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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Eine andre Stelle ist die, wo er neben der ohnmächtigen Judith knieend in die
Worte ausbricht:


Mein !se sie heute, und mein soll sie bleiben
Diesseits und jenseits, mag der Schlund der Hölle
Sich vor uns öffnen, jauchzen werden wir ze.

Endlich noch eine Stelle, die so recht dazu angethan ist, den Widerspruch zwischen
dem Lärm der Worte und dem Mangel an der ihnen entsprechenden Substanz
darzuthun:


Zerrissen von der Karolinger Meute --
Die Flammen, die die Welt durchlodertcn,
Erstickt vom Schwalle der Alltäglichkeit!

Mag es damit genug sein. Wir kommen auf das zurück, wovon wir aus¬
gingen: daß das Böse als solches uns kein andres Interesse abgewinnen
kann, als ein negatives, den Wunsch nämlich, daß wir vor ihm behütet werden
mögen. So ist es hier. Wenn wir den Grafen von Barcelona im letzten Akte
unter den Streichen seiner Feinde fallen sehen, so geschieht es mit dem ganz
besondern Gefühle der Genugthuung, daß wir nicht nötig haben, uns noch in
einem weitern Akte mit seinem Unwesen zu befassen.

Von deu andern Personen des Dramas, die wir zu betrachten haben, tritt
am meisten Judith hervor. Ich habe schon von der Szene gesprochen, in welcher
Bernhard zuerst mit ihr zusammentrifft. Ein ähnlicher Auftritt, aber von noch
widerwärtigerem Charakter, ist derjenige, in welchem sich die Kaiserin ganz ihrem
Verführer hingiebt. Es ist mir unbegreiflich, wie der Dichter solche Vorgänge
auf die Bühne bringen kann. Wenn er in dem bekannten Motto sagt, daß der
Historiker nur die Zeilen lese', der Poet auch den Sinn derselben erkläre, so
muß ich ihn ans etwas aufmerksam machen, was er ohne Zweifel weiß, aber
für den Augenblick vergessen zu haben scheint, daß schon ans unsern Schulen
die Geschichte pragmatisch behandelt wird. Jeder Geschichtslehrer belehrt seine
Schüler über den Charakter der Judith: mit ihrer ehelichen Treue war es nicht
zum Besten bestellt, aber er hütet sich, darüber wie über andre ähnliche Dinge
den Schleier weiter zu lüften, als der Zusammenhang und die geforderte Ob¬
jektivität im Geschichtsunterrichte verlangen. Auch in der Thätigkeit des dra¬
matischen Dichters ist ein hervorragendes Moment das erziehliche. Aber nicht
bloß Erwägungen von der Moral hergenommen, sondern auch ästhetische hätten
ihn veranlassen sollen, vorsichtiger zu sein. Wie kommt es, daß er sich soweit
gehen läßt und auf offener Bühne die Kaiserin zur Metze macht? Heißt das
den Sinn der Geschichte erklären? Eine innere Notwendigkeit liegt nicht vor,
sie von der Seite ihres schlafenden Sohnes hinweg in den Garten zu locken,
denn mit den politischen Absichten des Grafen hat es nicht das mindeste zu
thun. Außer dem Bedürfnis des Effekts also und die Sinne zu erregen kann
kein andrer Grund für die Szene vorliegen, als um durch sie den Tod der


Eine andre Stelle ist die, wo er neben der ohnmächtigen Judith knieend in die
Worte ausbricht:


Mein !se sie heute, und mein soll sie bleiben
Diesseits und jenseits, mag der Schlund der Hölle
Sich vor uns öffnen, jauchzen werden wir ze.

Endlich noch eine Stelle, die so recht dazu angethan ist, den Widerspruch zwischen
dem Lärm der Worte und dem Mangel an der ihnen entsprechenden Substanz
darzuthun:


Zerrissen von der Karolinger Meute —
Die Flammen, die die Welt durchlodertcn,
Erstickt vom Schwalle der Alltäglichkeit!

Mag es damit genug sein. Wir kommen auf das zurück, wovon wir aus¬
gingen: daß das Böse als solches uns kein andres Interesse abgewinnen
kann, als ein negatives, den Wunsch nämlich, daß wir vor ihm behütet werden
mögen. So ist es hier. Wenn wir den Grafen von Barcelona im letzten Akte
unter den Streichen seiner Feinde fallen sehen, so geschieht es mit dem ganz
besondern Gefühle der Genugthuung, daß wir nicht nötig haben, uns noch in
einem weitern Akte mit seinem Unwesen zu befassen.

