triebe der tierischen Natur des Menschen gesellt sind, folgte noch schlimmeres:
der schwarze Tod, die Pest, diesmal die wirkliche Pest. Mantua hatte vor dem
Kriege nahe an sechzigtausend Einwohner gehabt. Als die Seuche ihre Beute
endlich losließ, standen die meisten Häuser leer. Gras wuchs in den Straßen.
Ob bei einer Zcihlnng mehr als zwölf- bis dreizehntausend Seelen zusammen¬
zubringen seien, blieb zweifelhaft.

Alles das hatte das arme Mantua über sich ergehen lassen müssen. Kein
Wunder, wenn viele entmutigt waren und sich fragten, ob am Leben geblieben
zu sein nicht ein zweifelhafteres Glück sei, als im kühlen Grabe zu ruhen.


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[0429] Um eine Perle. wie mich Maria, die Schwester des kleinen Lodovico, durch päpstliche Vollmacht von Vincenzo geschieden wurden, ohne daß die ihm zugemessene Lebensfrist — er starb schon im Alter von dreiunddreißig Jahren — zum Schließen eines dritten Ehelmndes ausgereicht hätte. Aber wie viele hatte überhaupt die Sense des Schmieders Tod hinweg¬ gemäht! Mit Vincenzo war die regierende Linie nnsgestorben. Also mußten die blutigen Würfel des Krieges herbei, denn wann wäre das Erlöschen eines Herrscherstammes nicht das Signal zum Gelteudmachen von allerlei Erbfvlge- ansprüchen gewesen, gleichviel ob mit oder ohne Recht, gleichviel ob mit oder ohne Zustimmung der Landeskinder! Für den Herzog Karl von Revers, welcher Maria Gonzaga, jene zweite, von Vincenzo geschiedn« Gattin geheiratet hatte, traten Frankreich, Venedig und der Papst in die Schranken; Spanien Arm in Arm mit Österreich wollte die Mautucmer mit dem Herzoge Karl Emanuel von Savoyen beglücken. Eines schönes Tages — im heißen Jnlimonat 1630 — nahmen die Soldtruppeu Aldriugcrs und Gallas' die Stadt mit Sturm und verleideten dann während dreier furchtbarer Plünderungstage den armen Mau- tucmern für lange, lange Zeit das Vertrauen auf ihre Kartaunen, ihre Mörser, ihre natürliche Wasserumgürtung, ihre Brustwehren, ihre Pallisade» und ihre bombcufesteu Pulvertürme. Hinterdrein kamen dennoch die Diplomaten dahin überein, daß Karl Gonzaga von Revers, eben derjenige, den der Kaiser in die Acht erklärt und aus Mantua hiuausgeräuchert hatte, nnn doch von den Mantnanern sich huldigen zu lassen habe, was denn auch, obschon unter trüb¬ selig heruntergekommenen Verhältnissen der herzoglichen Residenz, geschah, denn die Kroaten Aldringers hatten vor allem an der Pracht des Palazzo Dueale ihre Freude gehabt, und als sie endlich Mantua räumten, gab es in dem ganzen stattlichen Gebäude keinen Stuhl, ans den sich Herzog Karl hätte setzen, kein Bett, in welchem er hätte schlafen können, ganz zu geschweige» von dem Silber- uud Gvldgeschirr, ohne das ein Herzog von Mantua doch schicklicherweise nicht speisen durfte. Um seinen Verlegenheiten abzuhelfen, schlugen sich seine hohen Verwandten ins Mittel: mit Tischgerät half Parma ans, mit allerlei Möbeln, Betten und Teppichen Toscana. Aber der Plünderung und den Greueln, welche diesem Austoben aller argen Triebe der tierischen Natur des Menschen gesellt sind, folgte noch schlimmeres: der schwarze Tod, die Pest, diesmal die wirkliche Pest. Mantua hatte vor dem Kriege nahe an sechzigtausend Einwohner gehabt. Als die Seuche ihre Beute endlich losließ, standen die meisten Häuser leer. Gras wuchs in den Straßen. Ob bei einer Zcihlnng mehr als zwölf- bis dreizehntausend Seelen zusammen¬ zubringen seien, blieb zweifelhaft. Alles das hatte das arme Mantua über sich ergehen lassen müssen. Kein Wunder, wenn viele entmutigt waren und sich fragten, ob am Leben geblieben zu sein nicht ein zweifelhafteres Glück sei, als im kühlen Grabe zu ruhen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/429>, abgerufen am 22.11.2024.