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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die dramatische Kunst L. v. Wildenbruchs,

Streben seines Ehrgeizes zurückgesetzt glaubt. Alles dies sind alte Wahrheiten,
die von Lessing und andern viel besser erörtert worden sind, als wir es hier
vermögen, und doch müssen sie immer von neuem gepredigt werden, weil immer
von neuem dagegen gesündigt wird.

Auch von Wildenbruch. Es ist zu verwundern, mit welcher Leichtigkeit er
seinen dramatischen Becher aus dem Weltmeere der Geschichte anfüllt und in
welcher Mischung er uns den Labetrunk vorhält. Da ist nicht einmal ein Ver¬
such, die infernalische Schlechtigkeit des Grafen von Barcelona psychologisch zu
motiviren. Oder man müßte den Umstand dafür geltend machen, daß in irgend¬
einer frühern Zeit, als der alte Kaiser Ludwig die Judith zur zweiten Ge¬
mahlin nahm, der Graf Bernhard in Liebe zu der schönen Welfentochter ent¬
brannt gewesen ist. Aber abgesehen davon, daß sie keine Ahnung von dieser
Neigung und nach dem Drama uicht einmal Kenntnis von ihrem Liebhaber
gehabt hat, ist dies ebensowenig ein ausreichendes Motiv, um der Kaiserin in
der unvermittelter Weise, wie es geschieht, mit seinen Anträgen zu nacher, als
seine Siege in der spanischen Mark es sind, um seine Ansprüche auf das Reich
Karls des Großen zu erklären. Von diesen seinen Siegen hören wir nur aus
seinem eignen Munde, und das ist nicht genug. Wenn wir sie selbst nicht sehen
können und doch an sie glauben sollen, so müssen sie sich widerspiegeln, sei es
in den Berichten von Augenzeugen, welche die ganze Vortrefflichkeit des Gefeierten
wiedergeben, oder in der Dankbarkeit desjenigen, dem seine Thaten zugute ge¬
kommen sind. So wird die Heldenkraft Macbeths aus den Gnadcnbeweisen
klar, mit denen König Duncan ihn überhäuft, und Othellos Wert zeigt sich in
der Anerkennung, die ihm von Freund und Feind gezollt wird. Von all diesem
oder ähnlichem ist hier nichts zu sehen. Bernhard von Barcelona drängt sich
ganz unvermittelt, ebensowenig gekannt von den Großen des Reiches als vom
Kaiser und seinen Verwandten, mitten in die Dinge hinein und macht sich zum
Helden des Stückes.

Im ersten Akte erklärt sich ans Zureden des Abtes Wala von Corvey Kaiser
Ludwig bereit, am ersten Teilnngspakte festzuhalten. Da gewinnt Graf Bern¬
hard aus der spanischen Mark die Liebe der Kaiserin und damit die Zustim¬
mung, ihrem Sohne Karl zum Throne zu verhelfen. Nachdem im zweiten Alte
der frühere Vertrag erneuert und der junge Karl vom Throne ausgestoßen
worden ist, weiß Bernhard, den der Kaiser kurz vorher zum Kämmerer ernannt
hat, durch Vorzeigung einer Botschaft König Pipins an seine Brüder den Be¬
weis der Verrüterei dieser drei zu erbringen und dadurch die ebengefaßten Be¬
schlüsse zunichte zu machen. In stürmischer Verhandlung wird Karl als König
gekrönt und seinen Brüdern gleichgestellt. Bis zu diesem Punkte gehen die
Interessen Bernhards mit denen des jungen Königs zusammen; von nnn an
treten sie in den Vordergrund. Im dritten Alte gilt es, die Kaiserin auf dem
Pfade ihrer verbrecherischen Liebe weiter fortzureißen. Das geschieht in der


Gronzbotm III, 1885. 47
Die dramatische Kunst L. v. Wildenbruchs,

Streben seines Ehrgeizes zurückgesetzt glaubt. Alles dies sind alte Wahrheiten,
die von Lessing und andern viel besser erörtert worden sind, als wir es hier
vermögen, und doch müssen sie immer von neuem gepredigt werden, weil immer
von neuem dagegen gesündigt wird.

Auch von Wildenbruch. Es ist zu verwundern, mit welcher Leichtigkeit er
seinen dramatischen Becher aus dem Weltmeere der Geschichte anfüllt und in
welcher Mischung er uns den Labetrunk vorhält. Da ist nicht einmal ein Ver¬
such, die infernalische Schlechtigkeit des Grafen von Barcelona psychologisch zu
motiviren. Oder man müßte den Umstand dafür geltend machen, daß in irgend¬
einer frühern Zeit, als der alte Kaiser Ludwig die Judith zur zweiten Ge¬
mahlin nahm, der Graf Bernhard in Liebe zu der schönen Welfentochter ent¬
brannt gewesen ist. Aber abgesehen davon, daß sie keine Ahnung von dieser
Neigung und nach dem Drama uicht einmal Kenntnis von ihrem Liebhaber
gehabt hat, ist dies ebensowenig ein ausreichendes Motiv, um der Kaiserin in
der unvermittelter Weise, wie es geschieht, mit seinen Anträgen zu nacher, als
seine Siege in der spanischen Mark es sind, um seine Ansprüche auf das Reich
Karls des Großen zu erklären. Von diesen seinen Siegen hören wir nur aus
seinem eignen Munde, und das ist nicht genug. Wenn wir sie selbst nicht sehen
können und doch an sie glauben sollen, so müssen sie sich widerspiegeln, sei es
in den Berichten von Augenzeugen, welche die ganze Vortrefflichkeit des Gefeierten
wiedergeben, oder in der Dankbarkeit desjenigen, dem seine Thaten zugute ge¬
kommen sind. So wird die Heldenkraft Macbeths aus den Gnadcnbeweisen
klar, mit denen König Duncan ihn überhäuft, und Othellos Wert zeigt sich in
der Anerkennung, die ihm von Freund und Feind gezollt wird. Von all diesem
oder ähnlichem ist hier nichts zu sehen. Bernhard von Barcelona drängt sich
ganz unvermittelt, ebensowenig gekannt von den Großen des Reiches als vom
Kaiser und seinen Verwandten, mitten in die Dinge hinein und macht sich zum
Helden des Stückes.

