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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Rathause aber ist der Verkehr am geringsten: hier fehlt das Leben, dem die
neuen Monumentalbauten erst zum Hintergründe dienen sollten, ganz und gar,
und sehr leicht gerät man bei längerem Verweilen auf dieser Stelle in eine an¬
dächtige Museumsstimmung, oder man fühlt sich wohl anch wie in einem Theater
voll herrlicher Dekorationen, in welchem man vergebens sitzt und harrt: es
kommen keine Schauspieler.

Man hege immerhin von der Kunst den höchsten Begriff, mau betone noch
so sehr die Pflicht von Gemeinde und Staat, sie zu fördern, eines vermag doch
bloß Kathederweisheit hinwegzuleuguen: Kunst ist die Blüte des Lebens und
Strebens eines Volkes, seines Handels und Wandels, seiner Arbeit und seines
Verdienstes. Aber ein Baum, der wurzelfaul ist, blüht nicht. Man fördere
Landwirtschaft und Industrie, und für den Fortschritt der Kunst wird man
fürder nicht zu sorgen haben. Der Aufwand, den man in einem Gemeinwesen
für künstlerische Zwecke macht, muß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Na-
tionalwohlstande stehen: thut er dies nicht, so bewirkt er keine Blüte, sondern
einen gefährlichen Auswuchs. Solange ein Volk nicht Brot genug hat, braucht
es keine Kunst, und wer ihm Brot schafft, hat mehr gethan als ein Phidias
oder Nasfacl. Nicht nur im Kriege schweigen die Musen, auch in der Zeit
der Not, und es ist dann auch ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, zu
schweigen.

Wien ist als Stadt so wie die Wiener als Volk. Das geigt und singt
und spielt die neuesten Kompositionen, als ob überall nur Wohlstand herrsche.
Es giebt schier keine Hausmeisterstvchter mehr, die nicht "musikalisch" wäre. Für
Wien aber sind seine neuen großen Bauwerke jetzt das, was das Klavier für die
Hausmeisterstvchter ist; es wäre ja schön und gut, wenn man nur nicht Phi¬
lister genug sein müßte, um zu sagen: es hätte für beides Wichtigeres zu kaufen
gegeben.

Doch von dem "bedrängten Wien" wollen wir hier nicht sprechen; betrachten
wir die großen Neubauten, abgelöst von allen andern Verhältnissen, bloß als
Kunstwerke.

Der im vorigen Jahre verstorbene Kunsthistoriker Thausing pflegte die
Schöpfungen unsrer modernen Baukunst gern mit den lateinischen Dichtungen
der Hnmanistenzeit oder mit den griechischen der alexandrinischen Schule zu ver¬
gleichen. Nicht mit Unrecht! Man baut heute romanisch, gothisch, Früh- und
Spätrenaissance, Barock, byzantinisch und maurisch, zeigt dabei sehr viel Wissen
und Technik, auch eine liebevolle Vertiefung in die Vorlagen, aber -- wenig
Originalität. Einen charakteristischen Ausdruck für das, was unsre Zeit erfüllt
und bewegt, hat die Baukunst so wenig gefunden wie die Poesie.

Aber freilich, sie versucht es, ihn zu finden: sie sinnt diesem Probleme nach,
sie arbeitet nicht in dunkeln Drange, sondern völlig bewußt, und bisweilen scheint
es ihr, als hätte sie jenen Ausdruck gefunden. Schmidt, der Erbauer unsers


Unpolitische Briefe aus Wien.

Rathause aber ist der Verkehr am geringsten: hier fehlt das Leben, dem die
neuen Monumentalbauten erst zum Hintergründe dienen sollten, ganz und gar,
und sehr leicht gerät man bei längerem Verweilen auf dieser Stelle in eine an¬
dächtige Museumsstimmung, oder man fühlt sich wohl anch wie in einem Theater
voll herrlicher Dekorationen, in welchem man vergebens sitzt und harrt: es
kommen keine Schauspieler.

Man hege immerhin von der Kunst den höchsten Begriff, mau betone noch
so sehr die Pflicht von Gemeinde und Staat, sie zu fördern, eines vermag doch
bloß Kathederweisheit hinwegzuleuguen: Kunst ist die Blüte des Lebens und
Strebens eines Volkes, seines Handels und Wandels, seiner Arbeit und seines
Verdienstes. Aber ein Baum, der wurzelfaul ist, blüht nicht. Man fördere
Landwirtschaft und Industrie, und für den Fortschritt der Kunst wird man
fürder nicht zu sorgen haben. Der Aufwand, den man in einem Gemeinwesen
für künstlerische Zwecke macht, muß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Na-
tionalwohlstande stehen: thut er dies nicht, so bewirkt er keine Blüte, sondern
einen gefährlichen Auswuchs. Solange ein Volk nicht Brot genug hat, braucht
es keine Kunst, und wer ihm Brot schafft, hat mehr gethan als ein Phidias
oder Nasfacl. Nicht nur im Kriege schweigen die Musen, auch in der Zeit
der Not, und es ist dann auch ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, zu
schweigen.

