Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Wahlen und Parteien in Frankreich. besitzt in der Metropole Frankreichs so gut wie gar keine Anhänger. Dieselbe Der Hauptgegncr der gemäßigten Republik ist Clemencecm mit seinem An¬ Wahlen und Parteien in Frankreich. besitzt in der Metropole Frankreichs so gut wie gar keine Anhänger. Dieselbe Der Hauptgegncr der gemäßigten Republik ist Clemencecm mit seinem An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196498"/> <fw type="header" place="top"> Wahlen und Parteien in Frankreich.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1615" prev="#ID_1614"> besitzt in der Metropole Frankreichs so gut wie gar keine Anhänger. Dieselbe<lb/> ist von der Revolution, der politischen Kritik wie von einer unheilbaren Seuche<lb/> angesteckt, deren Wesen sich darin äußert, daß die Bevölkerung, gleichviel, welche<lb/> Grundsätze gelten, welche Einrichtungen bestehen, welche Persönlichkeiten regieren,<lb/> sich für verpflichtet hält, zu murren, Opposition zu machen und, wenn es an¬<lb/> geht, das Bestehende umzuwerfen und auf den Kopf zu stellen, lediglich weil<lb/> es besteht, vielleicht nicht immer mit Bewußtsein, immer aber mit dem Triebe,<lb/> es fernerhin ebenso zu halten und jedes weiter zu Bestand Gelangte ebenfalls<lb/> anzugreifen und, wo möglich, umzustoßen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Der Hauptgegncr der gemäßigten Republik ist Clemencecm mit seinem An¬<lb/> hange. Das Programm, welches diese Politiker empfehlen, kann eines Tages<lb/> Annahme beim französischen Volke finden. Gegenwärtig fehlt es ihm an<lb/> Freunden in der Provinz, seine Politik ist im wesentlichen Pariser Weisheit,<lb/> die auch in drei oder vier großen Bevölkerungszentre», in Lyon, Marseille und<lb/> Bordeaux, dem Geschmacke der Menge zusagt. Es könnte auch unter den Bauern<lb/> populär werden, nnr müßte es vorher von seinen sozialistischen Artikeln gesäubert<lb/> werden; sonst empfiehlt es sich dieser Klasse der Bevölkerung besonders dadurch,<lb/> daß es „auswärtige Abenteuer" emphatisch zurückweist. Das bäuerliche Frankreich<lb/> empfindet die Wehrpflicht und die Aushebung schwer, es verabscheut allen Krieg<lb/> und würde es mit Jubel begrüßen, wenn die Armee abgeschafft werden könnte. Sach¬<lb/> kenner finden dies begreiflich. Die Bevölkerung der großen Städte leidet in ihrer<lb/> Mehrzahl so schwer von ungünstigen Existenzbedingungen, daß sie nnr einen kleinen<lb/> Teil der Rekruten zu liefern vermag, die man zur Ergänzung des Heeres bedarf.<lb/> Man stellt in Frankreich an deren körperliche Tüchtigkeit geringe Anforderungen,<lb/> und so enthalten die französischen Regimenter viele Mannschaften, die man bei<lb/> uns zurückgewiesen haben würde. Die Pariser entsprechen aber vielfach uicht<lb/> einmal diesen mäßigen Anforderungen der Militärbehörden, und so kommt es,<lb/> daß sie noch lange nicht die Hälfte der Zahl von Soldaten stellen, die sie zu<lb/> stellen haben würden, wenn ihre jungen Leute die nötige Länge, Brustweite und<lb/> Gesundheit besäßen. Die Folge ist, daß die Landdistrikte den Mangel ersetzen<lb/> und mehr Rekruten liefern müssen, als sie sonst brauchten, und als sie ohne<lb/> Nachteil entbehren können. Man darf sagen, daß, wenn der Pariser nach Krieg<lb/> schrie, uicht sowohl er, als der Bauer ihn führen mußte. Als Paris 1870<lb/> belagert wurde und sich auf die eigue Kraft angewiesen sah, war sein Wider¬<lb/> stand, vom militärischen Gesichtspunkte beurteilt, schwächlich, namentlich hatte»<lb/> die Ausfälle einen fast kläglichen Charakter. Nun verwirft Clemeneeau nicht<lb/> nur den Krieg in Tvnking und andre militärische Expeditionen in Kolvnial-<lb/> sachen, sondern auch jeden gewaltsamen Versuch, Elsaß-Lothringen wieder zu<lb/> gewinnen, indem er überzeugt zu sein behauptet, daß einmal bei einer allgemeinen<lb/> europäischen Grcnzregulirung Frankreich auf friedlichem Wege wieder zu dem<lb/> Seinen gelangen werde. Wir halten das für Aberglaube», freuen uns aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Wahlen und Parteien in Frankreich.
