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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe ans Wien.

geschrittene Entwicklung des Künstlers wesentlich verändert. Namentlich im
dritten Entwürfe -- dem, welcher ausgeführt wird -- ist die ganze Archi¬
tektur von Hascnaucr entwürfen, nachdem schon im zweiten Semper an dieser
viel geändert haben soll. Jetzt ist die Anlage des ganzen Werkes ungefähr diese.
Auf einem architektonisch reich entwickelten säulcngetragenen Mittelbau erhebt sich
die sitzende Gestalt der Kaiserin. An den Seiten des Mittelbaues sind große
Reliefs angebracht; von der Basis derselben gehen vier Plattformen ans, auf
denen kolossale Reiterbilder stehen, welche die großen Generäle der Kaiserin dar¬
stellen: wir erinnern uns, davon Laudon, Dann und Khevenhüller im Atelier
fast völlig fertig gesehen zu haben. Zwischen diesen Reiterbildern befinden sich,
wieder auf eigner Plattform angebracht, vier überlebensgroße Einzelfiguren -- dar¬
unter Kaunitz --, teilweise die hinter ihnen stehenden Reliefs verdeckend. Die
Ähnlichkeit mit Rauchs Friedrich II. ist aber unverkennbar. Nichtsdestoweniger
werden die beiden Denkmäler doch sehr verschieden wirken. Rauch hat keine
andern Rücksichten zu nehmen brauchen, als die ihm seine Kunst auferlegte.
Der Mittelbau seines Werkes entbehrt fast jeder architektonischen Gliederung,
der ganze Bau ist ein streng einheitlicher. Sämtliche Figuren, die um den
Mittelbau herum angebracht sind, stehen mit den Reitern, die ans den Reliefs
hervorkommen, und mit den Reliefs selbst auf einem einheitlichen Schauplatze:
alles gehört zusammen und wirkt zusammen. Ganz anders bei dem Maria-
Thcresia-Denk'mal. Der Mittelbau ist fast quadratisch ^ der Grundriß des
Stuhles, auf dem die Kaiserin sitzt, brachte das mit sich, dadurch wird er
schlank und erscheint sehr hoch. Eine rcichentwickelte Architektur -- Säulen,
Bogen, überhängende Gesimse -- heben ihn noch mehr hervor und machen ihn
viel zu wichtig: er wird gleichsam Selbstzweck anstatt Mittel zum Zwecke.
Auch von einem einheitlichen Schauplätze um den Mittelbau herum ist keine
Rede. Die Reiterfiguren kommen nicht aus den Reliefs hervor, sie stehen ganz
frei, vielleicht zu frei. Der zur Seite stehende Beschauer wird drei Reiter in
verschiedner Richtung auscinanderreiten sehen, und vor dem Modelle wenig¬
stens denkt man an ein Karoussel, wie es alte Kupferstecher darzustellen liebten.
Zwischen den Ncitcrgestalten stehen, wie schon erwähnt, große Einzelfiguren.
Was suchen diese da? fragt man unwillkürlich. Deun sie wissen von den Reitern
nichts und wissen von den Reliefs hinter sich noch weniger. Die Reliefs selbst
sind allerdings nicht ganz ohne Rücksicht ans die Figuren komponirt, aber
die Rücksicht ist bloß äußerlich, d. h. die Reliefs haben in der Mitte einen
freien Raum, den die vorstehende, tiefer stehende Figur zu verdecken und aus-
zufüllen berufen ist. Nun braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Reliefs
als solche dadurch keineswegs gewonnen haben, die Komposition wird dadurch
zerrissen. Doch kann man hier überhaupt uoch von Koniposition sprechen? Zum-
bnsch stellt die Figuren nur so nebeneinander hin, sie sind eine jede für sich, haben
nichts miteinander gemein. Uns dünkt aber, daß damit die Natur des Reliefs


Unpolitische Briefe ans Wien.

