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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

Münchener Akademie wirkenden Professoren über die Gemälde Gallciits und
de Bivfves zu übermitteln. Infolgedessen wurden die einzelnen Lehrer veranlaßt,
ihr Gutachten schriftlich abzugeben. Unsers Wissens ist keines derselben in die
Öffentlichkeit gedrungen, doch darf man annehmen, daß das Urteil der Münchener
Akademiker ziemlich einstimmig ausgefallen sein wird. War doch damals die
Einheit der Kunstanschaunngen unter den an der Anstalt thätigen Persönliche
leiten noch nicht durchbrochen in der Weise, wie das später unter Kaulbachs
Leitung durch Piloth geschah. Der bedeutendste Lehrer der Akademie in jenen
Jahren war Julius Schmorr von Carvlsfeld, der es sich angelegentlich sein ließ,
die von Cornelius überkommene künstlerische Tradition im Sinne des Meisters
aufrecht zu erhalten und weiter zu bilden. Sein Urteil wird daher in dem
vorliegenden Falle vou ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein und kann
Wohl als dasjenige der Akademie, wenigstens in allen wesentlichen Stücken, an¬
gesehen werden.

Wir sind in der glücklichen Lage, das von Schmorr verfaßte Gutachten nach
seinem eigenhändigen Konzept mitteilen zu können; sicher wird dasselbe von dem
eingereichten Schriftstück nicht erheblich abweichen. Dieses Gutachten scheint
uns ebenso wie der oben besprochene Artikel des unbekannten Münchener Malers
von großer Wichtigkeit zu sein. Einmal -- und schon dieser Umstand ist be¬
merkenswert -- enthält dasselbe einen neuen Beweis für den innigen Anteil,
den man in Belgien der heimischen Kunst widmete, indem man dieselbe durchaus
als eine nationale Ehrensache betrachtete. Dann aber legt dieses Schriftstück
klar und deutlich Zeugnis dafür ab, warum die Münchener Historienmaler den
von den Belgiern befolgten Prinzipien sich nicht anschließen zu können meinten.
Sie waren sich ihrer Vorzüge wohlbewußt und ließen sich dieselben nicht dnrch
den schönen Schein der Belgier rauben. Trotzdem verkannten sie nicht im
"lindester das Große in den Schöpfungen jener und ließen die vollendetere
Technik aufrichtig gelten. In diesem Sinne nahmen sie einen viel freiern Stand-
Punkt ein als ihr Meister in Berlin und verhielten sich keineswegs abwehrend
wie dieser gegen eine größere Vollendung nach Seiten des Malerischen hin. Am
allerwenigsten aber unterschätzte Schmorr den daraus entspringenden Gewinn.
Wenn ich noch ein junger Mann wäre, so etwa pflegte er sich gelegentlich in
vertrautem Kreise zu äußern, würde auch ich uach Antwerpen wandern, um dort
das zu lernen, was mir auf meiner kiinstlcrischen Laufbahn bisher nicht ent¬
gegengebracht wurde. In solcher Gesinnung liegt fürwahr das größte Lob, nicht
nur für die fremden Maler, sondern auch für den, der sie hegte; sie liefert den
besten Beweis dafür, daß die damaligen Führer der Münchener Schule nicht
in falscher Selbstzufriedenheit über ihre Leistungen verharrten, sondern auch darin
ihren idealen Sinn bewährten, daß sie bis ins Alter hinein eifrig bemüht
waren, in ihrer Kunst fortzuschreiten. Aus diesem Grunde ist das folgende
Gutachten eine glänzende Rechtfertigung gegen die Anschuldigungen, welche die


Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst.

Münchener Akademie wirkenden Professoren über die Gemälde Gallciits und
de Bivfves zu übermitteln. Infolgedessen wurden die einzelnen Lehrer veranlaßt,
ihr Gutachten schriftlich abzugeben. Unsers Wissens ist keines derselben in die
Öffentlichkeit gedrungen, doch darf man annehmen, daß das Urteil der Münchener
Akademiker ziemlich einstimmig ausgefallen sein wird. War doch damals die
Einheit der Kunstanschaunngen unter den an der Anstalt thätigen Persönliche
leiten noch nicht durchbrochen in der Weise, wie das später unter Kaulbachs
Leitung durch Piloth geschah. Der bedeutendste Lehrer der Akademie in jenen
Jahren war Julius Schmorr von Carvlsfeld, der es sich angelegentlich sein ließ,
die von Cornelius überkommene künstlerische Tradition im Sinne des Meisters
aufrecht zu erhalten und weiter zu bilden. Sein Urteil wird daher in dem
vorliegenden Falle vou ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein und kann
Wohl als dasjenige der Akademie, wenigstens in allen wesentlichen Stücken, an¬
gesehen werden.

