Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Um eine Perle.

War: liebe ich nicht von ganzem Herzen? wurde ich nicht von ganzem Herzen
geliebt?

Sie wischte die Thränen ans dem Ange und richtete sich ans, denn die
Züge des Greises hatten einen so milden Ausdruck angenommen, daß es sie
fast erschreckte, gewöhnt wie sie bis heute gewesen war, vor seinem strengen
Blick die Augen zu senken.

Langsam erhob er sich aus seinem Sessel und winkte sie heran.

Auf ihre Stirne drückte er einen langen Kuß.

Dann legte er seinen Arm in den ihren, blickte nieder, als sammle er sich
zu einem großen Entschlüsse und sprach: Führe mich an seine Ruhestätte.




Sechsundvierzigstes Aavitel.

Viel Mineivwasscr war seitdem in den Po geflossen, viele Sommer hatten
das Pflaster des Largo ti Mezzo durchglüht, viele Winter den Schildwachen
auf der Zitadelle fuchswilde Flüche über die schneidende Traniontvna entlockt,
die von den schneebedeckten Trientiner Alpen eisig herüberblies.

In dem Palazzo Ducale hatten die zwei letzten Mantuauer Gvnzagas, der
eine nach vierzehn-, der andre nach einjährigen Regiment, das Zeitliche gesegnet,
Herzog Fernando und sein Bruder und Nachfolger Herzog Vincenzo der Zweite.
Beider Loos war kein beneidenswertes gewesen. Fernando hatte seine Bewerbungen
um Camilla, die schöne Tochter des Grafen Ardizziuo, zwar im dritten Jahre
nach seinen Regierungsantritt mit Erfolg gekrönt gesehen, und als sie ihm
einen Sohn gebar, hatte er ans freudigem Herzen, indem er ans die Sitte
des i>3Mr la lien-g., des Blumenschenlens am Tage der heiligen Barbara, an¬
spielte, nach Ferrara geschrieben, ihm sei zur Messe die schönste Hyazinthe ge¬
schenkt worden; aber obschon Camilla im Besitze eines schriftlichen Ehegelöbnisses
des Herzogs war und ihr Sohn nach Mautnaner Herkommen dadurch als recht¬
mäßiger Erbe galt, wußte Fernandos ferraresische Tante den schwachen Herzog
doch zu dem Versuche, sich von Camilla loszumachen, zu bestimmen, und als
diese sich der Trennung widersetzte, wurde ihr Kind so augenfällig mit dein
Tode bedroht -- nachträglich ist es in der That vergiftet worden --, daß sie
endlich mit brechendem Herzen im Kloster Lorxus Domini zu Ferrara sich dem
Schleier bequemte. Mit der schon erwähnten Berufung der Jesuiten an die
neue Hochschule von Mantua schloß Herzog Fernandos Leben und Regiment
trübselig ab, ohne daß seine der Opferung Camillas gefvlgte ebenbürtigere Ehe
mit Catarina von Medici seinen Wünschen und den Wünschen seines Volkes
Erfüllung gebracht hätte. In gleicher Weise dem Glauben an jene alte Prophe¬
zeiung Recht gebend, verliefen beide kurze Ehen Viuceuzos des Zweiten, weshalb
beide Gattinnen, sowohl Jsabella Gonzaga, die Witwe des Fürsten Ferrante,


Um eine Perle.

War: liebe ich nicht von ganzem Herzen? wurde ich nicht von ganzem Herzen
geliebt?

Sie wischte die Thränen ans dem Ange und richtete sich ans, denn die
Züge des Greises hatten einen so milden Ausdruck angenommen, daß es sie
fast erschreckte, gewöhnt wie sie bis heute gewesen war, vor seinem strengen
Blick die Augen zu senken.

Langsam erhob er sich aus seinem Sessel und winkte sie heran.

Auf ihre Stirne drückte er einen langen Kuß.

Dann legte er seinen Arm in den ihren, blickte nieder, als sammle er sich
zu einem großen Entschlüsse und sprach: Führe mich an seine Ruhestätte.




Sechsundvierzigstes Aavitel.

Viel Mineivwasscr war seitdem in den Po geflossen, viele Sommer hatten
das Pflaster des Largo ti Mezzo durchglüht, viele Winter den Schildwachen
auf der Zitadelle fuchswilde Flüche über die schneidende Traniontvna entlockt,
die von den schneebedeckten Trientiner Alpen eisig herüberblies.

