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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Brauch und Mißbrauch.

Gruft sanken. Denn Blumen allein thun es nicht, sie müssen durch Schleifen
von händebreitem Bande zusammengehalten werden, ans deren Enden Widmung
und Name des Sperbers in Gvldschrift prangen. Und Widmung und Name
prangen natürlich auch am nächsten Tage in der Zeitung. Wie oft würde ein
Vegrabner, wenn er wieder auferstünde, staunen, unter seinen "Verehrern,"
"Freunden," "dankbaren Schülern" u. s. f. so viele Personen aufgezählt zu
finden, zu denen er in ganz oberflächlichen, vielleicht nichts weniger als freund¬
schaftlichen Beziehungen gestanden hatte! Eine widerwärtigere Art der Reklame
ist kaum zu denken.

Und wenn nun gar an dein frischen Grabe Verwaiste stehen, die ihren Ver¬
sorger verloren haben, welcher ihnen nichts als den guten oder berühmten Namen
hinterlassen hat, wenn mit Mühe und Not nur soviel aufgebracht wird, daß
die letzte Ruhestätte des Dahingegaugnen in würdiger Weise für die spätern
Generationen gekennzeichnet werden kann, muß es dann nicht als sinnlose Ver¬
schwendung erscheinen, große Summen in der Erde verwesen zu lassen? Es ist
vielfach gegen die kostspieligen, mit Schmäusen verbundnen Leichenfeicrlichkeitcn
geeifert und es ist nachgewiesen worden, daß in manchen Gegenden der Ruin eines
Hausstandes mit dem Begräbnisse des Vaters zu begiunen Pflegt; man bemüht
sich, der Unsitte zu steuern, daß Witwen, die nicht wissen, wie sie sich und ihre
Kinder durchbringen sollen, doch das Letzte zusammenraffe", um das Familien¬
haupt uach einer "höhern Klasse" beerdigen zu lassen, weil sie das seiner oder
ihrer eignen Ehre schuldig zu sein glauben. Aber solche Bestrebungen haben
wenig Aussicht auf Erfolg, wenn die Höhergestellten mit schlechtem Beispiel
vorangehen. Jeder Luxus ist verdammcnswert, der den Unbemittelten zur Nach¬
ahmung reizt. Und die Blumenzucht und die Seidenweberei werden nicht zu¬
grundegehen, wenn die den Verstorbneu erwiesenen Ehren sich wieder in ver¬
nünftigen Grenzen halten. Ein Blütcnzweig, in treuer Liebe dargebracht, spricht,
dünkt uns, beredter, als ein Kranz von zwei Metern im Durchmesser und die
pomphaftesten Phrasen.




Brauch und Mißbrauch.

Gruft sanken. Denn Blumen allein thun es nicht, sie müssen durch Schleifen
von händebreitem Bande zusammengehalten werden, ans deren Enden Widmung
und Name des Sperbers in Gvldschrift prangen. Und Widmung und Name
prangen natürlich auch am nächsten Tage in der Zeitung. Wie oft würde ein
Vegrabner, wenn er wieder auferstünde, staunen, unter seinen „Verehrern,"
„Freunden," „dankbaren Schülern" u. s. f. so viele Personen aufgezählt zu
finden, zu denen er in ganz oberflächlichen, vielleicht nichts weniger als freund¬
schaftlichen Beziehungen gestanden hatte! Eine widerwärtigere Art der Reklame
ist kaum zu denken.

