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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die dramatische Aunst L. v. Wildenbruchs.

als Titel eines Schauspieles angegeben sieht, demselben auch den Gang und
die Einheit geben.

Indes nicht mit Unrecht könnte man dies als eine Äußerlichkeit bezeichnen,
und wir wollen deshalb nicht langer mit dem Dichter darüber rechten. Das
Schild, welches am Wirtshause angebracht ist, täuscht über den Namen des
Weines, der drinnen vorgesetzt wird, aber was macht's aus, wenn der Wein selbst
nur feurig ist und Blume hat und dem lechzender Trinker Erquickung gewährt!
Nicht von ungefähr habe ich gerade dies Bild gewühlt. Wildenbruch hat in
neuester Zeit folgendes Rezept über die Zubereitung eines Dramas ausgegeben:


Fang' ein Meer in einem Becher,
Größer nicht sei der Pokal,
Als ihn mühelos ein Zecher
Schlürfen kann mit einem mal.
Laß den Trunk im Becher gähren,
Misch' zum Herben Süßes ein,
Laß verkühlend ihn sich klären
Und das Drama es ist dein.

Und so wäre denn die Frage, welchen Trunk er uns in der vorliegenden Tra¬
gödie kredenzt hat. Es ist meine Meinung, daß da nur Herdes zur Verwendung
gekommen ist, und daß das Süße, welches nach Wildcnbruchs Urteil mit unter¬
laufen soll, von dem Herben verschlungen wird wie ein Tropfen Regenwasser
von der Salzflut des Weltmeeres. Das kommt daher, daß der Graf von
Barcelona, der, um auch das nebenbei zu bemerken, nicht etwa im Auftrage
einer Partei der Karolinger, sondern nur in seinem Interesse handelt, in all
seinem Thun und Lassen ein Bösewicht, und nur ein Bösewicht ist.

Es ist immer ein verfängliches Unternehmen, einen Menschen, der zum
Schaden seiner Mitwelt die Gebote der Moral nicht achtet, zum Helden eines
Dramas zu machen, und zwar deshalb, weil er seine schwer beizubringende Be¬
rechtigung nachweisen muß. Shakespeare ist dieser Aufgabe in zweien seiner
größten Tragödien gerecht geworden. Von diesen hat man "Richard den Dritten"
angefochten, aber von andrer Seite sind die gewichtigsten Gründe für den hohen
Wert der Dichtung beigebracht worden. Schon lange hat man erkannt, daß sowohl
die Kraft als auch die Begierde zu herrschen, welche im ganzen Hause der Plan¬
tagenets hervortritt, in "Richard dem Dritten" zum stärksten Ausdruck gelangt. In
ihm vollzieht sich abschließend das Verhängnis, das auf dem ganzen Gchlechtc
ruht und darin besteht, Schuld auf Schuld zu häufen und schließlich in einer
maßlosen Häufung von Leiden die der ewigen Gerechtigkeit schuldige Sühne
Zu zahlen. Persönlich kommt für ihn noch hinzu, daß nußer unübertroffner
Herrscherkraft die Natur ihm einen häßlichen, mißgestalteten Körper gab.
Richard ist in der schlimmsten Lage. Vom Throne hält ihn trotz seiner Ne-
gimtengabcu die Willkürlichkeit des Gesetzes, von heiterm Lebensgenusse die


Die dramatische Aunst L. v. Wildenbruchs.

als Titel eines Schauspieles angegeben sieht, demselben auch den Gang und
die Einheit geben.

Indes nicht mit Unrecht könnte man dies als eine Äußerlichkeit bezeichnen,
und wir wollen deshalb nicht langer mit dem Dichter darüber rechten. Das
Schild, welches am Wirtshause angebracht ist, täuscht über den Namen des
Weines, der drinnen vorgesetzt wird, aber was macht's aus, wenn der Wein selbst
nur feurig ist und Blume hat und dem lechzender Trinker Erquickung gewährt!
Nicht von ungefähr habe ich gerade dies Bild gewühlt. Wildenbruch hat in
neuester Zeit folgendes Rezept über die Zubereitung eines Dramas ausgegeben:


Fang' ein Meer in einem Becher,
Größer nicht sei der Pokal,
Als ihn mühelos ein Zecher
Schlürfen kann mit einem mal.
Laß den Trunk im Becher gähren,
Misch' zum Herben Süßes ein,
Laß verkühlend ihn sich klären
Und das Drama es ist dein.

Und so wäre denn die Frage, welchen Trunk er uns in der vorliegenden Tra¬
gödie kredenzt hat. Es ist meine Meinung, daß da nur Herdes zur Verwendung
gekommen ist, und daß das Süße, welches nach Wildcnbruchs Urteil mit unter¬
laufen soll, von dem Herben verschlungen wird wie ein Tropfen Regenwasser
von der Salzflut des Weltmeeres. Das kommt daher, daß der Graf von
Barcelona, der, um auch das nebenbei zu bemerken, nicht etwa im Auftrage
einer Partei der Karolinger, sondern nur in seinem Interesse handelt, in all
seinem Thun und Lassen ein Bösewicht, und nur ein Bösewicht ist.

Es ist immer ein verfängliches Unternehmen, einen Menschen, der zum
Schaden seiner Mitwelt die Gebote der Moral nicht achtet, zum Helden eines
Dramas zu machen, und zwar deshalb, weil er seine schwer beizubringende Be¬
rechtigung nachweisen muß. Shakespeare ist dieser Aufgabe in zweien seiner
größten Tragödien gerecht geworden. Von diesen hat man „Richard den Dritten"
angefochten, aber von andrer Seite sind die gewichtigsten Gründe für den hohen
Wert der Dichtung beigebracht worden. Schon lange hat man erkannt, daß sowohl
die Kraft als auch die Begierde zu herrschen, welche im ganzen Hause der Plan¬
tagenets hervortritt, in „Richard dem Dritten" zum stärksten Ausdruck gelangt. In
ihm vollzieht sich abschließend das Verhängnis, das auf dem ganzen Gchlechtc
ruht und darin besteht, Schuld auf Schuld zu häufen und schließlich in einer
maßlosen Häufung von Leiden die der ewigen Gerechtigkeit schuldige Sühne
Zu zahlen. Persönlich kommt für ihn noch hinzu, daß nußer unübertroffner
Herrscherkraft die Natur ihm einen häßlichen, mißgestalteten Körper gab.
Richard ist in der schlimmsten Lage. Vom Throne hält ihn trotz seiner Ne-
gimtengabcu die Willkürlichkeit des Gesetzes, von heiterm Lebensgenusse die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/375>, abgerufen am 01.09.2024.