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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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und vollends von Erscheinungen, welche als Keime einer hoffnungsreichen Weiter¬
entwicklung oder Neugestaltung ans diesem Gebiete aufgefaßt werden könnten, ist
doch wirklich so gut wie nichts zu verspüren. So weit also befinden sich die
Verfechter der Idee, daß man das Handwerk eben nicht untergehen lassen dürfe,
weil man nichts an seine Stelle zu setzendes habe und sein Verschwinden gleich¬
bedeutend mit dem Verschwinden der letzten, uns gegen die soziale Weltrevolution
schützenden Schranke sein würde, in einem unleugbaren Vorsprunge. Dennoch
können und dürfen wir diese" Gesichtspunkt nicht maßgebend machen. Deun
wenn es nicht gelingt, dem Handwerk eine innere Bestandsfähigkeit zu geben,
welche sich mit den Bedürfnissen der Zeit und unsers heutigen Kulturzustandes
verträgt, so nützt uns wiederum alle theoretische "Unentbehrlichkeit" des Hand¬
werks nichts; wir können es dann trotzdem weder schaffen noch viel weniger
erhalten. Mit einem künstlich hergestellte", uur künstlich anfrechterhaltnen Ge¬
bilde lassen sich die Aufgaben, die wir dem Handwerke zuschieben, doch nicht
erfüllen, und selbst der mit der Energie der Verzweiflung unternommene Versuch,
ein neues Handwerk zu begründen, müßte und würde scheitern, wenn nun einmal
die innere Möglichkeit, ein solches als ein zeitgemäßes und den Zeitverhältnissen
sich anschließendes erscheinen zu lassen, nicht vorhanden ist. Auch haben wir,
so unsympathisch uns die industriell-kapitalistische Entwicklung sein mag und so
sehr wir uns nußer stände fühlen, in derselben Keime einer erfreulicheren, sozial
bcstandsfähigercn ZuknnftSgestaltnng zu erblicken, doch nicht das Recht, ohne
weiteres zu erklären, weil nur jetzt noch keine Hoffnung sähen, darum existire
auch keine und werde in Ewigkeit keine existiren. Wer sagt uns, welche, wenn
auch vielleicht unsern Vorstellungen und Wünschen noch so wenig zusagenden,
so doch immerhin möglichen und keineswegs znknnftslvsen Formen sich da
vielleicht noch ausbilden? Vielleicht werden wir es lernen müssen, uns auf stete
soziale Zuckungen und gelegentliche heftige Stürme einzurichten, und werden uns
hieran am Ende so gut oder so schlecht gewöhnen wie die Bewohner von Strom-
boli an den Vulkan zu ihre" Häupten; vielleicht erweist sich das Kapital selbst,
wem, ihm nnr bestimmte Vergünstigungen eingeräumt werden und die Möglichkeit
stetigen Eingreifens in die öffentlichen Dinge ihm gewährt wird, nicht nur als
ein kräftiger, sondern anch, wornus es hier vor allem ankommt, als ein sehr wider¬
standsfähiger Faktor; vielleicht müssen wir allen Sträubens unerachtet den Weg
der Sozialdemoiratie wandeln und finden ihn doch gangbarer, als unsre Staats-
weisen bisher geglaubt haben; und solcher denkbaren Fülle, die als Fortentwicklung
des heutigen Zustandes betrachtet und nicht ohne weiteres als innerlich unmöglich
angesprochen werden können, mag es wohl noch manche geben. Die Gegenwart
hat, sagen wir, kein Recht, die industriell-kapitalistische Gesellschaftsform schlechthin
zu verwerfen, weil sie zur Zeit noch nicht abzusehen vermag, wie sich hieraus
eine einigermaßen haltbare, genügende Elemente zur Forterhaltung der Kultur
in sich darbietende Form ausbilden soll, oder gar lediglich darum, weil diese


und vollends von Erscheinungen, welche als Keime einer hoffnungsreichen Weiter¬
entwicklung oder Neugestaltung ans diesem Gebiete aufgefaßt werden könnten, ist
doch wirklich so gut wie nichts zu verspüren. So weit also befinden sich die
Verfechter der Idee, daß man das Handwerk eben nicht untergehen lassen dürfe,
weil man nichts an seine Stelle zu setzendes habe und sein Verschwinden gleich¬
bedeutend mit dem Verschwinden der letzten, uns gegen die soziale Weltrevolution
schützenden Schranke sein würde, in einem unleugbaren Vorsprunge. Dennoch
können und dürfen wir diese» Gesichtspunkt nicht maßgebend machen. Deun
wenn es nicht gelingt, dem Handwerk eine innere Bestandsfähigkeit zu geben,
welche sich mit den Bedürfnissen der Zeit und unsers heutigen Kulturzustandes
verträgt, so nützt uns wiederum alle theoretische „Unentbehrlichkeit" des Hand¬
werks nichts; wir können es dann trotzdem weder schaffen noch viel weniger
erhalten. Mit einem künstlich hergestellte», uur künstlich anfrechterhaltnen Ge¬
bilde lassen sich die Aufgaben, die wir dem Handwerke zuschieben, doch nicht
erfüllen, und selbst der mit der Energie der Verzweiflung unternommene Versuch,
ein neues Handwerk zu begründen, müßte und würde scheitern, wenn nun einmal
die innere Möglichkeit, ein solches als ein zeitgemäßes und den Zeitverhältnissen
sich anschließendes erscheinen zu lassen, nicht vorhanden ist. Auch haben wir,
so unsympathisch uns die industriell-kapitalistische Entwicklung sein mag und so
sehr wir uns nußer stände fühlen, in derselben Keime einer erfreulicheren, sozial