In dem Palazzo Ducale hatten die zwei letzten Mantuauer Gvnzagas, der
eine nach vierzehn-, der andre nach einjährigen Regiment, das Zeitliche gesegnet,
Herzog Fernando und sein Bruder und Nachfolger Herzog Vincenzo der Zweite.
Beider Loos war kein beneidenswertes gewesen. Fernando hatte seine Bewerbungen
um Camilla, die schöne Tochter des Grafen Ardizziuo, zwar im dritten Jahre
nach seinen Regierungsantritt mit Erfolg gekrönt gesehen, und als sie ihm
einen Sohn gebar, hatte er ans freudigem Herzen, indem er ans die Sitte
des i>3Mr la lien-g., des Blumenschenlens am Tage der heiligen Barbara, an¬
spielte, nach Ferrara geschrieben, ihm sei zur Messe die schönste Hyazinthe ge¬
schenkt worden; aber obschon Camilla im Besitze eines schriftlichen Ehegelöbnisses
des Herzogs war und ihr Sohn nach Mautnaner Herkommen dadurch als recht¬
mäßiger Erbe galt, wußte Fernandos ferraresische Tante den schwachen Herzog
doch zu dem Versuche, sich von Camilla loszumachen, zu bestimmen, und als
diese sich der Trennung widersetzte, wurde ihr Kind so augenfällig mit dein
Tode bedroht — nachträglich ist es in der That vergiftet worden —, daß sie
endlich mit brechendem Herzen im Kloster Lorxus Domini zu Ferrara sich dem
Schleier bequemte. Mit der schon erwähnten Berufung der Jesuiten an die
neue Hochschule von Mantua schloß Herzog Fernandos Leben und Regiment
trübselig ab, ohne daß seine der Opferung Camillas gefvlgte ebenbürtigere Ehe
mit Catarina von Medici seinen Wünschen und den Wünschen seines Volkes
Erfüllung gebracht hätte. In gleicher Weise dem Glauben an jene alte Prophe¬
zeiung Recht gebend, verliefen beide kurze Ehen Viuceuzos des Zweiten, weshalb
beide Gattinnen, sowohl Jsabella Gonzaga, die Witwe des Fürsten Ferrante,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196528"/>
          <fw type="header" place="top"> Um eine Perle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1700" prev="#ID_1699"> War: liebe ich nicht von ganzem Herzen? wurde ich nicht von ganzem Herzen<lb/>
geliebt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1701"> Sie wischte die Thränen ans dem Ange und richtete sich ans, denn die<lb/>
Züge des Greises hatten einen so milden Ausdruck angenommen, daß es sie<lb/>
fast erschreckte, gewöhnt wie sie bis heute gewesen war, vor seinem strengen<lb/>
Blick die Augen zu senken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1702"> Langsam erhob er sich aus seinem Sessel und winkte sie heran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1703"> Auf ihre Stirne drückte er einen langen Kuß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1704"> Dann legte er seinen Arm in den ihren, blickte nieder, als sammle er sich<lb/>
zu einem großen Entschlüsse und sprach: Führe mich an seine Ruhestätte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Sechsundvierzigstes Aavitel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1705"> Viel Mineivwasscr war seitdem in den Po geflossen, viele Sommer hatten<lb/>
das Pflaster des Largo ti Mezzo durchglüht, viele Winter den Schildwachen<lb/>
auf der Zitadelle fuchswilde Flüche über die schneidende Traniontvna entlockt,<lb/>
die von den schneebedeckten Trientiner Alpen eisig herüberblies.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1706" next="#ID_1707"> In dem Palazzo Ducale hatten die zwei letzten Mantuauer Gvnzagas, der<lb/>
eine nach vierzehn-, der andre nach einjährigen Regiment, das Zeitliche gesegnet,<lb/>
Herzog Fernando und sein Bruder und Nachfolger Herzog Vincenzo der Zweite.<lb/>
Beider Loos war kein beneidenswertes gewesen. Fernando hatte seine Bewerbungen<lb/>
um Camilla, die schöne Tochter des Grafen Ardizziuo, zwar im dritten Jahre<lb/>
nach seinen Regierungsantritt mit Erfolg gekrönt gesehen, und als sie ihm<lb/>
einen Sohn gebar, hatte er ans freudigem Herzen, indem er ans die Sitte<lb/>
des i&gt;3Mr la lien-g., des Blumenschenlens am Tage der heiligen Barbara, an¬<lb/>
