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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lin llnopf von Goethe.

Aber, meine liebe Phantasie als Pivnier der Wissenschaft, suche mir endlich
die Zeit, in welcher der abgelegte Goethe-Nock jung war oder jung wurde! Greif
lieber gleich weit, um sicher zu gehen, daß keine kleinste Möglichkeit ausfalle.
Du weißt doch, wie es deine ernste Schwester, die Wissenschaft, bei solchem Suchen
im Finstern mit dem ternrinus g.ä "zusnr und dem tsrirünus g, Huo macht. Den
erster" hättest du wohl schon in den zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts,
nun greif mutig nach dem letztern. Ob etwa gar noch die Werther-Zeit? d. h.
für uns die Werther-Kleidung, in der er in Weimar auftrat? Das wäre wohl
der wachsenden Goethe-Gemeinde das liebste. Aber nein, die Hoffnung ist nicht
haltbar. Er wandte sich in Weimar von der Werther-Stimmung bald so ent¬
schieden ab und lernte ihr den Rücken kehren bis zu Widerwillen dagegen, daß
er ja den Werther selbst über ein Jahrzehnt nicht wieder ansah, daß er, wenn
das Buch nicht scholl gedruckt gewesen wäre, ihn vielleicht auch aus Sinn und
Händen verloren Hütte, wie den Prometheus, diesen trotzig gewordnen Werther,
wie man ihn wohl nennen könnte. Also mit einem Werther-Goethe-Knopf ist
es auf alle Fälle nichts, liebe Phantasie, so schön es wäre. Das Werther-Kleid
ist sicher bald beiseite gelegt und weiter verbraucht worden.

Anders steht es mit Italie". Dort ist ja seine Seele so hängen geblieben,
daß er noch spät Äußerungen fallen läßt, die einem weh thun, wie die, daß er
keinen glücklichen Tag wieder gehabt habe, seit er über den Ponte Molle heim¬
wärts fuhr. Was er von dort mitbrachte, hatte sicher für ihn den Schein um
sich, den Italien, Rom selbst für ihn hatte, und wurde sicher, je nach seinem
Werte, getreulich und heilig im Hauswesen aufgehoben, gewiß auch die Kleidung,
die er in den glücklichen Tagen getragen hatte, deren Glanz sich erhöhte mit
der wachsenden Ferne von Zeit und Raum, und da möchte ich denn der lieben
Phantasie für unfern Knopf den Rat geben, auf ihrer Suche Halt zu machen
und in dem Meere von Möglichkeiten hier Anker zu werfen. Gewißheit ist damit
freilich nicht gegeben, aber eine gewisse gemütliche Wahrscheinlichkeit -- und,
gestehe man sichs nur -- weiter bringt mans auch sonst nicht in allen eigent¬
lichen Menschenfragen, ja: je wichtiger an innerm Wert eine solche Frage ist,
je mehr muß man sich endlich bei einer gemütlichen Wahrscheinlichkeit der Ant¬
wort beruhigen, bis in die höchste Philosophie hinein.

Buche zuletzt nnr noch eine Frage: war das betreffende Kleid mit von
Weimar nach Rom genommen? oder dort gefertigt und mit nach Weimar ge¬
kommen? Besser und wahrscheinlicher ist doch das zweite -- also ein römischer
Knopf und damit wohl noch gvethischer, als Wenns nnr ein deutscher wäre.

Ja aber -- was rede ich da drauf los von dem Knopfe Goethes mit ist,
ist! wo ist er denn? ach, auch uur noch in der Phantasie! mir wars aber
wirklich immer mehr geworden, als hätte ich ihn zu Hause im Kasten liegen.

Nun, dabei bleibts doch: wenn ich ihn hätte, ich würde ihn als wert und
wichtig aufheben, wie der Schillcrverein in Leipzig Schillers Weste, würde mir


Lin llnopf von Goethe.

Aber, meine liebe Phantasie als Pivnier der Wissenschaft, suche mir endlich
die Zeit, in welcher der abgelegte Goethe-Nock jung war oder jung wurde! Greif
lieber gleich weit, um sicher zu gehen, daß keine kleinste Möglichkeit ausfalle.
Du weißt doch, wie es deine ernste Schwester, die Wissenschaft, bei solchem Suchen
im Finstern mit dem ternrinus g.ä «zusnr und dem tsrirünus g, Huo macht. Den
erster» hättest du wohl schon in den zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts,
nun greif mutig nach dem letztern. Ob etwa gar noch die Werther-Zeit? d. h.
für uns die Werther-Kleidung, in der er in Weimar auftrat? Das wäre wohl
der wachsenden Goethe-Gemeinde das liebste. Aber nein, die Hoffnung ist nicht
haltbar. Er wandte sich in Weimar von der Werther-Stimmung bald so ent¬
schieden ab und lernte ihr den Rücken kehren bis zu Widerwillen dagegen, daß
er ja den Werther selbst über ein Jahrzehnt nicht wieder ansah, daß er, wenn
das Buch nicht scholl gedruckt gewesen wäre, ihn vielleicht auch aus Sinn und
Händen verloren Hütte, wie den Prometheus, diesen trotzig gewordnen Werther,
wie man ihn wohl nennen könnte. Also mit einem Werther-Goethe-Knopf ist
es auf alle Fälle nichts, liebe Phantasie, so schön es wäre. Das Werther-Kleid
ist sicher bald beiseite gelegt und weiter verbraucht worden.