geschrittene Entwicklung des Künstlers wesentlich verändert. Namentlich im
dritten Entwürfe — dem, welcher ausgeführt wird — ist die ganze Archi¬
tektur von Hascnaucr entwürfen, nachdem schon im zweiten Semper an dieser
viel geändert haben soll. Jetzt ist die Anlage des ganzen Werkes ungefähr diese.
Auf einem architektonisch reich entwickelten säulcngetragenen Mittelbau erhebt sich
die sitzende Gestalt der Kaiserin. An den Seiten des Mittelbaues sind große
Reliefs angebracht; von der Basis derselben gehen vier Plattformen ans, auf
denen kolossale Reiterbilder stehen, welche die großen Generäle der Kaiserin dar¬
stellen: wir erinnern uns, davon Laudon, Dann und Khevenhüller im Atelier
fast völlig fertig gesehen zu haben. Zwischen diesen Reiterbildern befinden sich,
wieder auf eigner Plattform angebracht, vier überlebensgroße Einzelfiguren — dar¬
unter Kaunitz —, teilweise die hinter ihnen stehenden Reliefs verdeckend. Die
Ähnlichkeit mit Rauchs Friedrich II. ist aber unverkennbar. Nichtsdestoweniger
werden die beiden Denkmäler doch sehr verschieden wirken. Rauch hat keine
andern Rücksichten zu nehmen brauchen, als die ihm seine Kunst auferlegte.
Der Mittelbau seines Werkes entbehrt fast jeder architektonischen Gliederung,
der ganze Bau ist ein streng einheitlicher. Sämtliche Figuren, die um den
Mittelbau herum angebracht sind, stehen mit den Reitern, die ans den Reliefs
hervorkommen, und mit den Reliefs selbst auf einem einheitlichen Schauplatze:
alles gehört zusammen und wirkt zusammen. Ganz anders bei dem Maria-
Thcresia-Denk'mal. Der Mittelbau ist fast quadratisch ^ der Grundriß des
Stuhles, auf dem die Kaiserin sitzt, brachte das mit sich, dadurch wird er
schlank und erscheint sehr hoch. Eine rcichentwickelte Architektur — Säulen,
Bogen, überhängende Gesimse — heben ihn noch mehr hervor und machen ihn
viel zu wichtig: er wird gleichsam Selbstzweck anstatt Mittel zum Zwecke.
Auch von einem einheitlichen Schauplätze um den Mittelbau herum ist keine
Rede. Die Reiterfiguren kommen nicht aus den Reliefs hervor, sie stehen ganz
frei, vielleicht zu frei. Der zur Seite stehende Beschauer wird drei Reiter in
verschiedner Richtung auscinanderreiten sehen, und vor dem Modelle wenig¬
stens denkt man an ein Karoussel, wie es alte Kupferstecher darzustellen liebten.
Zwischen den Ncitcrgestalten stehen, wie schon erwähnt, große Einzelfiguren.
Was suchen diese da? fragt man unwillkürlich. Deun sie wissen von den Reitern
nichts und wissen von den Reliefs hinter sich noch weniger. Die Reliefs selbst
sind allerdings nicht ganz ohne Rücksicht ans die Figuren komponirt, aber
die Rücksicht ist bloß äußerlich, d. h. die Reliefs haben in der Mitte einen
freien Raum, den die vorstehende, tiefer stehende Figur zu verdecken und aus-
zufüllen berufen ist. Nun braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Reliefs
als solche dadurch keineswegs gewonnen haben, die Komposition wird dadurch
zerrissen. Doch kann man hier überhaupt uoch von Koniposition sprechen? Zum-
bnsch stellt die Figuren nur so nebeneinander hin, sie sind eine jede für sich, haben
nichts miteinander gemein. Uns dünkt aber, daß damit die Natur des Reliefs


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[0370] Unpolitische Briefe ans Wien. geschrittene Entwicklung des Künstlers wesentlich verändert. Namentlich im dritten Entwürfe — dem, welcher ausgeführt wird — ist die ganze Archi¬ tektur von Hascnaucr entwürfen, nachdem schon im zweiten Semper an dieser viel geändert haben soll. Jetzt ist die Anlage des ganzen Werkes ungefähr diese. Auf einem architektonisch reich entwickelten säulcngetragenen Mittelbau erhebt sich die sitzende Gestalt der Kaiserin. An den Seiten des Mittelbaues sind große Reliefs angebracht; von der Basis derselben gehen vier Plattformen ans, auf denen kolossale Reiterbilder stehen, welche die großen Generäle der Kaiserin dar¬ stellen: wir erinnern uns, davon Laudon, Dann und Khevenhüller im Atelier fast völlig fertig gesehen zu haben. Zwischen diesen Reiterbildern befinden sich, wieder auf eigner Plattform angebracht, vier überlebensgroße Einzelfiguren — dar¬ unter Kaunitz —, teilweise die hinter ihnen stehenden Reliefs verdeckend. Die Ähnlichkeit mit Rauchs Friedrich II. ist aber unverkennbar. Nichtsdestoweniger werden die beiden Denkmäler doch sehr verschieden wirken. Rauch hat keine andern Rücksichten zu nehmen brauchen, als die ihm seine Kunst auferlegte. Der Mittelbau seines Werkes entbehrt fast jeder architektonischen Gliederung, der ganze Bau ist ein streng einheitlicher. Sämtliche Figuren, die um den Mittelbau herum angebracht sind, stehen mit den Reitern, die ans den Reliefs hervorkommen, und mit den Reliefs selbst auf einem einheitlichen Schauplatze: alles gehört zusammen und wirkt zusammen. Ganz anders bei dem Maria- Thcresia-Denk'mal. Der Mittelbau ist fast quadratisch ^ der Grundriß des Stuhles, auf dem die Kaiserin sitzt, brachte das mit sich, dadurch wird er schlank und erscheint sehr hoch. Eine rcichentwickelte Architektur — Säulen, Bogen, überhängende Gesimse — heben ihn noch mehr hervor und machen ihn viel zu wichtig: er wird gleichsam Selbstzweck anstatt Mittel zum Zwecke. Auch von einem einheitlichen Schauplätze um den Mittelbau herum ist keine Rede. Die Reiterfiguren kommen nicht aus den Reliefs hervor, sie stehen ganz frei, vielleicht zu frei. Der zur Seite stehende Beschauer wird drei Reiter in verschiedner Richtung auscinanderreiten sehen, und vor dem Modelle wenig¬ stens denkt man an ein Karoussel, wie es alte Kupferstecher darzustellen liebten. Zwischen den Ncitcrgestalten stehen, wie schon erwähnt, große Einzelfiguren. Was suchen diese da? fragt man unwillkürlich. Deun sie wissen von den Reitern nichts und wissen von den Reliefs hinter sich noch weniger. Die Reliefs selbst sind allerdings nicht ganz ohne Rücksicht ans die Figuren komponirt, aber die Rücksicht ist bloß äußerlich, d. h. die Reliefs haben in der Mitte einen freien Raum, den die vorstehende, tiefer stehende Figur zu verdecken und aus- zufüllen berufen ist. Nun braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Reliefs als solche dadurch keineswegs gewonnen haben, die Komposition wird dadurch zerrissen. Doch kann man hier überhaupt uoch von Koniposition sprechen? Zum- bnsch stellt die Figuren nur so nebeneinander hin, sie sind eine jede für sich, haben nichts miteinander gemein. Uns dünkt aber, daß damit die Natur des Reliefs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/370>, abgerufen am 01.09.2024.