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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Über neuere Wiener Privntbauteu ließe sich so manches bemerken. Im
ganzen herrscht eine gute Tradition, die strenge gehandhabt wird. Noch wirkt
hier vielfach eine ältere Schule -- die von van der Null und Siceardsburg -- nach,
die sich namentlich durch klare, charakteristische Zeichnung verrät. Daneben freilich
stößt man mitunter auf jenen trocknen Gräeismns, deren letzter Repräsentant in
Wien der verstorbne Förster war. Einer jüngern Generation -- wenigstens was
ihre künstlerische Manier betrifft -- gehören Thienemann, Stiaßny, Korompay,
Giesel an. Durch ihre Schöpfungen geht ein frischer, fröhlicher Zug, sie Pallirer
mit dem praktischen Bedürfnis und wissen auch in den nüchternsten Vorwurf
etwas Pikantes zu bringen; wir erinnern hier nur an das Porzellanhalls
Kvrompahs.

Wien ist trotz des wirtschaftlichen Niederganges des letzten Jahrzehntes
"och immer auf dein Wege, die architektonisch schönste Stadt des Kontinents
zu werden. Sein Reichtum an historischen Bauten und seine landschaftliche
Lage kommen ihm dabei zugute. Beklagen muß man nur, daß ein alter Gedanke
Ferstels, einen Generalballplan zu schaffen, noch immer nicht verwirklicht worden
ist, ferner daß so mancher alte Bau immer noch der entsprechenden Umgebung
entbehrt. So steht die herrliche Karlskirche ganz vereinzelt, die Stephanskirche
dagegen will ewig nicht frei werden. Schade auch, daß Wien so gut wie keinen
Rohziegelbau besitzt, in dem Berlin wirklich Bedeutendes auszuweisen hat: so
die Neichsbmck, die Kriegsschule, das Friedrichs-Werdersche Gymnasium u. s. w.
Übrigens ist die bauliche Entwicklung der Donaustadt noch lange nicht ab¬
geschlossen. Ein altes Stadtviertel -- zwischen der Rotentnrmstraße und der
Wollzeile, wo die alten Universitätsgebäude stehen -- wird demnächst der
Hacke und der Schaufel zum Opfer fallen, mit der Wienthalreguliruug ist der
Bauthütigkeit in den südwestlichen Vorstädten ein neues Terrain in Aussicht
gestellt, und wir wollen nur hoffen, daß es nicht in der Weise ausgenutzt wird,
wie dies in den Vorstädten und Vororten bis jetzt fast ausschließlich geschieht.
Namentlich eine größere Schonung des dort noch vorhandnen Gnrtengrundes
wäre dringend zu empfehlen, sonst ist die nächste Generation bereits in Gefahr,
M einem Häusermeer zu ersticken.

Eug verwandt mit der Architektur ist die Plastik: beide Künste haben auch
wie gemeinsame Geschichte. Selten tonnen sie einander ganz entraten, und
gerade in ihrem Zusammenwirken sind sie des größten Erfolges sicher. Ein
Denkmal, eine Büste bedarf immer eines, wenn auch noch so unbedeutenden
architektonischen Aufbaues, und bauliche Kunstwerke unsrer Tage entbehren nie
ganz des bildnerischen Schmuckes. Von größter Wichtigkeit ist es nun, bei
einer bestimmten Aufgabe jeder der beiden Künste den gebührenden Raum streng
abzugrenzen. Dies geschieht aber leider nicht immer: meist ist der Architekt in
der Verwendung der Plastik glücklicher als der Plastiker in der Verwendung
der Architektur.


Unpolitische Briefe aus Wien.

Über neuere Wiener Privntbauteu ließe sich so manches bemerken. Im
ganzen herrscht eine gute Tradition, die strenge gehandhabt wird. Noch wirkt
hier vielfach eine ältere Schule — die von van der Null und Siceardsburg — nach,
die sich namentlich durch klare, charakteristische Zeichnung verrät. Daneben freilich
stößt man mitunter auf jenen trocknen Gräeismns, deren letzter Repräsentant in
Wien der verstorbne Förster war. Einer jüngern Generation — wenigstens was
ihre künstlerische Manier betrifft — gehören Thienemann, Stiaßny, Korompay,
Giesel an. Durch ihre Schöpfungen geht ein frischer, fröhlicher Zug, sie Pallirer
mit dem praktischen Bedürfnis und wissen auch in den nüchternsten Vorwurf
etwas Pikantes zu bringen; wir erinnern hier nur an das Porzellanhalls
Kvrompahs.