besitzt in der Metropole Frankreichs so gut wie gar keine Anhänger. Dieselbe
ist von der Revolution, der politischen Kritik wie von einer unheilbaren Seuche
angesteckt, deren Wesen sich darin äußert, daß die Bevölkerung, gleichviel, welche
Grundsätze gelten, welche Einrichtungen bestehen, welche Persönlichkeiten regieren,
sich für verpflichtet hält, zu murren, Opposition zu machen und, wenn es an¬
geht, das Bestehende umzuwerfen und auf den Kopf zu stellen, lediglich weil
es besteht, vielleicht nicht immer mit Bewußtsein, immer aber mit dem Triebe,
es fernerhin ebenso zu halten und jedes weiter zu Bestand Gelangte ebenfalls
anzugreifen und, wo möglich, umzustoßen.
Der Hauptgegncr der gemäßigten Republik ist Clemencecm mit seinem An¬
hange. Das Programm, welches diese Politiker empfehlen, kann eines Tages
Annahme beim französischen Volke finden. Gegenwärtig fehlt es ihm an
Freunden in der Provinz, seine Politik ist im wesentlichen Pariser Weisheit,
die auch in drei oder vier großen Bevölkerungszentre», in Lyon, Marseille und
Bordeaux, dem Geschmacke der Menge zusagt. Es könnte auch unter den Bauern
populär werden, nnr müßte es vorher von seinen sozialistischen Artikeln gesäubert
werden; sonst empfiehlt es sich dieser Klasse der Bevölkerung besonders dadurch,
daß es „auswärtige Abenteuer" emphatisch zurückweist. Das bäuerliche Frankreich
empfindet die Wehrpflicht und die Aushebung schwer, es verabscheut allen Krieg
und würde es mit Jubel begrüßen, wenn die Armee abgeschafft werden könnte. Sach¬
kenner finden dies begreiflich. Die Bevölkerung der großen Städte leidet in ihrer
Mehrzahl so schwer von ungünstigen Existenzbedingungen, daß sie nnr einen kleinen
Teil der Rekruten zu liefern vermag, die man zur Ergänzung des Heeres bedarf.
Man stellt in Frankreich an deren körperliche Tüchtigkeit geringe Anforderungen,
und so enthalten die französischen Regimenter viele Mannschaften, die man bei
uns zurückgewiesen haben würde. Die Pariser entsprechen aber vielfach uicht
einmal diesen mäßigen Anforderungen der Militärbehörden, und so kommt es,
daß sie noch lange nicht die Hälfte der Zahl von Soldaten stellen, die sie zu
stellen haben würden, wenn ihre jungen Leute die nötige Länge, Brustweite und
Gesundheit besäßen. Die Folge ist, daß die Landdistrikte den Mangel ersetzen
und mehr Rekruten liefern müssen, als sie sonst brauchten, und als sie ohne
Nachteil entbehren können. Man darf sagen, daß, wenn der Pariser nach Krieg
schrie, uicht sowohl er, als der Bauer ihn führen mußte. Als Paris 1870
belagert wurde und sich auf die eigue Kraft angewiesen sah, war sein Wider¬
stand, vom militärischen Gesichtspunkte beurteilt, schwächlich, namentlich hatte»
die Ausfälle einen fast kläglichen Charakter. Nun verwirft Clemeneeau nicht
nur den Krieg in Tvnking und andre militärische Expeditionen in Kolvnial-
sachen, sondern auch jeden gewaltsamen Versuch, Elsaß-Lothringen wieder zu
gewinnen, indem er überzeugt zu sein behauptet, daß einmal bei einer allgemeinen
europäischen Grcnzregulirung Frankreich auf friedlichem Wege wieder zu dem
Seinen gelangen werde. Wir halten das für Aberglaube», freuen uns aber
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