bcstandsfähigercn ZuknnftSgestaltnng zu erblicken, doch nicht das Recht, ohne
weiteres zu erklären, weil nur jetzt noch keine Hoffnung sähen, darum existire
auch keine und werde in Ewigkeit keine existiren. Wer sagt uns, welche, wenn
auch vielleicht unsern Vorstellungen und Wünschen noch so wenig zusagenden,
so doch immerhin möglichen und keineswegs znknnftslvsen Formen sich da
vielleicht noch ausbilden? Vielleicht werden wir es lernen müssen, uns auf stete
soziale Zuckungen und gelegentliche heftige Stürme einzurichten, und werden uns
hieran am Ende so gut oder so schlecht gewöhnen wie die Bewohner von Strom-
boli an den Vulkan zu ihre» Häupten; vielleicht erweist sich das Kapital selbst,
wem, ihm nnr bestimmte Vergünstigungen eingeräumt werden und die Möglichkeit
stetigen Eingreifens in die öffentlichen Dinge ihm gewährt wird, nicht nur als
ein kräftiger, sondern anch, wornus es hier vor allem ankommt, als ein sehr wider¬
standsfähiger Faktor; vielleicht müssen wir allen Sträubens unerachtet den Weg
der Sozialdemoiratie wandeln und finden ihn doch gangbarer, als unsre Staats-
weisen bisher geglaubt haben; und solcher denkbaren Fülle, die als Fortentwicklung
des heutigen Zustandes betrachtet und nicht ohne weiteres als innerlich unmöglich
angesprochen werden können, mag es wohl noch manche geben. Die Gegenwart
hat, sagen wir, kein Recht, die industriell-kapitalistische Gesellschaftsform schlechthin
zu verwerfen, weil sie zur Zeit noch nicht abzusehen vermag, wie sich hieraus
eine einigermaßen haltbare, genügende Elemente zur Forterhaltung der Kultur
in sich darbietende Form ausbilden soll, oder gar lediglich darum, weil diese


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[0405] und vollends von Erscheinungen, welche als Keime einer hoffnungsreichen Weiter¬ entwicklung oder Neugestaltung ans diesem Gebiete aufgefaßt werden könnten, ist doch wirklich so gut wie nichts zu verspüren. So weit also befinden sich die Verfechter der Idee, daß man das Handwerk eben nicht untergehen lassen dürfe, weil man nichts an seine Stelle zu setzendes habe und sein Verschwinden gleich¬ bedeutend mit dem Verschwinden der letzten, uns gegen die soziale Weltrevolution schützenden Schranke sein würde, in einem unleugbaren Vorsprunge. Dennoch können und dürfen wir diese» Gesichtspunkt nicht maßgebend machen. Deun wenn es nicht gelingt, dem Handwerk eine innere Bestandsfähigkeit zu geben, welche sich mit den Bedürfnissen der Zeit und unsers heutigen Kulturzustandes verträgt, so nützt uns wiederum alle theoretische „Unentbehrlichkeit" des Hand¬ werks nichts; wir können es dann trotzdem weder schaffen noch viel weniger erhalten. Mit einem künstlich hergestellte», uur künstlich anfrechterhaltnen Ge¬ bilde lassen sich die Aufgaben, die wir dem Handwerke zuschieben, doch nicht erfüllen, und selbst der mit der Energie der Verzweiflung unternommene Versuch, ein neues Handwerk zu begründen, müßte und würde scheitern, wenn nun einmal die innere Möglichkeit, ein solches als ein zeitgemäßes und den Zeitverhältnissen sich anschließendes erscheinen zu lassen, nicht vorhanden ist. Auch haben wir, so unsympathisch uns die industriell-kapitalistische Entwicklung sein mag und so sehr wir uns nußer stände fühlen, in derselben Keime einer erfreulicheren, sozial bcstandsfähigercn ZuknnftSgestaltnng zu erblicken, doch nicht das Recht, ohne weiteres zu erklären, weil nur jetzt noch keine Hoffnung sähen, darum existire auch keine und werde in Ewigkeit keine existiren. Wer sagt uns, welche, wenn auch vielleicht unsern Vorstellungen und Wünschen noch so wenig zusagenden, so doch immerhin möglichen und keineswegs znknnftslvsen Formen sich da vielleicht noch ausbilden? Vielleicht werden wir es lernen müssen, uns auf stete soziale Zuckungen und gelegentliche heftige Stürme einzurichten, und werden uns hieran am Ende so gut oder so schlecht gewöhnen wie die Bewohner von Strom- boli an den Vulkan zu ihre» Häupten; vielleicht erweist sich das Kapital selbst, wem, ihm nnr bestimmte Vergünstigungen eingeräumt werden und die Möglichkeit stetigen Eingreifens in die öffentlichen Dinge ihm gewährt wird, nicht nur als ein kräftiger, sondern anch, wornus es hier vor allem ankommt, als ein sehr wider¬ standsfähiger Faktor; vielleicht müssen wir allen Sträubens unerachtet den Weg der Sozialdemoiratie wandeln und finden ihn doch gangbarer, als unsre Staats- weisen bisher geglaubt haben; und solcher denkbaren Fülle, die als Fortentwicklung des heutigen Zustandes betrachtet und nicht ohne weiteres als innerlich unmöglich angesprochen werden können, mag es wohl noch manche geben. Die Gegenwart hat, sagen wir, kein Recht, die industriell-kapitalistische Gesellschaftsform schlechthin zu verwerfen, weil sie zur Zeit noch nicht abzusehen vermag, wie sich hieraus eine einigermaßen haltbare, genügende Elemente zur Forterhaltung der Kultur in sich darbietende Form ausbilden soll, oder gar lediglich darum, weil diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/405>, abgerufen am 25.11.2024.