Wir sind in der glücklichen Lage, das von Schmorr verfaßte Gutachten nach
seinem eigenhändigen Konzept mitteilen zu können; sicher wird dasselbe von dem
eingereichten Schriftstück nicht erheblich abweichen. Dieses Gutachten scheint
uns ebenso wie der oben besprochene Artikel des unbekannten Münchener Malers
von großer Wichtigkeit zu sein. Einmal — und schon dieser Umstand ist be¬
merkenswert — enthält dasselbe einen neuen Beweis für den innigen Anteil,
den man in Belgien der heimischen Kunst widmete, indem man dieselbe durchaus
als eine nationale Ehrensache betrachtete. Dann aber legt dieses Schriftstück
klar und deutlich Zeugnis dafür ab, warum die Münchener Historienmaler den
von den Belgiern befolgten Prinzipien sich nicht anschließen zu können meinten.
Sie waren sich ihrer Vorzüge wohlbewußt und ließen sich dieselben nicht dnrch
den schönen Schein der Belgier rauben. Trotzdem verkannten sie nicht im
«lindester das Große in den Schöpfungen jener und ließen die vollendetere
Technik aufrichtig gelten. In diesem Sinne nahmen sie einen viel freiern Stand-
Punkt ein als ihr Meister in Berlin und verhielten sich keineswegs abwehrend
wie dieser gegen eine größere Vollendung nach Seiten des Malerischen hin. Am
allerwenigsten aber unterschätzte Schmorr den daraus entspringenden Gewinn.
Wenn ich noch ein junger Mann wäre, so etwa pflegte er sich gelegentlich in
vertrautem Kreise zu äußern, würde auch ich uach Antwerpen wandern, um dort
das zu lernen, was mir auf meiner kiinstlcrischen Laufbahn bisher nicht ent¬
gegengebracht wurde. In solcher Gesinnung liegt fürwahr das größte Lob, nicht
nur für die fremden Maler, sondern auch für den, der sie hegte; sie liefert den
besten Beweis dafür, daß die damaligen Führer der Münchener Schule nicht
in falscher Selbstzufriedenheit über ihre Leistungen verharrten, sondern auch darin
ihren idealen Sinn bewährten, daß sie bis ins Alter hinein eifrig bemüht
waren, in ihrer Kunst fortzuschreiten. Aus diesem Grunde ist das folgende
Gutachten eine glänzende Rechtfertigung gegen die Anschuldigungen, welche die


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[0359] Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Kunst. Münchener Akademie wirkenden Professoren über die Gemälde Gallciits und de Bivfves zu übermitteln. Infolgedessen wurden die einzelnen Lehrer veranlaßt, ihr Gutachten schriftlich abzugeben. Unsers Wissens ist keines derselben in die Öffentlichkeit gedrungen, doch darf man annehmen, daß das Urteil der Münchener Akademiker ziemlich einstimmig ausgefallen sein wird. War doch damals die Einheit der Kunstanschaunngen unter den an der Anstalt thätigen Persönliche leiten noch nicht durchbrochen in der Weise, wie das später unter Kaulbachs Leitung durch Piloth geschah. Der bedeutendste Lehrer der Akademie in jenen Jahren war Julius Schmorr von Carvlsfeld, der es sich angelegentlich sein ließ, die von Cornelius überkommene künstlerische Tradition im Sinne des Meisters aufrecht zu erhalten und weiter zu bilden. Sein Urteil wird daher in dem vorliegenden Falle vou ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein und kann Wohl als dasjenige der Akademie, wenigstens in allen wesentlichen Stücken, an¬ gesehen werden. Wir sind in der glücklichen Lage, das von Schmorr verfaßte Gutachten nach seinem eigenhändigen Konzept mitteilen zu können; sicher wird dasselbe von dem eingereichten Schriftstück nicht erheblich abweichen. Dieses Gutachten scheint uns ebenso wie der oben besprochene Artikel des unbekannten Münchener Malers von großer Wichtigkeit zu sein. Einmal — und schon dieser Umstand ist be¬ merkenswert — enthält dasselbe einen neuen Beweis für den innigen Anteil, den man in Belgien der heimischen Kunst widmete, indem man dieselbe durchaus als eine nationale Ehrensache betrachtete. Dann aber legt dieses Schriftstück klar und deutlich Zeugnis dafür ab, warum die Münchener Historienmaler den von den Belgiern befolgten Prinzipien sich nicht anschließen zu können meinten. Sie waren sich ihrer Vorzüge wohlbewußt und ließen sich dieselben nicht dnrch den schönen Schein der Belgier rauben. Trotzdem verkannten sie nicht im «lindester das Große in den Schöpfungen jener und ließen die vollendetere Technik aufrichtig gelten. In diesem Sinne nahmen sie einen viel freiern Stand- Punkt ein als ihr Meister in Berlin und verhielten sich keineswegs abwehrend wie dieser gegen eine größere Vollendung nach Seiten des Malerischen hin. Am allerwenigsten aber unterschätzte Schmorr den daraus entspringenden Gewinn. Wenn ich noch ein junger Mann wäre, so etwa pflegte er sich gelegentlich in vertrautem Kreise zu äußern, würde auch ich uach Antwerpen wandern, um dort das zu lernen, was mir auf meiner kiinstlcrischen Laufbahn bisher nicht ent¬ gegengebracht wurde. In solcher Gesinnung liegt fürwahr das größte Lob, nicht nur für die fremden Maler, sondern auch für den, der sie hegte; sie liefert den besten Beweis dafür, daß die damaligen Führer der Münchener Schule nicht in falscher Selbstzufriedenheit über ihre Leistungen verharrten, sondern auch darin ihren idealen Sinn bewährten, daß sie bis ins Alter hinein eifrig bemüht waren, in ihrer Kunst fortzuschreiten. Aus diesem Grunde ist das folgende Gutachten eine glänzende Rechtfertigung gegen die Anschuldigungen, welche die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/359>, abgerufen am 01.09.2024.