spielte, nach Ferrara geschrieben, ihm sei zur Messe die schönste Hyazinthe ge¬<lb/>
schenkt worden; aber obschon Camilla im Besitze eines schriftlichen Ehegelöbnisses<lb/>
des Herzogs war und ihr Sohn nach Mautnaner Herkommen dadurch als recht¬<lb/>
mäßiger Erbe galt, wußte Fernandos ferraresische Tante den schwachen Herzog<lb/>
doch zu dem Versuche, sich von Camilla loszumachen, zu bestimmen, und als<lb/>
diese sich der Trennung widersetzte, wurde ihr Kind so augenfällig mit dein<lb/>
Tode bedroht &#x2014; nachträglich ist es in der That vergiftet worden &#x2014;, daß sie<lb/>
endlich mit brechendem Herzen im Kloster Lorxus Domini zu Ferrara sich dem<lb/>
Schleier bequemte. Mit der schon erwähnten Berufung der Jesuiten an die<lb/>
neue Hochschule von Mantua schloß Herzog Fernandos Leben und Regiment<lb/>
trübselig ab, ohne daß seine der Opferung Camillas gefvlgte ebenbürtigere Ehe<lb/>
mit Catarina von Medici seinen Wünschen und den Wünschen seines Volkes<lb/>
Erfüllung gebracht hätte. In gleicher Weise dem Glauben an jene alte Prophe¬<lb/>
zeiung Recht gebend, verliefen beide kurze Ehen Viuceuzos des Zweiten, weshalb<lb/>
beide Gattinnen, sowohl Jsabella Gonzaga, die Witwe des Fürsten Ferrante,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] Um eine Perle. War: liebe ich nicht von ganzem Herzen? wurde ich nicht von ganzem Herzen geliebt? Sie wischte die Thränen ans dem Ange und richtete sich ans, denn die Züge des Greises hatten einen so milden Ausdruck angenommen, daß es sie fast erschreckte, gewöhnt wie sie bis heute gewesen war, vor seinem strengen Blick die Augen zu senken. Langsam erhob er sich aus seinem Sessel und winkte sie heran. Auf ihre Stirne drückte er einen langen Kuß. Dann legte er seinen Arm in den ihren, blickte nieder, als sammle er sich zu einem großen Entschlüsse und sprach: Führe mich an seine Ruhestätte. Sechsundvierzigstes Aavitel. Viel Mineivwasscr war seitdem in den Po geflossen, viele Sommer hatten das Pflaster des Largo ti Mezzo durchglüht, viele Winter den Schildwachen auf der Zitadelle fuchswilde Flüche über die schneidende Traniontvna entlockt, die von den schneebedeckten Trientiner Alpen eisig herüberblies. In dem Palazzo Ducale hatten die zwei letzten Mantuauer Gvnzagas, der eine nach vierzehn-, der andre nach einjährigen Regiment, das Zeitliche gesegnet, Herzog Fernando und sein Bruder und Nachfolger Herzog Vincenzo der Zweite. Beider Loos war kein beneidenswertes gewesen. Fernando hatte seine Bewerbungen um Camilla, die schöne Tochter des Grafen Ardizziuo, zwar im dritten Jahre nach seinen Regierungsantritt mit Erfolg gekrönt gesehen, und als sie ihm einen Sohn gebar, hatte er ans freudigem Herzen, indem er ans die Sitte des i>3Mr la lien-g., des Blumenschenlens am Tage der heiligen Barbara, an¬ spielte, nach Ferrara geschrieben, ihm sei zur Messe die schönste Hyazinthe ge¬ schenkt worden; aber obschon Camilla im Besitze eines schriftlichen Ehegelöbnisses des Herzogs war und ihr Sohn nach Mautnaner Herkommen dadurch als recht¬ mäßiger Erbe galt, wußte Fernandos ferraresische Tante den schwachen Herzog doch zu dem Versuche, sich von Camilla loszumachen, zu bestimmen, und als diese sich der Trennung widersetzte, wurde ihr Kind so augenfällig mit dein Tode bedroht — nachträglich ist es in der That vergiftet worden —, daß sie endlich mit brechendem Herzen im Kloster Lorxus Domini zu Ferrara sich dem Schleier bequemte. Mit der schon erwähnten Berufung der Jesuiten an die neue Hochschule von Mantua schloß Herzog Fernandos Leben und Regiment trübselig ab, ohne daß seine der Opferung Camillas gefvlgte ebenbürtigere Ehe mit Catarina von Medici seinen Wünschen und den Wünschen seines Volkes Erfüllung gebracht hätte. In gleicher Weise dem Glauben an jene alte Prophe¬ zeiung Recht gebend, verliefen beide kurze Ehen Viuceuzos des Zweiten, weshalb beide Gattinnen, sowohl Jsabella Gonzaga, die Witwe des Fürsten Ferrante,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/428>, abgerufen am 22.11.2024.