Im ersten Akte erklärt sich ans Zureden des Abtes Wala von Corvey Kaiser
Ludwig bereit, am ersten Teilnngspakte festzuhalten. Da gewinnt Graf Bern¬
hard aus der spanischen Mark die Liebe der Kaiserin und damit die Zustim¬
mung, ihrem Sohne Karl zum Throne zu verhelfen. Nachdem im zweiten Alte
der frühere Vertrag erneuert und der junge Karl vom Throne ausgestoßen
worden ist, weiß Bernhard, den der Kaiser kurz vorher zum Kämmerer ernannt
hat, durch Vorzeigung einer Botschaft König Pipins an seine Brüder den Be¬
weis der Verrüterei dieser drei zu erbringen und dadurch die ebengefaßten Be¬
schlüsse zunichte zu machen. In stürmischer Verhandlung wird Karl als König
gekrönt und seinen Brüdern gleichgestellt. Bis zu diesem Punkte gehen die
Interessen Bernhards mit denen des jungen Königs zusammen; von nnn an
treten sie in den Vordergrund. Im dritten Alte gilt es, die Kaiserin auf dem
Pfade ihrer verbrecherischen Liebe weiter fortzureißen. Das geschieht in der


Gronzbotm III, 1885. 47
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[0377] Die dramatische Kunst L. v. Wildenbruchs, Streben seines Ehrgeizes zurückgesetzt glaubt. Alles dies sind alte Wahrheiten, die von Lessing und andern viel besser erörtert worden sind, als wir es hier vermögen, und doch müssen sie immer von neuem gepredigt werden, weil immer von neuem dagegen gesündigt wird. Auch von Wildenbruch. Es ist zu verwundern, mit welcher Leichtigkeit er seinen dramatischen Becher aus dem Weltmeere der Geschichte anfüllt und in welcher Mischung er uns den Labetrunk vorhält. Da ist nicht einmal ein Ver¬ such, die infernalische Schlechtigkeit des Grafen von Barcelona psychologisch zu motiviren. Oder man müßte den Umstand dafür geltend machen, daß in irgend¬ einer frühern Zeit, als der alte Kaiser Ludwig die Judith zur zweiten Ge¬ mahlin nahm, der Graf Bernhard in Liebe zu der schönen Welfentochter ent¬ brannt gewesen ist. Aber abgesehen davon, daß sie keine Ahnung von dieser Neigung und nach dem Drama uicht einmal Kenntnis von ihrem Liebhaber gehabt hat, ist dies ebensowenig ein ausreichendes Motiv, um der Kaiserin in der unvermittelter Weise, wie es geschieht, mit seinen Anträgen zu nacher, als seine Siege in der spanischen Mark es sind, um seine Ansprüche auf das Reich Karls des Großen zu erklären. Von diesen seinen Siegen hören wir nur aus seinem eignen Munde, und das ist nicht genug. Wenn wir sie selbst nicht sehen können und doch an sie glauben sollen, so müssen sie sich widerspiegeln, sei es in den Berichten von Augenzeugen, welche die ganze Vortrefflichkeit des Gefeierten wiedergeben, oder in der Dankbarkeit desjenigen, dem seine Thaten zugute ge¬ kommen sind. So wird die Heldenkraft Macbeths aus den Gnadcnbeweisen klar, mit denen König Duncan ihn überhäuft, und Othellos Wert zeigt sich in der Anerkennung, die ihm von Freund und Feind gezollt wird. Von all diesem oder ähnlichem ist hier nichts zu sehen. Bernhard von Barcelona drängt sich ganz unvermittelt, ebensowenig gekannt von den Großen des Reiches als vom Kaiser und seinen Verwandten, mitten in die Dinge hinein und macht sich zum Helden des Stückes. Im ersten Akte erklärt sich ans Zureden des Abtes Wala von Corvey Kaiser Ludwig bereit, am ersten Teilnngspakte festzuhalten. Da gewinnt Graf Bern¬ hard aus der spanischen Mark die Liebe der Kaiserin und damit die Zustim¬ mung, ihrem Sohne Karl zum Throne zu verhelfen. Nachdem im zweiten Alte der frühere Vertrag erneuert und der junge Karl vom Throne ausgestoßen worden ist, weiß Bernhard, den der Kaiser kurz vorher zum Kämmerer ernannt hat, durch Vorzeigung einer Botschaft König Pipins an seine Brüder den Be¬ weis der Verrüterei dieser drei zu erbringen und dadurch die ebengefaßten Be¬ schlüsse zunichte zu machen. In stürmischer Verhandlung wird Karl als König gekrönt und seinen Brüdern gleichgestellt. Bis zu diesem Punkte gehen die Interessen Bernhards mit denen des jungen Königs zusammen; von nnn an treten sie in den Vordergrund. Im dritten Alte gilt es, die Kaiserin auf dem Pfade ihrer verbrecherischen Liebe weiter fortzureißen. Das geschieht in der Gronzbotm III, 1885. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/377>, abgerufen am 01.09.2024.