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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Form ihr nicht gefällt; und sie hat am wenigsten das Recht, einer immerhin
großartigen Wirklichkeit einen bloßen Schatten gegenüberzustellen, solange nicht
irgendeine ernsthafte Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß es gelingen kaun, diesem
Schatten Körper zu verleihe". Die Frage kann und darf nicht sein: Welcher
Mittel müssen wir uns bedienen, um, es möge innerlich möglich sein oder nicht,
unter allen Umstanden nnr wieder etwas Handwerksartigcs entstehen zu lassen
und dieses, wenn auch noch so künstliche Etwas an die Stelle des Jndnstrial-
kapitalismus zu setzen? -- sondern die Frage muß sein: Ist es innerlich möglich,
ein Handwerk neu zu schaffen, welches auch unter den sozialen und technischen
Kräften unsrer Zeit zu bestehen und seine Rolle zu spielen vermag? und unter
welche" Boranssetzungen ist dies möglich?

Kvnstatiren wir zunächst, daß das Handwerk, so wie es ist, dem Unter¬
gange geweiht ist, und daß mich Jnnungsgcsetze?e, an und für sich hieran nichts
zu ändern vermögen. Alle diese, wenn auch nicht nnr wohlgemeinten, sondern
auch in ihrer Art recht nützlichen gesetzgeberischen Neuschöpfungen können und
sollen ja doch weiter nichts als dein Handwerke gewisse soziale Ermöglichungcn
an die Hand geben, und insofern sie notwendig i" diesem Bestreben stecken
bleiben, treffen sie den Sitz des Übels garnicht. Denn dieser Sitz liegt zunächst
nicht auf dem sozialen, sondern auf dem wirtschaftlichen Gebiete, nämlich in
der Frage, ob der Handwerker mit dem Großindustriellen und mit den Handels¬
geschäften konkurriren kann -- eine Frage, die leider Gottes entschiede" verneint
"'erden "ruß. Daß der schönstem bei dem Handwerker nicht mehr raucht, das ist
Ausgangspunkt und Kern des ganzen Übels; und wenn der Satz wahr ist, daß
Not "ut Gefahr die Tüchtige" und ans Überzeugung Zusammenhaltende" nnr
noch fester zusammenschließt, die Untüchtigen und Eigensüchtige" aber immer
weiter auseiuaudertreibt, so sind die Schlußfolgerungen hieraus für das Hand¬
werk keine sonderlich ermutigenden. Der Verfall des Handwerks ist kein ein¬
seitig sozialer, sondern el" wirtschaftlich-sozialer; der wirtschaftliche Nückgaiig
fiel zusammen mit dein Verluste der Kraft, ih" als eine soziale Schädi¬
gung des ganzen Handwerks zu empfinden und hiergegen mit de" soziale"
Kräfte" des Handwerks nnzutäinpfe". Hicrn" ändert auch die allerdings un¬
leugbare Thatsache nichts, daß der Rückgang des Handwerks durch allerhand
künstliche Mittel, selbst durch gesetzgeberische und Verwaltungsninßregeln, und
daß er weiterhin durch eine im höchste" Maße unreelle Konkurrenz, durch die
verächtlichsten, dem Handwerke seiner Natur nach unzugänglichsten Praktiken
begünstigt worden ist. Gewiß, die Gefüngnisarbeit allein schon ist ausreichend,
den Rückgang der handwerksnuißigen gegenüber der fabrilsmcißige" Arbeit in
mehreren Gewerbszweigcn zu erklären, und es ist wirklich eine arge Sache, daß,
während der Staat auf Kosten der Gesamtheit die Fabrikarbeit durch die Ge¬
fängnis- und Zuchthansarbeit begünstigt (und wenn er dies nur dadurch thäte,
daß er die Masse der in den Koukurrenzkcuupf eintretende" Fabrikartikel ver-


Form ihr nicht gefällt; und sie hat am wenigsten das Recht, einer immerhin
großartigen Wirklichkeit einen bloßen Schatten gegenüberzustellen, solange nicht
irgendeine ernsthafte Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß es gelingen kaun, diesem
Schatten Körper zu verleihe». Die Frage kann und darf nicht sein: Welcher
Mittel müssen wir uns bedienen, um, es möge innerlich möglich sein oder nicht,
unter allen Umstanden nnr wieder etwas Handwerksartigcs entstehen zu lassen
und dieses, wenn auch noch so künstliche Etwas an die Stelle des Jndnstrial-
kapitalismus zu setzen? — sondern die Frage muß sein: Ist es innerlich möglich,
ein Handwerk neu zu schaffen, welches auch unter den sozialen und technischen
Kräften unsrer Zeit zu bestehen und seine Rolle zu spielen vermag? und unter
welche» Boranssetzungen ist dies möglich?

Kvnstatiren wir zunächst, daß das Handwerk, so wie es ist, dem Unter¬
gange geweiht ist, und daß mich Jnnungsgcsetze?e, an und für sich hieran nichts
zu ändern vermögen. Alle diese, wenn auch nicht nnr wohlgemeinten, sondern
auch in ihrer Art recht nützlichen gesetzgeberischen Neuschöpfungen können und
sollen ja doch weiter nichts als dein Handwerke gewisse soziale Ermöglichungcn
an die Hand geben, und insofern sie notwendig i» diesem Bestreben stecken
bleiben, treffen sie den Sitz des Übels garnicht. Denn dieser Sitz liegt zunächst
nicht auf dem sozialen, sondern auf dem wirtschaftlichen Gebiete, nämlich in
der Frage, ob der Handwerker mit dem Großindustriellen und mit den Handels¬
geschäften konkurriren kann — eine Frage, die leider Gottes entschiede» verneint
»'erden »ruß. Daß der schönstem bei dem Handwerker nicht mehr raucht, das ist
Ausgangspunkt und Kern des ganzen Übels; und wenn der Satz wahr ist, daß
Not »ut Gefahr die Tüchtige» und ans Überzeugung Zusammenhaltende» nnr
noch fester zusammenschließt, die Untüchtigen und Eigensüchtige» aber immer
weiter auseiuaudertreibt, so sind die Schlußfolgerungen hieraus für das Hand¬
werk keine sonderlich ermutigenden. Der Verfall des Handwerks ist kein ein¬
seitig sozialer, sondern el» wirtschaftlich-sozialer; der wirtschaftliche Nückgaiig
fiel zusammen mit dein Verluste der Kraft, ih» als eine soziale Schädi¬
gung des ganzen Handwerks zu empfinden und hiergegen mit de» soziale»
Kräfte» des Handwerks nnzutäinpfe». Hicrn» ändert auch die allerdings un¬
leugbare Thatsache nichts, daß der Rückgang des Handwerks durch allerhand
künstliche Mittel, selbst durch gesetzgeberische und Verwaltungsninßregeln, und
daß er weiterhin durch eine im höchste» Maße unreelle Konkurrenz, durch die
verächtlichsten, dem Handwerke seiner Natur nach unzugänglichsten Praktiken
begünstigt worden ist. Gewiß, die Gefüngnisarbeit allein schon ist ausreichend,
den Rückgang der handwerksnuißigen gegenüber der fabrilsmcißige» Arbeit in
mehreren Gewerbszweigcn zu erklären, und es ist wirklich eine arge Sache, daß,
während der Staat auf Kosten der Gesamtheit die Fabrikarbeit durch die Ge¬
fängnis- und Zuchthansarbeit begünstigt (und wenn er dies nur dadurch thäte,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/406>, abgerufen am 25.11.2024.