Wien ist trotz des wirtschaftlichen Niederganges des letzten Jahrzehntes
»och immer auf dein Wege, die architektonisch schönste Stadt des Kontinents
zu werden. Sein Reichtum an historischen Bauten und seine landschaftliche
Lage kommen ihm dabei zugute. Beklagen muß man nur, daß ein alter Gedanke
Ferstels, einen Generalballplan zu schaffen, noch immer nicht verwirklicht worden
ist, ferner daß so mancher alte Bau immer noch der entsprechenden Umgebung
entbehrt. So steht die herrliche Karlskirche ganz vereinzelt, die Stephanskirche
dagegen will ewig nicht frei werden. Schade auch, daß Wien so gut wie keinen
Rohziegelbau besitzt, in dem Berlin wirklich Bedeutendes auszuweisen hat: so
die Neichsbmck, die Kriegsschule, das Friedrichs-Werdersche Gymnasium u. s. w.
Übrigens ist die bauliche Entwicklung der Donaustadt noch lange nicht ab¬
geschlossen. Ein altes Stadtviertel — zwischen der Rotentnrmstraße und der
Wollzeile, wo die alten Universitätsgebäude stehen — wird demnächst der
Hacke und der Schaufel zum Opfer fallen, mit der Wienthalreguliruug ist der
Bauthütigkeit in den südwestlichen Vorstädten ein neues Terrain in Aussicht
gestellt, und wir wollen nur hoffen, daß es nicht in der Weise ausgenutzt wird,
wie dies in den Vorstädten und Vororten bis jetzt fast ausschließlich geschieht.
Namentlich eine größere Schonung des dort noch vorhandnen Gnrtengrundes
wäre dringend zu empfehlen, sonst ist die nächste Generation bereits in Gefahr,
M einem Häusermeer zu ersticken.

Eug verwandt mit der Architektur ist die Plastik: beide Künste haben auch
wie gemeinsame Geschichte. Selten tonnen sie einander ganz entraten, und
gerade in ihrem Zusammenwirken sind sie des größten Erfolges sicher. Ein
Denkmal, eine Büste bedarf immer eines, wenn auch noch so unbedeutenden
architektonischen Aufbaues, und bauliche Kunstwerke unsrer Tage entbehren nie
ganz des bildnerischen Schmuckes. Von größter Wichtigkeit ist es nun, bei
einer bestimmten Aufgabe jeder der beiden Künste den gebührenden Raum streng
abzugrenzen. Dies geschieht aber leider nicht immer: meist ist der Architekt in
der Verwendung der Plastik glücklicher als der Plastiker in der Verwendung
der Architektur.


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[0367] Unpolitische Briefe aus Wien. Über neuere Wiener Privntbauteu ließe sich so manches bemerken. Im ganzen herrscht eine gute Tradition, die strenge gehandhabt wird. Noch wirkt hier vielfach eine ältere Schule — die von van der Null und Siceardsburg — nach, die sich namentlich durch klare, charakteristische Zeichnung verrät. Daneben freilich stößt man mitunter auf jenen trocknen Gräeismns, deren letzter Repräsentant in Wien der verstorbne Förster war. Einer jüngern Generation — wenigstens was ihre künstlerische Manier betrifft — gehören Thienemann, Stiaßny, Korompay, Giesel an. Durch ihre Schöpfungen geht ein frischer, fröhlicher Zug, sie Pallirer mit dem praktischen Bedürfnis und wissen auch in den nüchternsten Vorwurf etwas Pikantes zu bringen; wir erinnern hier nur an das Porzellanhalls Kvrompahs. Wien ist trotz des wirtschaftlichen Niederganges des letzten Jahrzehntes »och immer auf dein Wege, die architektonisch schönste Stadt des Kontinents zu werden. Sein Reichtum an historischen Bauten und seine landschaftliche Lage kommen ihm dabei zugute. Beklagen muß man nur, daß ein alter Gedanke Ferstels, einen Generalballplan zu schaffen, noch immer nicht verwirklicht worden ist, ferner daß so mancher alte Bau immer noch der entsprechenden Umgebung entbehrt. So steht die herrliche Karlskirche ganz vereinzelt, die Stephanskirche dagegen will ewig nicht frei werden. Schade auch, daß Wien so gut wie keinen Rohziegelbau besitzt, in dem Berlin wirklich Bedeutendes auszuweisen hat: so die Neichsbmck, die Kriegsschule, das Friedrichs-Werdersche Gymnasium u. s. w. Übrigens ist die bauliche Entwicklung der Donaustadt noch lange nicht ab¬ geschlossen. Ein altes Stadtviertel — zwischen der Rotentnrmstraße und der Wollzeile, wo die alten Universitätsgebäude stehen — wird demnächst der Hacke und der Schaufel zum Opfer fallen, mit der Wienthalreguliruug ist der Bauthütigkeit in den südwestlichen Vorstädten ein neues Terrain in Aussicht gestellt, und wir wollen nur hoffen, daß es nicht in der Weise ausgenutzt wird, wie dies in den Vorstädten und Vororten bis jetzt fast ausschließlich geschieht. Namentlich eine größere Schonung des dort noch vorhandnen Gnrtengrundes wäre dringend zu empfehlen, sonst ist die nächste Generation bereits in Gefahr, M einem Häusermeer zu ersticken. Eug verwandt mit der Architektur ist die Plastik: beide Künste haben auch wie gemeinsame Geschichte. Selten tonnen sie einander ganz entraten, und gerade in ihrem Zusammenwirken sind sie des größten Erfolges sicher. Ein Denkmal, eine Büste bedarf immer eines, wenn auch noch so unbedeutenden architektonischen Aufbaues, und bauliche Kunstwerke unsrer Tage entbehren nie ganz des bildnerischen Schmuckes. Von größter Wichtigkeit ist es nun, bei einer bestimmten Aufgabe jeder der beiden Künste den gebührenden Raum streng abzugrenzen. Dies geschieht aber leider nicht immer: meist ist der Architekt in der Verwendung der Plastik glücklicher als der Plastiker in der Verwendung der Architektur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/367>, abgerufen am 01.09.2024.