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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Rathauses, pflegte von diesem zu sagen, es sei weder gothisch noch Renaissance,
sondern das Werk eines modernen Künstlers, der das Resultat der architek¬
tonischen Voraussetzungen vergangner Jahrhunderte gezogen hat. Wenn aber
Schmidt schließlich doch von der Gothik ausgeht, um endlich zu diesem Resultat,
der wahrhaft modernen Baukunst, zu gelangen, so knüpft Hansen in derselben
Absicht an die altgriechische Baukunst an. Die Renaissance, sagte er einmal,
hätte sich viel bedeutender entwickelt, wenn sie gleich von allem Anfang, statt
römischen, griechischen Mustern gefolgt wäre. Was nun die Renaissance ver¬
säumt hat, verlangt er von der Architektur der Gegenwart, und in seinen Bau¬
werken glaubt er das Problem, den modernen Stil aus dem griechischen heraus
zu entwickeln, gelöst zu haben. Ferstet endlich, ein Eklektiker, der heute ein herr¬
liches gothisches Denkmal ersinnen konnte -- die Votivkirche, dann wieder Re¬
naissancebauten wie das Österreichische Museum am Stnbeuring und zuletzt die
Universität, hat sich über die Aufgabe der modernen Architektur und seine eigne
Stellung in dieser nicht wie Hansen und Schmidt deutlich ausgesprochen, we¬
nigstens sind solche Äußerungen nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Aber wir
glauben, mit weit mehr Recht als Schmidt den Stil seines Rathauses, Hausen
den des Parlamentsgebäudes, hätte Ferstet den der Universität als den wahrhaft
modernen bezeichnen und sich der Lösung des oben aufgestellten Problems rühmen
können. Gewiß hat er dasselbe der Lösung genähert. Denn mit allem Scharf¬
sinn, allem Studium, allem Geschick der in Schmidts oder in Hansens Fu߬
stapfen wandelnden Schulen wird doch weder der Stil des Rathauses, noch der
des Parlaments erhalten werden können. Sie stellen Wiederbelebungsversuche
vou Kunstformen dar, die dem Menschen des neunzehnten Jahrhunderts sehr
fremd geworden und überdies mit den Ansprüchen, die wir an Gebäude -- öffent¬
liche oder private -- stellen, unvereinbar sind.

An großartigen Details ist freilich weder am Rathause noch am Parlaments¬
gebäude Maugel. Aber was man an dem erstern besonders rühmt -- daß der
Vertikalismus sich in mustergiltiger Weise aus dem Horizontalismus löse,
daß die Türme sich organisch aus dem Bau heraus entwickeln --, können wir
nicht bestätigen. Die Schlitzfenster, mit denen der Mittelturm ansetzt, sind viel
zu lang geraten und schlitzen in buchstäblichem Sinne den Turm auf: dadurch
verliert aber auch das Darunter und das Darüber seine feste Verbindung.
Daß der Hauptturm an deu Kanten der Rückseite kleine Stiegentürme an¬
gesetzt erhalten hat, läßt übrigens sein Profil unsymmetrisch erscheinen. Dem
Parlament kann man vorwerfen, daß es nicht mehr gegliedert, sondern zer¬
gliedert ist: es stellt eine Anzahl planmäßig gruppirter, mehrfach nur durch
Gciuge verbundner Gebäude und Tempel -- nicht einen einheitlichen Bau --
dar. Es ist dies ein Fehler, von dem auch Universität und Burgtheater nicht
freizusprechen sind. Bei dem Parlament tritt er aber noch stärker hervor, weil
es auf unebnem, mich rückwärts aufsteigenden Terrain steht. Stunde es auf


Unpolitische Briefe aus Wien.

Rathauses, pflegte von diesem zu sagen, es sei weder gothisch noch Renaissance,
sondern das Werk eines modernen Künstlers, der das Resultat der architek¬
tonischen Voraussetzungen vergangner Jahrhunderte gezogen hat. Wenn aber
Schmidt schließlich doch von der Gothik ausgeht, um endlich zu diesem Resultat,
der wahrhaft modernen Baukunst, zu gelangen, so knüpft Hansen in derselben
Absicht an die altgriechische Baukunst an. Die Renaissance, sagte er einmal,
hätte sich viel bedeutender entwickelt, wenn sie gleich von allem Anfang, statt
römischen, griechischen Mustern gefolgt wäre. Was nun die Renaissance ver¬
säumt hat, verlangt er von der Architektur der Gegenwart, und in seinen Bau¬
werken glaubt er das Problem, den modernen Stil aus dem griechischen heraus
zu entwickeln, gelöst zu haben. Ferstet endlich, ein Eklektiker, der heute ein herr¬
liches gothisches Denkmal ersinnen konnte — die Votivkirche, dann wieder Re¬
naissancebauten wie das Österreichische Museum am Stnbeuring und zuletzt die
Universität, hat sich über die Aufgabe der modernen Architektur und seine eigne
Stellung in dieser nicht wie Hansen und Schmidt deutlich ausgesprochen, we¬
nigstens sind solche Äußerungen nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Aber wir
glauben, mit weit mehr Recht als Schmidt den Stil seines Rathauses, Hausen
den des Parlamentsgebäudes, hätte Ferstet den der Universität als den wahrhaft
modernen bezeichnen und sich der Lösung des oben aufgestellten Problems rühmen
können. Gewiß hat er dasselbe der Lösung genähert. Denn mit allem Scharf¬
sinn, allem Studium, allem Geschick der in Schmidts oder in Hansens Fu߬
stapfen wandelnden Schulen wird doch weder der Stil des Rathauses, noch der
des Parlaments erhalten werden können. Sie stellen Wiederbelebungsversuche
vou Kunstformen dar, die dem Menschen des neunzehnten Jahrhunderts sehr
fremd geworden und überdies mit den Ansprüchen, die wir an Gebäude — öffent¬
liche oder private — stellen, unvereinbar sind.

