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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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gemeint?^, aber vorsichtig und sparsam verfahren." Zum Schlüsse werden die
Aufmunterung und Unterstützung von Sparverciuen und eine Revision der
Steuern, "welche den Landmann entlastet," empfohlen. Dieses Programm würde
Millionen von Wählern um sich scharen, wenn es eine organisirte Partei mit
rührigen und geschickten Führern hinter sich hätte. Aber dieser Apparat fehlt,
und es ist kein Trost für die gemäßigten Republikaner, daß auch andre Gruppen
derselben keine energischen Führer besitzen und überhaupt im Laufe der Zeit
schwächer geworden sind als ihre radikalen Nebenbuhler. Der Präsident Grcvy
beobachtet eine Enthaltsamkeit, die an Apathie grenzt. Brisson und Freycinet
üben nicht die persönliche Anziehungskraft aus, welche zur Führerschaft gehört.
Ferrh hat erst vor kurzem zweimal, als Minister und als Wahlredner, Schiffe
bruns gelitten. Ohne Fahnenträger von der nötigen Größe und Stärke sieht
es um das Banner der gemäßigten Republik mißlich aus. Mit den Nvhalisten
aller Schattirnngen steht es aber noch weit schlimmer. Der Graf von Paris
ist ein respektabler ältlicher Herr, der mit seinem Verhalten als die fleisch-
gcwordne Geduld und Vorsicht bezeichnet werden kann. Der Tod des Grafen
von Chambord hat ihm einen Anspruch zugewendet, der mit jedem Jahre
schattenhafter wird und eigentlich schon in die Rumpelkammer gehört. Die
Aristokratie Frankreichs hat sich niemals sehr für ihn erwärmt, und sein Fischblut
hat den Eifer der Geistlichkeit, soweit sie solchen zeigte, was von nicht vielen,
geschah, fast allenthalben erkalten lassen. Die Bonapartisten sind hoffnungslos
gespalten und als Partei kaum noch mitzuzählen. Die eine Gruppe derselben
ist halb klerikal, die andre halb rot. Der Flügel, der vom Prinzen Napoleon
die Parole empfängt, greift mit der Linken die Monarchisten an, der andre,
welcher aus den Anhängern des Prinzen Viktor besteht, schmäht in Gemeinschaft
mit deu Bourbonisten die Republik, keiner von beiden aber ist dieser gefährlich.
Eine Gefahr für dieselbe liegt einzig und allem in dem Wachsen der radikalen
Parteien in Paris und den andern großen Städten. Gewinne der Sozialismus
hier weiter Kraft und Ausdehnung, gelangen Clemeuceau und seine Anhänger
zu einer Stellung, in der sie ihre Pläne mit Staatsmitteln fördern können, so
hat die letzte Stunde für die gemäßigte Republik geschlagen, und bald könnte
dann auch die letzte für die Republik der Radikalen anbrechen. Schwerlich
würde ihr dann eine Ära des roten Prinzen als Kaisers oder die Krönung
des Grafen von Paris zum König der Franzosen folgen, wohl aber die Monarchie
in Gestalt des Generals, der als Vorkämpfer der Besitzenden den kommunistischen
Drachen erlegt Hütte. Wir Deutsche haben keinerlei Ursache, diesen Gang der
Dinge herbeizuwünschen, und so freuen wir uns, daß es mit der Republik noch
nicht so weit ist, und wünschen lebhaft, daß sich Mittel und Männer finden mögen,
mit welchen die sie bedrohenden Mächte beschworen und ihr neue Lebenskräfte
eingeflößt werden können, und zwar bald, schon dnrch die neuen Wahlen.




gemeint?^, aber vorsichtig und sparsam verfahren." Zum Schlüsse werden die
Aufmunterung und Unterstützung von Sparverciuen und eine Revision der
Steuern, „welche den Landmann entlastet," empfohlen. Dieses Programm würde
Millionen von Wählern um sich scharen, wenn es eine organisirte Partei mit
rührigen und geschickten Führern hinter sich hätte. Aber dieser Apparat fehlt,
und es ist kein Trost für die gemäßigten Republikaner, daß auch andre Gruppen
derselben keine energischen Führer besitzen und überhaupt im Laufe der Zeit
schwächer geworden sind als ihre radikalen Nebenbuhler. Der Präsident Grcvy
beobachtet eine Enthaltsamkeit, die an Apathie grenzt. Brisson und Freycinet
üben nicht die persönliche Anziehungskraft aus, welche zur Führerschaft gehört.
Ferrh hat erst vor kurzem zweimal, als Minister und als Wahlredner, Schiffe
bruns gelitten. Ohne Fahnenträger von der nötigen Größe und Stärke sieht
es um das Banner der gemäßigten Republik mißlich aus. Mit den Nvhalisten
aller Schattirnngen steht es aber noch weit schlimmer. Der Graf von Paris
ist ein respektabler ältlicher Herr, der mit seinem Verhalten als die fleisch-
gcwordne Geduld und Vorsicht bezeichnet werden kann. Der Tod des Grafen
von Chambord hat ihm einen Anspruch zugewendet, der mit jedem Jahre
schattenhafter wird und eigentlich schon in die Rumpelkammer gehört. Die
Aristokratie Frankreichs hat sich niemals sehr für ihn erwärmt, und sein Fischblut
hat den Eifer der Geistlichkeit, soweit sie solchen zeigte, was von nicht vielen,
geschah, fast allenthalben erkalten lassen. Die Bonapartisten sind hoffnungslos
gespalten und als Partei kaum noch mitzuzählen. Die eine Gruppe derselben
ist halb klerikal, die andre halb rot. Der Flügel, der vom Prinzen Napoleon
die Parole empfängt, greift mit der Linken die Monarchisten an, der andre,
welcher aus den Anhängern des Prinzen Viktor besteht, schmäht in Gemeinschaft
mit deu Bourbonisten die Republik, keiner von beiden aber ist dieser gefährlich.
Eine Gefahr für dieselbe liegt einzig und allem in dem Wachsen der radikalen
Parteien in Paris und den andern großen Städten. Gewinne der Sozialismus
hier weiter Kraft und Ausdehnung, gelangen Clemeuceau und seine Anhänger
zu einer Stellung, in der sie ihre Pläne mit Staatsmitteln fördern können, so
hat die letzte Stunde für die gemäßigte Republik geschlagen, und bald könnte
dann auch die letzte für die Republik der Radikalen anbrechen. Schwerlich
würde ihr dann eine Ära des roten Prinzen als Kaisers oder die Krönung
des Grafen von Paris zum König der Franzosen folgen, wohl aber die Monarchie
in Gestalt des Generals, der als Vorkämpfer der Besitzenden den kommunistischen
Drachen erlegt Hütte. Wir Deutsche haben keinerlei Ursache, diesen Gang der
Dinge herbeizuwünschen, und so freuen wir uns, daß es mit der Republik noch
nicht so weit ist, und wünschen lebhaft, daß sich Mittel und Männer finden mögen,
mit welchen die sie bedrohenden Mächte beschworen und ihr neue Lebenskräfte
eingeflößt werden können, und zwar bald, schon dnrch die neuen Wahlen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/400>, abgerufen am 25.11.2024.