Von deu andern Personen des Dramas, die wir zu betrachten haben, tritt
am meisten Judith hervor. Ich habe schon von der Szene gesprochen, in welcher
Bernhard zuerst mit ihr zusammentrifft. Ein ähnlicher Auftritt, aber von noch
widerwärtigerem Charakter, ist derjenige, in welchem sich die Kaiserin ganz ihrem
Verführer hingiebt. Es ist mir unbegreiflich, wie der Dichter solche Vorgänge
auf die Bühne bringen kann. Wenn er in dem bekannten Motto sagt, daß der
Historiker nur die Zeilen lese', der Poet auch den Sinn derselben erkläre, so
muß ich ihn ans etwas aufmerksam machen, was er ohne Zweifel weiß, aber
für den Augenblick vergessen zu haben scheint, daß schon ans unsern Schulen
die Geschichte pragmatisch behandelt wird. Jeder Geschichtslehrer belehrt seine
Schüler über den Charakter der Judith: mit ihrer ehelichen Treue war es nicht
zum Besten bestellt, aber er hütet sich, darüber wie über andre ähnliche Dinge
den Schleier weiter zu lüften, als der Zusammenhang und die geforderte Ob¬
jektivität im Geschichtsunterrichte verlangen. Auch in der Thätigkeit des dra¬
matischen Dichters ist ein hervorragendes Moment das erziehliche. Aber nicht
bloß Erwägungen von der Moral hergenommen, sondern auch ästhetische hätten
ihn veranlassen sollen, vorsichtiger zu sein. Wie kommt es, daß er sich soweit
gehen läßt und auf offener Bühne die Kaiserin zur Metze macht? Heißt das
den Sinn der Geschichte erklären? Eine innere Notwendigkeit liegt nicht vor,
sie von der Seite ihres schlafenden Sohnes hinweg in den Garten zu locken,
denn mit den politischen Absichten des Grafen hat es nicht das mindeste zu
thun. Außer dem Bedürfnis des Effekts also und die Sinne zu erregen kann
kein andrer Grund für die Szene vorliegen, als um durch sie den Tod der


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[0381] Eine andre Stelle ist die, wo er neben der ohnmächtigen Judith knieend in die Worte ausbricht: Mein !se sie heute, und mein soll sie bleiben Diesseits und jenseits, mag der Schlund der Hölle Sich vor uns öffnen, jauchzen werden wir ze. Endlich noch eine Stelle, die so recht dazu angethan ist, den Widerspruch zwischen dem Lärm der Worte und dem Mangel an der ihnen entsprechenden Substanz darzuthun: Zerrissen von der Karolinger Meute — Die Flammen, die die Welt durchlodertcn, Erstickt vom Schwalle der Alltäglichkeit! Mag es damit genug sein. Wir kommen auf das zurück, wovon wir aus¬ gingen: daß das Böse als solches uns kein andres Interesse abgewinnen kann, als ein negatives, den Wunsch nämlich, daß wir vor ihm behütet werden mögen. So ist es hier. Wenn wir den Grafen von Barcelona im letzten Akte unter den Streichen seiner Feinde fallen sehen, so geschieht es mit dem ganz besondern Gefühle der Genugthuung, daß wir nicht nötig haben, uns noch in einem weitern Akte mit seinem Unwesen zu befassen. Von deu andern Personen des Dramas, die wir zu betrachten haben, tritt am meisten Judith hervor. Ich habe schon von der Szene gesprochen, in welcher Bernhard zuerst mit ihr zusammentrifft. Ein ähnlicher Auftritt, aber von noch widerwärtigerem Charakter, ist derjenige, in welchem sich die Kaiserin ganz ihrem Verführer hingiebt. Es ist mir unbegreiflich, wie der Dichter solche Vorgänge auf die Bühne bringen kann. Wenn er in dem bekannten Motto sagt, daß der Historiker nur die Zeilen lese', der Poet auch den Sinn derselben erkläre, so muß ich ihn ans etwas aufmerksam machen, was er ohne Zweifel weiß, aber für den Augenblick vergessen zu haben scheint, daß schon ans unsern Schulen die Geschichte pragmatisch behandelt wird. Jeder Geschichtslehrer belehrt seine Schüler über den Charakter der Judith: mit ihrer ehelichen Treue war es nicht zum Besten bestellt, aber er hütet sich, darüber wie über andre ähnliche Dinge den Schleier weiter zu lüften, als der Zusammenhang und die geforderte Ob¬ jektivität im Geschichtsunterrichte verlangen. Auch in der Thätigkeit des dra¬ matischen Dichters ist ein hervorragendes Moment das erziehliche. Aber nicht bloß Erwägungen von der Moral hergenommen, sondern auch ästhetische hätten ihn veranlassen sollen, vorsichtiger zu sein. Wie kommt es, daß er sich soweit gehen läßt und auf offener Bühne die Kaiserin zur Metze macht? Heißt das den Sinn der Geschichte erklären? Eine innere Notwendigkeit liegt nicht vor, sie von der Seite ihres schlafenden Sohnes hinweg in den Garten zu locken, denn mit den politischen Absichten des Grafen hat es nicht das mindeste zu thun. Außer dem Bedürfnis des Effekts also und die Sinne zu erregen kann kein andrer Grund für die Szene vorliegen, als um durch sie den Tod der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/381>, abgerufen am 01.09.2024.