An großartigen Details ist freilich weder am Rathause noch am Parlaments¬
gebäude Maugel. Aber was man an dem erstern besonders rühmt — daß der
Vertikalismus sich in mustergiltiger Weise aus dem Horizontalismus löse,
daß die Türme sich organisch aus dem Bau heraus entwickeln —, können wir
nicht bestätigen. Die Schlitzfenster, mit denen der Mittelturm ansetzt, sind viel
zu lang geraten und schlitzen in buchstäblichem Sinne den Turm auf: dadurch
verliert aber auch das Darunter und das Darüber seine feste Verbindung.
Daß der Hauptturm an deu Kanten der Rückseite kleine Stiegentürme an¬
gesetzt erhalten hat, läßt übrigens sein Profil unsymmetrisch erscheinen. Dem
Parlament kann man vorwerfen, daß es nicht mehr gegliedert, sondern zer¬
gliedert ist: es stellt eine Anzahl planmäßig gruppirter, mehrfach nur durch
Gciuge verbundner Gebäude und Tempel — nicht einen einheitlichen Bau —
dar. Es ist dies ein Fehler, von dem auch Universität und Burgtheater nicht
freizusprechen sind. Bei dem Parlament tritt er aber noch stärker hervor, weil
es auf unebnem, mich rückwärts aufsteigenden Terrain steht. Stunde es auf


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[0365] Unpolitische Briefe aus Wien. Rathauses, pflegte von diesem zu sagen, es sei weder gothisch noch Renaissance, sondern das Werk eines modernen Künstlers, der das Resultat der architek¬ tonischen Voraussetzungen vergangner Jahrhunderte gezogen hat. Wenn aber Schmidt schließlich doch von der Gothik ausgeht, um endlich zu diesem Resultat, der wahrhaft modernen Baukunst, zu gelangen, so knüpft Hansen in derselben Absicht an die altgriechische Baukunst an. Die Renaissance, sagte er einmal, hätte sich viel bedeutender entwickelt, wenn sie gleich von allem Anfang, statt römischen, griechischen Mustern gefolgt wäre. Was nun die Renaissance ver¬ säumt hat, verlangt er von der Architektur der Gegenwart, und in seinen Bau¬ werken glaubt er das Problem, den modernen Stil aus dem griechischen heraus zu entwickeln, gelöst zu haben. Ferstet endlich, ein Eklektiker, der heute ein herr¬ liches gothisches Denkmal ersinnen konnte — die Votivkirche, dann wieder Re¬ naissancebauten wie das Österreichische Museum am Stnbeuring und zuletzt die Universität, hat sich über die Aufgabe der modernen Architektur und seine eigne Stellung in dieser nicht wie Hansen und Schmidt deutlich ausgesprochen, we¬ nigstens sind solche Äußerungen nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Aber wir glauben, mit weit mehr Recht als Schmidt den Stil seines Rathauses, Hausen den des Parlamentsgebäudes, hätte Ferstet den der Universität als den wahrhaft modernen bezeichnen und sich der Lösung des oben aufgestellten Problems rühmen können. Gewiß hat er dasselbe der Lösung genähert. Denn mit allem Scharf¬ sinn, allem Studium, allem Geschick der in Schmidts oder in Hansens Fu߬ stapfen wandelnden Schulen wird doch weder der Stil des Rathauses, noch der des Parlaments erhalten werden können. Sie stellen Wiederbelebungsversuche vou Kunstformen dar, die dem Menschen des neunzehnten Jahrhunderts sehr fremd geworden und überdies mit den Ansprüchen, die wir an Gebäude — öffent¬ liche oder private — stellen, unvereinbar sind. An großartigen Details ist freilich weder am Rathause noch am Parlaments¬ gebäude Maugel. Aber was man an dem erstern besonders rühmt — daß der Vertikalismus sich in mustergiltiger Weise aus dem Horizontalismus löse, daß die Türme sich organisch aus dem Bau heraus entwickeln —, können wir nicht bestätigen. Die Schlitzfenster, mit denen der Mittelturm ansetzt, sind viel zu lang geraten und schlitzen in buchstäblichem Sinne den Turm auf: dadurch verliert aber auch das Darunter und das Darüber seine feste Verbindung. Daß der Hauptturm an deu Kanten der Rückseite kleine Stiegentürme an¬ gesetzt erhalten hat, läßt übrigens sein Profil unsymmetrisch erscheinen. Dem Parlament kann man vorwerfen, daß es nicht mehr gegliedert, sondern zer¬ gliedert ist: es stellt eine Anzahl planmäßig gruppirter, mehrfach nur durch Gciuge verbundner Gebäude und Tempel — nicht einen einheitlichen Bau — dar. Es ist dies ein Fehler, von dem auch Universität und Burgtheater nicht freizusprechen sind. Bei dem Parlament tritt er aber noch stärker hervor, weil es auf unebnem, mich rückwärts aufsteigenden Terrain steht. Stunde es auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/365>, abgerufen am 01.09.2024.