Und wenn nun gar an dein frischen Grabe Verwaiste stehen, die ihren Ver¬
sorger verloren haben, welcher ihnen nichts als den guten oder berühmten Namen
hinterlassen hat, wenn mit Mühe und Not nur soviel aufgebracht wird, daß
die letzte Ruhestätte des Dahingegaugnen in würdiger Weise für die spätern
Generationen gekennzeichnet werden kann, muß es dann nicht als sinnlose Ver¬
schwendung erscheinen, große Summen in der Erde verwesen zu lassen? Es ist
vielfach gegen die kostspieligen, mit Schmäusen verbundnen Leichenfeicrlichkeitcn
geeifert und es ist nachgewiesen worden, daß in manchen Gegenden der Ruin eines
Hausstandes mit dem Begräbnisse des Vaters zu begiunen Pflegt; man bemüht
sich, der Unsitte zu steuern, daß Witwen, die nicht wissen, wie sie sich und ihre
Kinder durchbringen sollen, doch das Letzte zusammenraffe», um das Familien¬
haupt uach einer „höhern Klasse" beerdigen zu lassen, weil sie das seiner oder
ihrer eignen Ehre schuldig zu sein glauben. Aber solche Bestrebungen haben
wenig Aussicht auf Erfolg, wenn die Höhergestellten mit schlechtem Beispiel
vorangehen. Jeder Luxus ist verdammcnswert, der den Unbemittelten zur Nach¬
ahmung reizt. Und die Blumenzucht und die Seidenweberei werden nicht zu¬
grundegehen, wenn die den Verstorbneu erwiesenen Ehren sich wieder in ver¬
nünftigen Grenzen halten. Ein Blütcnzweig, in treuer Liebe dargebracht, spricht,
dünkt uns, beredter, als ein Kranz von zwei Metern im Durchmesser und die
pomphaftesten Phrasen.




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[0424] Brauch und Mißbrauch. Gruft sanken. Denn Blumen allein thun es nicht, sie müssen durch Schleifen von händebreitem Bande zusammengehalten werden, ans deren Enden Widmung und Name des Sperbers in Gvldschrift prangen. Und Widmung und Name prangen natürlich auch am nächsten Tage in der Zeitung. Wie oft würde ein Vegrabner, wenn er wieder auferstünde, staunen, unter seinen „Verehrern," „Freunden," „dankbaren Schülern" u. s. f. so viele Personen aufgezählt zu finden, zu denen er in ganz oberflächlichen, vielleicht nichts weniger als freund¬ schaftlichen Beziehungen gestanden hatte! Eine widerwärtigere Art der Reklame ist kaum zu denken. Und wenn nun gar an dein frischen Grabe Verwaiste stehen, die ihren Ver¬ sorger verloren haben, welcher ihnen nichts als den guten oder berühmten Namen hinterlassen hat, wenn mit Mühe und Not nur soviel aufgebracht wird, daß die letzte Ruhestätte des Dahingegaugnen in würdiger Weise für die spätern Generationen gekennzeichnet werden kann, muß es dann nicht als sinnlose Ver¬ schwendung erscheinen, große Summen in der Erde verwesen zu lassen? Es ist vielfach gegen die kostspieligen, mit Schmäusen verbundnen Leichenfeicrlichkeitcn geeifert und es ist nachgewiesen worden, daß in manchen Gegenden der Ruin eines Hausstandes mit dem Begräbnisse des Vaters zu begiunen Pflegt; man bemüht sich, der Unsitte zu steuern, daß Witwen, die nicht wissen, wie sie sich und ihre Kinder durchbringen sollen, doch das Letzte zusammenraffe», um das Familien¬ haupt uach einer „höhern Klasse" beerdigen zu lassen, weil sie das seiner oder ihrer eignen Ehre schuldig zu sein glauben. Aber solche Bestrebungen haben wenig Aussicht auf Erfolg, wenn die Höhergestellten mit schlechtem Beispiel vorangehen. Jeder Luxus ist verdammcnswert, der den Unbemittelten zur Nach¬ ahmung reizt. Und die Blumenzucht und die Seidenweberei werden nicht zu¬ grundegehen, wenn die den Verstorbneu erwiesenen Ehren sich wieder in ver¬ nünftigen Grenzen halten. Ein Blütcnzweig, in treuer Liebe dargebracht, spricht, dünkt uns, beredter, als ein Kranz von zwei Metern im Durchmesser und die pomphaftesten Phrasen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/424>, abgerufen am 01.09.2024.