Wien ist als Stadt so wie die Wiener als Volk. Das geigt und singt
und spielt die neuesten Kompositionen, als ob überall nur Wohlstand herrsche.
Es giebt schier keine Hausmeisterstvchter mehr, die nicht „musikalisch" wäre. Für
Wien aber sind seine neuen großen Bauwerke jetzt das, was das Klavier für die
Hausmeisterstvchter ist; es wäre ja schön und gut, wenn man nur nicht Phi¬
lister genug sein müßte, um zu sagen: es hätte für beides Wichtigeres zu kaufen
gegeben.

Doch von dem „bedrängten Wien" wollen wir hier nicht sprechen; betrachten
wir die großen Neubauten, abgelöst von allen andern Verhältnissen, bloß als
Kunstwerke.

Der im vorigen Jahre verstorbene Kunsthistoriker Thausing pflegte die
Schöpfungen unsrer modernen Baukunst gern mit den lateinischen Dichtungen
der Hnmanistenzeit oder mit den griechischen der alexandrinischen Schule zu ver¬
gleichen. Nicht mit Unrecht! Man baut heute romanisch, gothisch, Früh- und
Spätrenaissance, Barock, byzantinisch und maurisch, zeigt dabei sehr viel Wissen
und Technik, auch eine liebevolle Vertiefung in die Vorlagen, aber — wenig
Originalität. Einen charakteristischen Ausdruck für das, was unsre Zeit erfüllt
und bewegt, hat die Baukunst so wenig gefunden wie die Poesie.

Aber freilich, sie versucht es, ihn zu finden: sie sinnt diesem Probleme nach,
sie arbeitet nicht in dunkeln Drange, sondern völlig bewußt, und bisweilen scheint
es ihr, als hätte sie jenen Ausdruck gefunden. Schmidt, der Erbauer unsers


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[0364] Unpolitische Briefe aus Wien. Rathause aber ist der Verkehr am geringsten: hier fehlt das Leben, dem die neuen Monumentalbauten erst zum Hintergründe dienen sollten, ganz und gar, und sehr leicht gerät man bei längerem Verweilen auf dieser Stelle in eine an¬ dächtige Museumsstimmung, oder man fühlt sich wohl anch wie in einem Theater voll herrlicher Dekorationen, in welchem man vergebens sitzt und harrt: es kommen keine Schauspieler. Man hege immerhin von der Kunst den höchsten Begriff, mau betone noch so sehr die Pflicht von Gemeinde und Staat, sie zu fördern, eines vermag doch bloß Kathederweisheit hinwegzuleuguen: Kunst ist die Blüte des Lebens und Strebens eines Volkes, seines Handels und Wandels, seiner Arbeit und seines Verdienstes. Aber ein Baum, der wurzelfaul ist, blüht nicht. Man fördere Landwirtschaft und Industrie, und für den Fortschritt der Kunst wird man fürder nicht zu sorgen haben. Der Aufwand, den man in einem Gemeinwesen für künstlerische Zwecke macht, muß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Na- tionalwohlstande stehen: thut er dies nicht, so bewirkt er keine Blüte, sondern einen gefährlichen Auswuchs. Solange ein Volk nicht Brot genug hat, braucht es keine Kunst, und wer ihm Brot schafft, hat mehr gethan als ein Phidias oder Nasfacl. Nicht nur im Kriege schweigen die Musen, auch in der Zeit der Not, und es ist dann auch ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, zu schweigen. Wien ist als Stadt so wie die Wiener als Volk. Das geigt und singt und spielt die neuesten Kompositionen, als ob überall nur Wohlstand herrsche. Es giebt schier keine Hausmeisterstvchter mehr, die nicht „musikalisch" wäre. Für Wien aber sind seine neuen großen Bauwerke jetzt das, was das Klavier für die Hausmeisterstvchter ist; es wäre ja schön und gut, wenn man nur nicht Phi¬ lister genug sein müßte, um zu sagen: es hätte für beides Wichtigeres zu kaufen gegeben. Doch von dem „bedrängten Wien" wollen wir hier nicht sprechen; betrachten wir die großen Neubauten, abgelöst von allen andern Verhältnissen, bloß als Kunstwerke. Der im vorigen Jahre verstorbene Kunsthistoriker Thausing pflegte die Schöpfungen unsrer modernen Baukunst gern mit den lateinischen Dichtungen der Hnmanistenzeit oder mit den griechischen der alexandrinischen Schule zu ver¬ gleichen. Nicht mit Unrecht! Man baut heute romanisch, gothisch, Früh- und Spätrenaissance, Barock, byzantinisch und maurisch, zeigt dabei sehr viel Wissen und Technik, auch eine liebevolle Vertiefung in die Vorlagen, aber — wenig Originalität. Einen charakteristischen Ausdruck für das, was unsre Zeit erfüllt und bewegt, hat die Baukunst so wenig gefunden wie die Poesie. Aber freilich, sie versucht es, ihn zu finden: sie sinnt diesem Probleme nach, sie arbeitet nicht in dunkeln Drange, sondern völlig bewußt, und bisweilen scheint es ihr, als hätte sie jenen Ausdruck gefunden. Schmidt, der Erbauer unsers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/364>, abgerufen am 23.11.2024.