Anders steht es mit Italie». Dort ist ja seine Seele so hängen geblieben,
daß er noch spät Äußerungen fallen läßt, die einem weh thun, wie die, daß er
keinen glücklichen Tag wieder gehabt habe, seit er über den Ponte Molle heim¬
wärts fuhr. Was er von dort mitbrachte, hatte sicher für ihn den Schein um
sich, den Italien, Rom selbst für ihn hatte, und wurde sicher, je nach seinem
Werte, getreulich und heilig im Hauswesen aufgehoben, gewiß auch die Kleidung,
die er in den glücklichen Tagen getragen hatte, deren Glanz sich erhöhte mit
der wachsenden Ferne von Zeit und Raum, und da möchte ich denn der lieben
Phantasie für unfern Knopf den Rat geben, auf ihrer Suche Halt zu machen
und in dem Meere von Möglichkeiten hier Anker zu werfen. Gewißheit ist damit
freilich nicht gegeben, aber eine gewisse gemütliche Wahrscheinlichkeit — und,
gestehe man sichs nur — weiter bringt mans auch sonst nicht in allen eigent¬
lichen Menschenfragen, ja: je wichtiger an innerm Wert eine solche Frage ist,
je mehr muß man sich endlich bei einer gemütlichen Wahrscheinlichkeit der Ant¬
wort beruhigen, bis in die höchste Philosophie hinein.

Buche zuletzt nnr noch eine Frage: war das betreffende Kleid mit von
Weimar nach Rom genommen? oder dort gefertigt und mit nach Weimar ge¬
kommen? Besser und wahrscheinlicher ist doch das zweite — also ein römischer
Knopf und damit wohl noch gvethischer, als Wenns nnr ein deutscher wäre.

Ja aber — was rede ich da drauf los von dem Knopfe Goethes mit ist,
ist! wo ist er denn? ach, auch uur noch in der Phantasie! mir wars aber
wirklich immer mehr geworden, als hätte ich ihn zu Hause im Kasten liegen.

Nun, dabei bleibts doch: wenn ich ihn hätte, ich würde ihn als wert und
wichtig aufheben, wie der Schillcrverein in Leipzig Schillers Weste, würde mir


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[0420] Lin llnopf von Goethe. Aber, meine liebe Phantasie als Pivnier der Wissenschaft, suche mir endlich die Zeit, in welcher der abgelegte Goethe-Nock jung war oder jung wurde! Greif lieber gleich weit, um sicher zu gehen, daß keine kleinste Möglichkeit ausfalle. Du weißt doch, wie es deine ernste Schwester, die Wissenschaft, bei solchem Suchen im Finstern mit dem ternrinus g.ä «zusnr und dem tsrirünus g, Huo macht. Den erster» hättest du wohl schon in den zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts, nun greif mutig nach dem letztern. Ob etwa gar noch die Werther-Zeit? d. h. für uns die Werther-Kleidung, in der er in Weimar auftrat? Das wäre wohl der wachsenden Goethe-Gemeinde das liebste. Aber nein, die Hoffnung ist nicht haltbar. Er wandte sich in Weimar von der Werther-Stimmung bald so ent¬ schieden ab und lernte ihr den Rücken kehren bis zu Widerwillen dagegen, daß er ja den Werther selbst über ein Jahrzehnt nicht wieder ansah, daß er, wenn das Buch nicht scholl gedruckt gewesen wäre, ihn vielleicht auch aus Sinn und Händen verloren Hütte, wie den Prometheus, diesen trotzig gewordnen Werther, wie man ihn wohl nennen könnte. Also mit einem Werther-Goethe-Knopf ist es auf alle Fälle nichts, liebe Phantasie, so schön es wäre. Das Werther-Kleid ist sicher bald beiseite gelegt und weiter verbraucht worden. Anders steht es mit Italie». Dort ist ja seine Seele so hängen geblieben, daß er noch spät Äußerungen fallen läßt, die einem weh thun, wie die, daß er keinen glücklichen Tag wieder gehabt habe, seit er über den Ponte Molle heim¬ wärts fuhr. Was er von dort mitbrachte, hatte sicher für ihn den Schein um sich, den Italien, Rom selbst für ihn hatte, und wurde sicher, je nach seinem Werte, getreulich und heilig im Hauswesen aufgehoben, gewiß auch die Kleidung, die er in den glücklichen Tagen getragen hatte, deren Glanz sich erhöhte mit der wachsenden Ferne von Zeit und Raum, und da möchte ich denn der lieben Phantasie für unfern Knopf den Rat geben, auf ihrer Suche Halt zu machen und in dem Meere von Möglichkeiten hier Anker zu werfen. Gewißheit ist damit freilich nicht gegeben, aber eine gewisse gemütliche Wahrscheinlichkeit — und, gestehe man sichs nur — weiter bringt mans auch sonst nicht in allen eigent¬ lichen Menschenfragen, ja: je wichtiger an innerm Wert eine solche Frage ist, je mehr muß man sich endlich bei einer gemütlichen Wahrscheinlichkeit der Ant¬ wort beruhigen, bis in die höchste Philosophie hinein. Buche zuletzt nnr noch eine Frage: war das betreffende Kleid mit von Weimar nach Rom genommen? oder dort gefertigt und mit nach Weimar ge¬ kommen? Besser und wahrscheinlicher ist doch das zweite — also ein römischer Knopf und damit wohl noch gvethischer, als Wenns nnr ein deutscher wäre. Ja aber — was rede ich da drauf los von dem Knopfe Goethes mit ist, ist! wo ist er denn? ach, auch uur noch in der Phantasie! mir wars aber wirklich immer mehr geworden, als hätte ich ihn zu Hause im Kasten liegen. Nun, dabei bleibts doch: wenn ich ihn hätte, ich würde ihn als wert und wichtig aufheben, wie der Schillcrverein in Leipzig Schillers Weste, würde mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/420>, abgerufen am 01.09.2024.